Vor 40 Jahren veröffentlichen Depeche Mode ihre erste Single. Nicht allen Kritiker*innen gefällt damals, was die Basildon-Boys da auftischen. Doch ihren Erfolg, den kann schon sehr bald niemand mehr aufhalten. Ein Blick auf die sehr gewöhnlichen Anfänge einer sehr ungewöhnlichen Band.
von Björn Springorum
Hört hier das erste Depeche-Mode-Album Speak & Spell:
Das England der frühen Achtziger ist nicht gerade ein paradiesischer Ort. Margaret Thatchers eiserner Sparkurs treibt viele Menschen in die Arbeitslosigkeit, insbesondere People of Colour, die aus den Staaten des Commonwealth zuwandern, finden keinen Job. Es ist unruhig auf den Straßen von London, 1981 berichtet der Spiegel von schlimmen Ausschreitungen in Brixton. 42 Kilometer östlich davon bekommt man davon nicht allzu viel mit: Basildon ist eine dieser typischen Reißbrettstädte in Londons Speckgürtel, entworfen, um die Überbevölkerung der Hauptstadt abzuschöpfen.
Es beginnt mit The Cure und OMD
Hier, unweit der aufregenden Metropole, wachsen Dave Gahan, Martin Gore und Andy Fletcher auf. Zunächst lebt jeder der späteren Depeche-Mode-Stammbesetzung so vor sich hin, entdeckt simultan mit dem Rest der englischen Jugend Bands wie The Cure, Ultravox, Joy Division oder OMD für sich. Lange bevor sie Depeche Mode gründen, versuchen sie sich in anderen Bands: Andy Fletcher gemeinsam mit Vince Clarke bei No Romance In China, hörbar geprägt von The Cure. Martin Gore zupfte bei Norman And The Worms die akustische (!) Gitarre, bevor er The French Look gründete. Im März 1980 dann treffen Andy Fletcher und Vince Clarke endlich mit Martin Gore zusammen, gründen Composition Of Sound und lassen sich stark von Orchestral Manoeuvres In The Dark inspirieren, die sich einige Jahre zuvor gründen.
Pfadfinder unter sich
Schon ihre ersten Gehversuche zeigen ihre riesige Begeisterung vor den Wave-Sound, der England ab den späten Siebzigern erreicht. Fad Gadget, The Human League, Siouxsie And The Banshees, all jene frühen Pionier*innen machen so viel Eindruck auf die jungen Herren, dass sie bald schon die Gitarren gegen die Synthesizer tauschen, um genau so zu klingen. Fehlt nur noch der Frontmann. Und wo findet man so einen im England der frühen Achtziger? Logo, bei einem Pfadfindertreffen! Der Legende nach wird Vince Clarke auf den kaum 18-jährigen Dave Gahan aufmerksam, als der bei einer Pfadfinderversammlung David Bowies Heroes zum Besten gibt. Leider gibt es davon kein Videomaterial.
Ein paar unauffällige Jugendliche, überwiegend aus Arbeiterfamilien, die gemeinsam Musik machen. In England damals alles andere als außergewöhnlich. Der erste Auftritt im Mai 1980 in der James Hornsby School in Basildon auch nicht. Was danach passiert aber schon eher: Depeche Mode nehmen ein Demo-Tape auf, mit dem sie bei Plattenfirmen vorstellig werden. Aber nicht, indem sie reihenweise Tapes per Post schicken: Es gibt nur ein einziges Tape, und mit dem gehen die Engländer Klinken putzen und verlangen von den Labels, dass die das Tape sofort anhören. „Die meisten sagten uns, wir sollen uns verpissen“, wird sich Gahan zehn Jahre später schmunzelnd in einem Interview mit dem Rolling Stone erinnern. Da sind Depeche Mode längst Superstars, haben alle ätzenden Kritiker*innen im eigenen Land für immer verstummen lassen – einschließlich des Rolling Stone, wohlgemerkt.
Das Erstaunliche: Es sind nach dieser Aktion tatsächlich einige Labels an Depeche Modes zunächst unschuldigem, glattem Bubblegum-Electro interessiert! „Alle machten damals so fürchterlich düstere elektronische Musik“, erinnert sich Gahan weiter. „Und auf einmal war hier diese Pop-Band, die auch elektronische Musik machte – doch anstatt nur in grauen Regenmänteln herumzustehen und über Selbstmord nachzudenken, tanzten plötzlich alle dazu!“ Den Zuschlag bekommt damals keine große Firma, sondern Daniel Millers Indie-Label Mute – eine Partnerschaft, die bis heute anhält.
Eine neue Kirche
Im Dezember 1980 ziehen Depeche Mode auf Millers Empfehlung erstmals in die Blackwing Studios ein, eine ehemalige Kirche. Hier nehmen sie die ersten Stücke ihres Debüts Speak & Spell auf, überwiegend komponiert von Vince Clarke und deswegen vergleichsweise unbeschwert, unaufgesetzt und simpel gehalten. Noch bevor Speak & Spell im Oktober 1981 erscheint, kommt vor ziemlich genau 40 Jahren die erste Depeche-Mode-Single: Dreaming Of Me, eine naive, unschuldige und recht generische Synthpop-Nummer, die meilenweit von den Depeche Mode entfernt ist, die uns ab Construction Time Again begegnen. Doch ein Anfang ist gemacht: Die am 20. Februar 1981 veröffentlichte Single klettert bis auf Rang 57 in die Charts. Die zweite Single New Life kommt sogar auf die Elf und verschafft Depeche Mode den ersten Auftritt bei Top Of The Pops.
Welche Socken trägt Vince Clarke?
Sie fahren von Basildon mit dem Zug nach London in die BBC Studios, die Synthesizer stilecht unter den Arm geklemmt. Und dann, kurz vor der Veröffentlichung des Albums, kommt Just Can’t Get Enough. Es ist ihr erster Top-Ten-Hit und die Nummer, die die Band zu Teenie-Idolen macht. Nicht allen gefällt das: Vince Clarke steigt bald darauf aus, überfordert mit dem plötzlichen Erfolg, dem Druck und der Richtung, in die Depeche Mode tendieren. „Ich glaube, er ging so weit er konnte“, so Gahan. „Wir waren in jedem Pop-Magazin, in jeder Fernsehshow. […] Alle wollten uns kennen. Vince hat meiner Meinung nach einfach das Interesse verloren – außerdem bekam er Briefe von Fans, die ihn fragten, welche Socken er trug.“
Die Presse weiß trotzdem nicht recht, was sie von Speak & Spell halten soll. Die einen bejubeln die kurzweiligen und fluffigen Synthpop-Songs, die anderen halten das Ganze für ein unerträgliches neues Aufbäumen der New Romantics. Depeche Mode ignorieren das gekonnt. Für ihr drittes Album Construction Time Again (1983) quartieren sie sich schon in den Berliner Hansa Studios ein, spätestens mit Some Great Reward (1984) sind sie weltweite Teenie-Idole. Und selbst das ist, wie wir heute wissen, nur der Anfang einer unglaublichen Karriere, die vor 40 Jahren in Basildon beginnt. Und noch lange nicht auserzählt ist: Sollten die Engländer ihrem Veröffentlichungsrhythmus seit Songs Of Faith And Devotion (1993) treu bleiben, steht 2021 ein neues Studioalbum an. Zeit hatten sie letztes Jahr ja genug…
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