Rock’n’Roll besteht nicht nur aus Riffs, sondern auch aus Geschichten. Ein bisschen macht das auch die Faszination aus. Weil wir alle gerade vielleicht mehr Zeit zum Lesen haben, gibt es für den Einstieg in die Welt der Krachmusikbücher hier zehn hochkarätige Empfehlungen, quasi die Greatest Hits.
1. Lemmy Kilmister: White Line Fever (2004)
Bei jeder Show. Bei wirklich jeder Show sagte Lemmy Kilmister zu Beginn: „Wir sind Motörhead, und wir spielen Rock’n’Roll.“ Für ihn selbst reichte diese Aussage nicht mal: Lemmy spielte nicht nur Rock’n’Roll, er lebte ihn. Klar, dass da eine Menge Geschichten bei rumkamen Zum Glück gibt es White Line Fever. Wir alle hätten es kaum verkraften können, wenn Lemmy vor seinem Ableben 2015 nicht wenigstens einige dieser Anekdoten zu Papier gebracht hätte. Ob die Anfangstage mit Hawkwind, seine Drogeneskapaden und die daraus resultierenden Begegnungen mit dem Gesetz, seine Liebesgeschichten und sein Leben mit dem Metal-Monster Motörhead: In seiner gewohnt schwarzhumorigen und charmanten Art erzählt Lemmy schonungslos und offen, was ihn sein Leben lang so beschäftigt hat. Die Erzählungen gelingen ihm, trotz Hilfe durch die Musikjournalistin Janizz Garza, nicht ganz ohne Chaos, und hin und wieder hat man das Gefühl, dass er ein wenig übertreibt. Aber ganz ehrlich: Spielt das eine Rolle?
2. Bruce Dickinson: What Does This Button Do? (2017)
Bruce Dickinson kann quasi alles: Singen wie ein Gott, olympiareif fechten, Flugzeuge fliegen – und Bücher schreiben auch. Hat er schon 1992 mit den abgedrehten Romanen über Lord Iffy Boatrace bewiesen (die an die Werke von Tom Sharpe erinnern). Irgendwann wird der Mann echt noch Papst. Seine Memoiren hat er in seiner Stammkneipe per Hand verfasst, so richtig mit Stift auf Papier (für die Jüngeren haben wir Links zur Erklärung eingefügt). Die Zettelstapel gingen dann an seinen Verlag, wo man prompt Schnappatmung bekam, weil es natürlich keine (Sicherheits-)Kopie gab. Dickinson erweist sich als hervorragender Erzähler mit viel britischem Humor und führt uns durch sein Leben, das vor allem von Neugier geprägt zu sein scheint. Dabei kommen interessanterweise andere Personen nur soweit vor, wie sie für die Story notwendig sind, denn der Sänger hat sich nach eigenen Aussagen bewusst dagegen entschieden, das Leben anderer Leute aufzuschreiben. Zitat: „Es ist ja nicht ihr Buch.“ Deshalb wird keine schmutzige Wäsche gewaschen und weder Privates noch die Familie beleuchtet. Natürlich geht es viel um Iron Maiden (Up the irons!), aber eine Aufdröselung der Bandgeschichte findet sich hier nicht. Dafür viel, zu viel über Flugzeuge und ein Psychogramm eines unprätentiösen Multitalents, quasi der normale hochgegabte Rockstar von nebenan. Ein Tipp: Die von Bruce selbst gelesene Audioversion lässt ständig an Monty Python denken. Noch cooler.
3. John Peel: Memoiren einer DJ-Legende (2005)
Fast noch interessanter als die Biografien von Musikerinnen und Musikern sind die Memoiren der Menschen hinter den Kulissen. Denn Leute wie John Peel kennen all unsere Lieblinge. Nicht nur, dass T. Rex, Nirvana und U2 dem verstorbenen britischen DJ eine Menge verdanken. Nein, immer wieder begab er sich über die Jahrzehnte mit Grubenlampe in den musikalischen Untergrund und förderte Schätze zutage, die bis dato noch niemand auf dem Schirm hatte. Durch seine Tätigkeit bei der BBC und seine legendären Peel Sessions lernte er mehr Bands kennen als die meisten anderen und hatte viele spannende Geschichten zu erzählen. Und genau davon findet ihr einige in seinen 516-Seiten-langen Memoiren.
