Das bestverkaufte Album des 21. Jahrhunderts wird 20: Zum runden Geburtstag spendieren Linkin Park ihrem kometenhaften Durchbruch Hybrid Theory eine mit allen Wassern gewaschene Jubiläumsedition. Unter tonnenweise Material befinden sich auch jede Menge unveröffentlichte Demos, darunter der Heilige Gral aller Linkin-Park-Fans, die Nummer Pictureboard. Über die, über Chester Bennington und über die damalige Zeit reminiszierte die Band in einer Online-Pressekonferenz. uDiscover war live dabei.
von Björn Springorum
Die Zukunft von Linkin Park bleibt weiter ungewiss. Die Vergangenheit, die hat aber ihre ganz eigenen Geschichten zu erzählen. Anlässlich der reich bestückten Neuauflage von Hybrid Theory, einem der definierenden Momente der jüngeren Rock-Geschichte, schaltet sich die Band zu einer Online-Pressekonferenz zusammen. Aus Wohnzimmer und Home-Studio loggen sich alle außer Schlagzeuger Rob Bourdon ein, um über ein Album zu sprechen, das nicht nur ihr Leben verändert hat.
„Hybrid Theory ist ein großer Teil unseres Lebens.“
„Um ehrlich zu sein, war ich anfangs nicht unbedingt ein Fan dieser Idee“, beginnt Mike Shinoda angenehm ehrlich. „Natürlich war mir klar, dass wir damit vielen eine Freude machen würden, aber mir wäre es zu wenig gewesen, einfach alte Geschichten aufzuwärmen. Hybrid Theory ist ein großer Teil unseres Lebens, aber auch im Leben von vielen Menschen, die das Album in- und auswendig kennen; wenn wir also eine Neuauflage machen, dann sollte sie besonders und spannend sein. Etwas, das dem Original gerecht wird. Dieser Herausforderung stellten wir uns, wühlten in Archiven, in alten Schachteln und auf Dachböden. Was da alles zusammenkam, hat uns umgehauen. Ich konnte kaum glauben, was wir da alles fanden. Viele Stunden Videomaterial, von dem wir nicht mal wussten, dass es existiert. Und das war nur der Anfang...“
All das findet sich in den verschiedendsten Konfigurationen zusammen. CD, LP, aber natürlich auch eine Super Deluxe Box mit fünf CDs samt DVD zusammen, Kassette, Buch und zahlreiche Memorabilia inklusive. Eine Menge Futter also für Fans und Wegbegleiter, gekrönt von zahlreichen Demo-Aufnahmen, die bislang noch nie veröffentlicht wurden. „Das war für uns alle sehr emotional“, so Gitarrist Brad Delson über das Hören dieser alten Aufnahmen. „Diese frühe Energie wieder zu spüren, die wir damals fühlten, hat uns echt mitgenommen. Diese Demos versprühen eine ganz eigene Magie, die wir fast vergessen hatten. Nicht alle von ihnen haben es damals auf das Album geschafft; insbesondere die jetzt noch mal nachzuerleben, ist einfach großartig. Ich erinnere mich noch so gut daran, wie es war, als wir diese Songs schrieben. Ich hing mit Mike in seinem Apartment rum und er kochte Lachs in Alufolie. Ich glaube“, lacht er, „das war der beste Lachs, den ich jemals gegessen hatte, zubereitet in der lausigsten Küche, die man sich vorstellen kann! All das noch mal zu erleben, war erhebend.“
„Ich erinnere mich noch, dass ich es hörte und zu Tränen gerührt war.“
Die Stimmung ist gut, die Bandkollegen witzeln miteinander, haben sichtlich Freude, über alte Zeiten zu plaudern. Chester wird zwar nie direkt thematisiert, er ist jedoch eine Art unsichtbarer Teilnehmer dieser Pressekonferenz. Als das Gespräch auf den unveröffentlichten Song Pictureboard gelenkt wird, der sogenannte Heilige Gral aller Linkin-Park-Fans, wird die Band emotional. Jenes rare Stück war es immerhin, mit dem sich Bennington bein der Band vorstellte. „Ich erinnere mich noch, dass ich es hörte und zu Tränen gerührt war“, so Delson. „Ich konnte gar nicht genau sagen, was es war. In der Strophe ist er so zurückhaltend und verletzlich, und eben diese Harmonien und das Timbre konnte man immer noch in seinen Schreien hören. Chesters Stimme fegte uns einfach weg und uns war klar: Wir müssen diesen Typen kennenlernen!“
Wenig später war Bennington in der Band, die noch Xero hieß, sich aber bald schon Hybrid Theory und dann Linkin Park nennen würde. „Nach Chesters erster Probe mit uns“, so Shinoda, „konnten wir alle gar nicht aufhören, über sein großes Talent und seine Stimme zu reden. Als wir unsere ersten Aufnahmen machten, musste er selbst noch herausfinden, wie er als Sänger klingen wollte.“
„Jetzt hier zu sitzen und über ein Album zu reden, das vor 20 Jahren rauskam, ist ungemein beflügelnd.“
Stimme ist bei Linkin Park aber natürlich nur das eine. Das andere ist die Musik. Shinoda: „Wir ließen all diese zeitlosen Alben in unseren Sound einfließen, die auch uns geprägt hatten. Pink Floyd, Led Zeppelin, Nine Inch Nails, Metallica. Diese Platten wurden schon bei ihrer Veröffentlichung verehrt und hallen auch noch Jahrzehnte später nach. Diese Langlebigkeit hat uns zutiefst beeindruckt. Jetzt hier zu sitzen und über ein Album zu reden, das vor 20 Jahren rauskam, ist ungemein beflügelnd, weil es heißt, dass auch wir das geschafft haben. Kids, die Gitarre spielen lernen und sich als ersten Song ‚Papercut‘ draufschaffen, fühlt sich für mich immer noch surreal an.“
Leicht war die Wegfindung dennoch nicht, gibt Joe Hahn zu bedenken. Der Druck, die Ungewissheit, die fehlende Erfahrung… das alles sein kein Zuckerschlecken gewesen. „Alle steckten ihre Nasen in unsere Band, wollten uns verändern, Dinge aufdrängen, die wir nicht wollten. Wir mussten früh um die Identität unserer Band kämpfen und beschlossen, das auch zu tun. Hätten wir es nicht so machen können wie wir das wollten, hätten wir es auch nicht gemacht.“
Stimme einer Generation ist keine Rolle, an die man sich über Nacht gewöhnt. Linkin Park mussten dennoch schnell in das Superman-Kostüm hineinwachsen, das man ihnen plötzlich auf den Leib schneiderte. Das blieb nicht ohne Spuren, das konnte letzten Endes auch nicht den Selbstmord Benningtons vor drei Jahren verhindern. Heute kann die Band offen über ihren alten Freund reden, über gemeinsame Erfahrungen lachen. Und ob die Geschichte von Linkin Park weitergeht oder nicht: Die gemeinsamen Momente kann ihnen niemand mehr nehmen.