Zum Black History Month blicken wir auf die Schwarzen Wurzeln des Rock, ohne die keine einzige weiße Rockband jemals mit schmachtenden Augen vor dem Schaufenster eines Gitarrenladens gestanden hätte. Eine Zeitreise von 1938 bis 1984.
von Björn Springorum
Rock’n’Roll ist eine Schwarze Erfindung. Chuck Berry, Little Richard … die ersten echten Rockstars waren Schwarz. Dennoch wird die Vorreiterrolle dieser Künstler*innen bis heute gern kleingeredet, übersehen. Der Siegeszug des Rock, er fängt aber eben nicht bei Elvis oder den Beatles an. Sondern bei den Einflüssen, Sounds und Traditionen aus dem fernen Motherland, in den USA zu neuer Form und Blüte gebracht. Danach mögen sich die Weißen an diesem reich gedeckten Tisch bedient haben; eine Reise zu den Wurzeln des Rock wird aber immer eine Reise ins Schwarze Herz Amerikas bleiben.
1. 1938: Sister Rosetta Tharpe
Die erste Gitarrenheldin der Welt wird in den Kirchen des amerikanischen Westens groß. Sister Rosetta Tharpe zieht erst mit ihrer Mutter in einer evangelischen Reisegruppe durch die Städte und Käffer von Arkansas, angepriesen als „singendes und Gitarre spielendes Wunder“. Ob die geistliche Welt immer noch so angetan ist von Sister Rosetta, als sie 1938 Rock Me aufnimmt, darf stark angezweifelt werden. Die Nummer ist die Geburtshelferin des Rock’n’Roll und Sister Rosetta Tharpe die ultimative Godmother dieser Musik, die ganz nebenbei Little Richard und Elvis Presley nachhaltig beeindruckt.
2. 1949: Goree Carter
Es wurden schon Bücher geschrieben und Kriege geführt über die Frage, wer den ersten echten Rock’n’Roll-Song komponiert hat. Weit vorn dabei ist der junge Goree Carter, der 1949 seine Nummer Rock Awhile in einem Studio in Houston, Texas einzimmert. Der erste oder nicht: Man muss sich nur mal die jaulende E-Gitarre anhören, um zu wissen, was Chuck Berry damals hört, bevor er selbst in die Saiten greift.
3. 1951: Jackie Brenston And His Delta Cats
Saxofonist Jackie Brenston kann auch singen. Das tut er 1951 mehr als eindringlich mit seinen Delta Cats, hinter denen sich unter anderem ein gewisser Ike Turner verbirgt. Sein Song Rocket 88, aufgenommen im März 1951, gilt als wegweisende erste Vermessung in Sachen Rock’n’Roll, heute längst als Zeitzeugnis anerkannt und in zahlreiche Halls Of Fame aufgenommen.
4. 1955: Little Richard
Ohne Little Richard hätte es weder die Beatles, noch die Stones gegeben. Gut 2.000 andere Bands auch nicht, wohlgemerkt. Sein Kommen mit Tutti Frutti (1955) gleicht einem Fanal, einem great reset im großen Buch der Musik: Der erste Rockstar der Welt gibt mit Songs wie Long Tall Sally nicht nur Ankerpunkte des Rock’n’Roll ab; er bricht mit seiner Musik durch die Grenzen zwischen dem Schwarzen und dem weißen Amerika, bringt das geteilte Land bei seinen Konzerten zusammen.
5. 1956: Chuck Berry
1956 ist es Zeit für den zweiten großen Rockstar. Zu einer Zeit, als die Stones, Beatles und Whos allesamt noch die Schulbank drücken, erhebt sich aus St. Louis ein junger Musiker namens Chuck Berry. Noch weiß er es selbst nicht, aber er wird die Musikwelt schon wenige Monate später aus den Angeln heben, ordentlich durchwirbeln und neu zusammensetzen. Er feuert Roll Over Beethoven, Johnny B. Goode und Rock And Roll Music in rapider Sukzession ab und schreibt das Regelwerk des Rock fast im Alleingang. Berry ist ein Titan, an dem sich Generationen aufstrebender Musiker*innen abarbeiten werden.
6. 1960: Bo Diddley
Bo Diddley ist einer der letzten Künstler der Fünfziger, der dem Rock’n’Roll dabei hilft, sich vom Blues zu emanzipieren und auf eigenen Beinen zu stehen. Sein Road Runner von 1960 macht diesseits und jenseits des Atlantiks viel Wind und wird von den Animals, den Zombies und The Who gecovert. Der nach ihm benannte Bo Diddley Beat vereint da schon Jahre zuvor afrikanische Rhythmik mit geradlinigem Rock’n’Roll.
7. 1967: Jimi Hendrix
Ende der Sechziger ist die elektrische Gitarre aus dem Musikbild nicht wegzudenken. Was Jimi Hendrix mit ihr macht, hat die Welt dann aber auch noch nicht gesehen. Er erhebt sie zum Fetisch, zum rituellen Objekt der Begierde, liebkost sie, begattet sie, baut ihr mit seiner umwerfenden, nie zuvor gehörten Musik einen Schrein. Gut, manchmal zündet er sie auch an, aber so eine Liebesbeziehung hat eben auch ihre dunklen Seiten. In seinen wenigen Monden im Rampenlicht verändert Hendrix das Antlitz des Rock’n’Roll grundlegend und beschenkt die Musik mit einem unsterblichen Stück seiner Seele.
8. 1966: The Equals
Die Equals aus London gelten als erste international berühmte Rockband aus Großbritannien, in deren Reihen sich sowohl weiße als auch Schwarze Musiker befinden. Ihr Song Baby, Come Back von 1966 ist ein unvergessenes Stück englische Musikgeschichte, geprägt von Eddy Grants unverwechselbarem Guyanese-Akzent.
9. 1974: Ike And Tina Turner
Seit 1957 touren sich Ike und Tina Turner unermüdlich ihre Allerwertesten ab, mindestens seit 1957 tut Ike alles, um als schlimmster Ehemann aller Zeiten in die Geschichtsbücher einzugehen. Die Drogen, die Affären, der Missbrauch und seine despotische Art verhindern nicht, dass die beiden weltweite Erfolge feiern. 1974 erscheint mit dem Funk-Rock-Grundnahrungsmittel Nutbush City Limits einer ihrer größten Hits, nach dem in Australien auch ein populärer Tanz benannt ist. Die Nummer ist so groß in Down Under, sogar Brian Johnson singt die Nummer bei seiner Audition für AC/DC!
10. 1984: Prince
1984 ist Prince natürlich schon ein Weltstar, der Pop, Rock, Funk, Soul und grob geschätzt 67 weitere Genres in seinem Œuvre verarbeitet und die Welt mit seinem flamboyanten Stil entflammt hat. Mit Purple Rain setzt er der afroamerikanischen Musik aber eines ihrer größten und wichtigsten Denkmäler – ein Album, so innovativ, überschäumend und wegweisend, dass man dafür fast eine Reihe neuer Superlative erfinden muss.
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