4. Paul Stanley: Face The Music – A Life Exposed (2014)
Mitterweile haben alle vier der „GAPP“-Urbesetzung von Kiss ihre Memoiren vorgelegt: Gene ist der Geilste, Ace der Wildeste, und Peter beschwert sich viel. Pauls Biografie erscheint als letzte – und erweist sich als die Beste. Selbstredend hauen die Brüder alle ständig auf die Sahne, dass es eine Art hat, und natürlich besitzen vier Leute vier Perspektiven auf die Ereignisse, die nicht alle der Wahrheit oder dem vollen Bild entsprechen müssen. Aber Stanley wirkt am ehrlichsten und reflektiertesten dabei. Es verwundert, wie traumatisch seine Kindheit und Jugend verliefen, wie früh der Ärger in der Band losging und wie schwierig die Achtziger wirklich waren. Der Sänger schildert, wie sich seine Aussicht auf sein Leben verschiebt und er schlussendlich zu sich selber findet. Selbstredend geht es sehr oft um Kiss, Fans können hier die Geschichte der Gruppe nachvollziehen. Himmel, die waren echt der ganz heiße Scheiß ab 1975. Und Paul stellt gleich am Anfang klar: Sex gab es immer und überall. Gehört ja auch ein bisschen zu einem Rock’n’Roll-Buch.
5. Peter Grant: A Biography By Chris Welch (2006)
„The Man Who Led Zeppelin“. Was nach einem verunglückten Kalauer klingt, ist eine dicke Ansage, denn ohne ihren Manager Peter Grant hätten sich Led Zeppelin möglicherweise nie zu einer der größten Rockbands aller Zeiten entwickelt. Mit Erfahrung, Wissen und Verhandlungsgeschick verhilft der Geschäftsmann der Londoner Band nicht nur zum bis dato größten Label-Vorschuss der Musikgeschichte, sondern auch zu einer üppigen Beteiligung an den Ticketverkäufen. Ganze 90% sacken Led Zeppelin ein; das gab es noch nie. Und nicht nur das: Grant weicht seinen Schützlingen während ihrer gesamten Karriere nicht von der Seite, im Normalfall verpasst er keine Show. Das klingt, als gäbe es einiges über diesen Mann zu erzählen, richtig? Gibt es auch. Und das gelingt dem britischen Musikjournalisten Chris Welch in dieser englischsprachigen Biografie mit Bravour.
6. Matt Taylor: Metallica – Back The Front (2016)
Das kleine Album Master Of Puppets haben wir hier vielleicht ein- oder zweitausendmal am Rande kurz erwähnt. Es ist ja auch nicht so schlecht, Eingeweihte kennen es vielleicht. Zum 30. Geburtstag der Platte haben Metallica selbst ein dickes, fettes „Coffeetable Book“ herausgebracht. Geschrieben hat es Matt Taylor, von James Hetfield kommt das Vorwort, von Cliff Burtons Vater Ray das Nachwort. Dazwischen bekommt die Headbangerschaft alles, wirklich alles, was das Puppets-liebende Herz begehrt. Auf 271 Seiten wird die Entwicklung vom Songwriting im „Metallica Mansion“ in El Cerrito, über die Aufnahmen in Dänemark und die Tour mit Ozzy bis zum tödlichen Unfall von Cliff auf der triumphalen Europareise erzählt in Form einer „Oral History“. Das heißt: Wir lesen Zitate der Musiker, von Zeitzeugen, Fans und anderen Leuten in der Umgebung. Dazu gibt es eine gefühlte Million großartige Bilder, die unter anderem zeigen, wie jung die Burschen und die Thrash-Szene noch waren. Vor allem der Anfang bewegt: Hier lesen die Fans zum ersten Mal, was an diesem tragischen Morgen des 27. September 1986 in dem Bus passierte…
7. Johnny Cash: Cash — The Autobiography (1997)
Eine Kindheit während der großen Depression, der frühe Verlust seines Bruders Jack, gravierende Drogenprobleme: Bei Johnny Cash ging es wahrlich nicht immer nur bergauf, sondern auch tief bergab. In seiner Autobiografie offenbart der wohl größte Countrymusiker aller Zeiten mit viel Tiefgang und Empathie seinen Blick auf die Welt, erzählt von früher, von später und von seiner engen Bindung zur Spiritualität. Dadurch fühlen sich diese Memoiren nur selten so an, als läse man sie bloß. Vielmehr entsteht Seite für Seite stärker der Eindruck, als säße Cash direkt vor einem und würde seine Geschichte persönlich erzählen. Eins der faszinierendsten Bücher der Musikgeschichte!
