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Foto: United Archives/Getty Images

„The Great Commandment“: Wie Camouflage vor 35 Jahren zufällig einen Welthit landen

Es ist ihre allererste Single – und sie wird gleich zum internationalen Hit: 1987 debütieren die Süddeutschen Camouflage mit dem unvergleichlichen The Great Commandment. Und schreiben eine kurze Weile an der internationalen Synth-Pop-Geschichte mit. So kam es zu dem Überraschungserfolg.

von Björn Springorum

Bietigheim ist ein hübsches kleines Städtchen unweit von Stuttgart. Heute ist eher für Rap-Acts wie Rin oder Bausa bekannt, damals ein verschlafenes Provinznest. 1983 tun sich hier die Teenager Heiko Maile, Oliver Kreyssig, Marcus Meyn und Martin Kähling zusammen, um Musik zu machen. Damals gründet man nicht unbedingt eine Rockband, eher soll es was mit Synthesizern sein. Wave und Synth-Pop kommen so langsam ins Rollen, Bands wie Depeche Mode oder The Human League schwappen aus Großbritannien über den Ärmelkanal bis in die schwäbische Provinz. „Die Ausrichtung war von vornherein klar“, so sagte Sänger Marcus Meyn mal. „Wir wollten nie etwas anderes machen. Die Musik, die wir gehört haben, war die elektronische Musik aus England und teilweise aus Deutschland – wie etwa Kraftwerk und Can.“

Es beginnt in der Boy’s Factory

Im Keller von Mailes Elternhaus entsteht ihr erstes Studio, eine provisorische Assemblage aus Proberaum, einfacher Aufnahmetechnik und Man Cave. Der Name: Boy’s Factory.  Sie nennen sich erst Licensed Technology, später Camouflage, nach einem Lied der japanischen Elektropop-Band Yellow Magic Orchestra, und schauen mal, was man so alles mit Synthesizern machen kann. Schon im Gründungsjahr nehmen Camouflage einen Song auf, der später unter dem Namen The Great Commandment als erste Single überhaupt erscheinen soll.

Erst mal passiert nichts mit der Nummer. Kähling steigt noch vor den ersten Demo-Aufnahmen 1985 aus, 1986 gewinnen sie damit einen Radio-Contest und nehmen beim kleinen Frankfurter Label Westside einen ihrer Songs erneut auf. Genau – The Great Commandment. Sehr wahrscheinlich sehen Camouflage am 2. Mai 1986 auch Depeche Mode live mit ihrer Black Celebration Tour in der Stuttgarter Schleyer-Halle und werden vom Mega-Erfolg der Band weiter angestachelt.

Erst vier Jahre später erscheint der Song

Das schwedische Label Metronome nimmt die Band bald darauf unter Vertrag, wenig später gehen sie mit The Great Commandment zum dritten und letzten Mal ins Studio. Vier Jahre nach seiner Entstehung und ersten Aufnahme wird der Song, der Camouflage berühmt machen wird, endlich in seiner finalen Version auf Band gebracht. Wirklich viel erwartet wird von Band und Single nicht. Es ist ein allererstes Lebenszeichen, noch dazu von einer deutschen Band in einem massiv von Großbritannien beherrschten Genre… was soll da groß passieren?

Das zum Beispiel: Der epische, melancholische Song mit kruden biblischen Referenzen und dystopischen Untertönen klingt ein wenig nach Depeche Mode, trifft den Zeitgeist und knackt in über 20 Ländern die Top Ten, erreicht zudem die Spitze der US Charts und wird ein überwältigender Erfolg im Radio. Aus dem Nichts! Das dazugehörige Video ist von George Orwell und Pink Floyd inspiriert und passt zur unterschwellig unheilvollen Stimmung des Stücks. Doch Camouflage merken schnell, dass sich ein derart unverhoffter Erfolg nicht unbedingt sofort reproduzieren lässt: Das Debütalbum Voices & Images verkauft sich zwar satte 500.000 Mal weitere Single-Hits bleiben aber erst mal aus.

Einer geht noch...

Bis 1989. Auf dem zweiten Album Methods Of Silence gelingt es Camouflage erneut: Die elegische, sanfte Ballade Love Is A Shield wird zu ihrem zweiten großen Hit, der wie sein Vorgänger bis heute seinen festen Platz im Radio, auf Wave-Partys und Grufti-Festivals hat. Aus dem Schatten von Depeche Mode hatten sich Camouflage da bereits erfolgreich gelöst. Doch das Synthpop-Genre lag gemeinsam mit dem Jahrzehnt bereits im Sterben. Und damit auch die Zeit der großen Erfolge dieser Band.

Camouflage gibt es bis heute, ihre beiden größten Hits sind ewige Klassiker. 2015 veröffentlichen die Bietigheimer ihr seither letztes Album Greyscale. Und machen immer noch das, was sie gut können: Melancholischen Synth-Pop. Können auch nicht viele von sich sagen.

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