„This is what the devil plays before he goes to sleep“: Das ist die erste gerappte Zeile, die wir auf Bastard hören. Ziemlich edgy Aussage, aber das liegt in der Natur dieses ersten Releases von Tyler, The Creator. Dieser Tyler im Jahr 2009 war doch recht anders als der Künstler, den wir heute auf Chromakopia hören.
Hauptsache Provokation
Auch wenn es nicht auf Streaming-Plattformen zu finden ist (Tipp: YouTube), sollte man Bastard nicht außer Acht lassen. Denn hier begann eine der spannendsten künstlerischen Evolutionen in der Hip-Hop-Geschichte. Damals galt es noch als Mixtape, mittlerweile nennt er es sein erstes Album. In einem Instagram-Post von 2019 fasste Tyler Okonma seine Gedanken dazu zusammen: „An Weihnachten 2009 veröffentlichte ich mein erstes Album Bastard auf zShare für 46 Leute. Ich hatte Ideen, unmessbar viel Energie und wollte alle, die Ohren hatten, provozieren und ihnen eine Reaktion entlocken.“
Und das hört man. Bastard wird mittlerweile unter seinen Hörer:innen als polarisierend gesehen, vor allem wegen der Texte. Tyler rappt in mehreren Songs über Mord und Vergewaltigung aus der Täterperspektive, ohne es kritisch einzuordnen, und es hagelt homophobe Lines. Ironisch, da er selbst sich einige Jahre später auf Flower Boy als bisexuell outen würde – ein Thema, das seitdem immer wieder in seiner Musik auftaucht.
Dieser Perspektivwechsel verdeutlicht, dass die Texte in den frühen Werken Okonmas nicht ernstgemeint, sondern klare Übertreibungen sind. Nicht, um sich über diese Themen lustig zu machen, sondern um die düstersten Facetten des Menschseins zu erforschen. In einem alten Interview mit BBC Newsnight fragt der Interviewer sichtlich besorgt: „Was sagst du in deinen Texten?“ Okonma antwortet frech: „Nichts! Scheiße, die alte, weiße Menschen wie dich provozieren soll!“
Nun wirken manche der gezielt schockierenden Lines auf Bastard tatsächlich etwas unreif und nervig. So ein bisschen „Edgelord: Das Album“, Hauptsache kontrovers. Ganz substanzlos ist das Ganze aber nicht. Ein immer wiederkehrendes Thema ist sein Vater, den er nie kennenlernte und den er deswegen hasst – zumindest behauptet er das andauernd in den Songs. Somit sollen die gewalttätigen Lyrics vielleicht auch das widerspiegeln, was die Abwesenheit eines Elternteils mit der Psyche eines heranwachsenden Menschen anstellen kann. So entstehen Charaktere wie Ace, The Creator, der die schlechtesten Seiten von Tyler, The Creator repräsentiert und die Songs auf Bastard dominiert.
Das beeindruckende Werk eines Teenagers
Und damit kommen wir zu einem der spannendsten Aspekte dieser Ära von Tyler, The Creator: das Konzept und die Lore. Auch wenn Bastard an einigen Stellen wirkt wie ein wahllos zusammengewürfeltes Mixtape – Songs wie der scherzhafte Tina oder der lose Freestyle-Jam Session scheinen spontan aufgenommene Ideen zu sein – sind seine ersten drei Releases ziemlich durchdacht. Bastard, Goblin und Wolf bilden die sogenannte Wolf Trilogy, die verschiedenste Charaktere und Erzählstränge verbindet. In Fankreisen ist man sich uneins, in welche Reihenfolge man die Alben bringen muss, um die Storyline chronologisch zu verfolgen. Dabei tritt vor allem auf Bastard immer wieder ein Therapeut namens Dr. TC auf, dem der Rapper die Songs quasi als Auszüge aus seinem Leben erzählt. Dabei könnte TC eine Abkürzung für Tyler, The Creator oder Tyler’s Conscience sein.
So gesehen ist es schon bemerkenswert, dass Bastard in der Zeit entstand, in der Tyler Okonma gerade mal 16 bis 18 Jahre alt war. Perfekt klingen die Songs noch nicht, aber dafür, dass die Beats alle vom Rapper selbst produziert wurden, sind sie auf Songs wie Pigs Fly oder French! schon sehr markant. Wuchtige Boom-Bap-Drums treffen auf grelle Synthesizer. „Die meisten der Beats entstanden in der Demo-Version von FL Studio, in der man das Projekt nicht speichern konnte. Der Rest war in GarageBand, alles die eingebauten Stock-Sounds, und ich würde behaupten, das klingt immer noch gut. Ich liebe es, diese alten Beats zu hören und zu erkennen, was ich damals machen wollte und jetzt perfektioniert habe“, reflektierte Okonma auf Instagram.
Damals versus heute
Im Laufe seiner Karriere würde der Rapper noch zahlreiche Alter Egos etablieren, etwa Wolf Haley oder Igor. Mittlerweile scheint er diese abgelegt zu haben: Im Video zum Song Sorry Not Sorry, der letztes Jahr erschien, verprügelt Tyler seine verschiedenen Charaktere. Und auf Chromakopia scheint es so, als seien wir Tyler Okonma als Mensch noch nie so nahe gewesen. Wir erfahren persönliche Geschichten aus seinem Leben und kaufen es ihm ab, er singt davon, seine Maske abzunehmen. Statt einem Dr. TC fungiert seine Mutter als Stimme der Vernunft zwischen den Songs. In Like Him wird sogar endlich aufgelöst, weshalb sein Vater nie in seinem Leben war, was wohl zu den emotionalsten Momenten seiner Karriere gehört.
Um den künstlerischen Wandel zu unterstreichen, muss kurz noch das Kunst-Kollektiv Odd Future erwähnt werden, das Tyler, The Creator damals anführte. In einem damaligen Interview mit dem Blog Cakes & Brains erklärte Okonma, was Odd Future vom Rest abhebe: „Wir tun, was wir wollen, wir machen, was wir gerne hören. Es kann mir scheißegal sein, was du hören möchtest; ich mache die Musik, die ich hören will, wenn ich mir einen runterhole oder einen Kuchen backe.“ Und das tut Tyler, The Creator immer noch. Aber nicht mehr durch prollige Provokation, sondern durch ehrliche Einblicke.