8. Zakk Wylde: Bringing Metal To The Children (2012)
Wenn ein bärtiger Wikinger ein Buch schreibt mit dem Titel Bringing Metal To The Children, wie viel ernsthafte Musikgeschichtsschreibung, authentische Quellenarbeit und introspektive Selbstfindung kann man dann erwarten? Richtig, nicht so viel. Onkel Zakk erzählt (mit Ko-Autor Eric Hendrix) vielmehr einen Quatsch, dass es eine Art hat. Los geht die Sause als eine Art Ratgeber, schließlich lautet der Untertitel „The Complete Berzerker’s Guide To World Tour Domination“, daneben streut der Mann immer wieder Anekdoten seines Lebens als blutjunger Gitarrenheld in Ozzys Band und Chef von Black Label Society ein. Eine Karriereretrospektive darf man nicht erwarten, dafür geht’s immer irgendwie um Valhalla, Vaseline und den heiligen Randy Rhoads. Ja, das wird irgendwann ermüdend, aber bis dahin ist es absurd lustig.
9. The Beatles: Die Audiostory (2009)
Die Biografie der wichtigsten Band aller Zeiten darf in dieser Auflistung natürlich nicht fehlen. Wie bereits der Titel verrät, handelt es sich bei der Beatles-Audiostory um ein Hörbuch — und genau dieses Format eignet sich hervorragend für die wilde Geschichte der „Fab Four“. Die musikalischen Einspieler sind zwar Coverversionen, doch die Original-Interviews und die akustischen Eindrücke entschädigen für alles. Von den Anfängen in Liverpool über die prägende Phase in Hamburg bis hin zum Ende in London beleuchtet die Audiostory in gut vier Stunden die gesamte Historie der Beatles. Ob Einsteiger:in oder langjähriger Fan: Hier lernt jeder etwas!
10. Mötley Crüe: The Dirt – Confessions Of The World's Most Notorious Rock Band (2001)
Klar, das Ding muss hier rein. Die Mötley-Biö liest sich ein bisschen, wie ein Unfall wirkt: Man sollte vielleicht weggucken, aber kann nicht so richtig. Es ist ein Wahnsinn, was die Brüder angestellt haben. Fassen wir es kurz: Sex. Drogen. Zerstörung. Dysfunktionalität. Bescheuerte Entscheidungen. Bescheuerte Typen. Egotrips. Leidenschaft. Freiheit. Und guter Rock’n’Roll. Das mit Neil Strauss verfasste und hervorragend lesbare The Dirt gilt für die Generation Achtziger-Metal als Prototyp des Wilde-Leben-Buchs. Muss man das alles glauben? Och. Ist das vielleicht auch übertrieben Klischeebedienung? Nun ja. Ist das alles nett und politisch korrekt? Glücklicherweise nicht. Ist es unterhaltsam? Oh, verdammt ja. Deshalb wurde es ja auch erfolgreich verfilmt.