1977 schockiert, verstört und verärgert Leonard Cohen mit Death Of A Ladies’ Man: Orchestraler Pomp von Phil Spector statt intimer Folk, Alkoholexzesse im Studio, Bob Dylan als unfreiwilliger Backgroundsänger und eine Pistole im Gesicht… Was war da nur passiert?
von Björn Springorum
Hier könnt ihr Death Of A Ladies’ Man hören:
Phil Spector zielt mit einer geladenen Pistole auf Leonard Cohens Hals. Seine Hand zittert nicht, die vielen Drinks merkt man ihm nicht an. Dann entsichert er sie. „Ich liebe dich, Leonard“, sagt er dann, ohne die Pistole aus Cohens Gesicht zu nehmen. „Das hoffe ich doch, Phil“, flüstert Cohen als Antwort. Danach arbeiten die beiden bis in die frühen Morgenstunden am Titelsong von Death of A Ladies’ Man, einem der besten Leonard-Cohen-Songs überhaupt.
Mehr als diese verstörende Anekdote muss man eigentlich nicht über die anarchische, toxische Entstehungszeit von Death Of A Ladies’ Man wissen. Sie zeigt, wie es 1977 um die beiden fallenden Helden steht. Cohens Karriere will vor allem in den USA nicht in die Gänge kommen, auch in Europa lässt seine Beliebtheit nach. Spector hat ganz ähnliche Probleme. Sein erratisches Verhalten bei seinen ausschweifenden Eskapaden mit John Lennon hat ihm einen ziemlich miesen Ruf eingebracht, er lebt zunehmend zurückgezogen und schwimmt in einem Meer aus Alkohol und Größenwahn.
Sessions im Eispalast
Man darf sich also zurecht fragen, wieso zum Henker sich ein Leonard Cohen ausgerechnet Spector anvertraut – zumal ihn Joni Mitchell sehr deutlich vor dieser Zusammenarbeit warnt. Doch Cohen möchte sich neu erfinden, möchte was Neues ausprobieren, radikal andere Wege gehen. Ausgerechnet durch ihren gemeinsamen Anwalt lernen sie sich kennen, der Eremit Spector lädt Cohen zu sich nach Hause ein, wo die beiden sofort damit beginnen, Musik zu machen. Cohen kommt anfangs gut mit Spector klar, ihm fällt jedoch eines sofort auf: Es ist kalt bei Spector. Eiskalt. „Es hatte 32 Grad Fahrenheit“, so sagte Cohen mal. Gut, das wären 0 Grad Celsius, was ja wahrscheinlich ein wenig übertrieben war. Dennoch verbrachte der Sänger die meiste Zeit bei Spector in einem dicken Mantel.
Der Größenwahn schlägt um sich
So gut die Chemie zwischen den beiden in Spectors Haus ist, so wahnhaft und feindlich wird die Stimmung, sobald sie mit den gemeinsam komponierten Songs ins Studio gehen. Der Produzent rekrutiert wie gewohnt einige der besten Musiker*innen, um mit ihnen und Cohen an den Songs zu arbeiten; pünktlich mit ihrem Auftauchen verwandelt er sich in den größenwahnsinnigen, unberechenbaren Zampano, der mit Feuerwaffen rumfuchtelt, brüllt, Leute zur Schnecke macht und viel zu viel trinkt. Irgendwann schauen auch mal Allen Ginsberg und Bob Dylan im Studio vorbei – und werden von Spector gleich dazu verdonnert, Backing Vocals im lüsternen Don’t Go Home With Your Hard-On einzusingen.
Showdown auf dem Sunset Boulevard
Auch die Sessions für Death Of A Ladies’ Man enden nicht offiziell. Leonard Cohen muss dieselbe Erfahrung machen wie John Lennon vor ihm: Spector taucht irgendwann einfach nicht mehr im Studio auf und verschanzt sich mit den Tapes der Aufnahmen bei sich zuhause, um das Album allein zu mixen. Cohen kann es nicht fassen: Seine bislang aufgenommen Vocals sind seiner Meinung nach lediglich grobe Skizzen für die Begleitmusiker*innen. Kurze Zeit denkt er sogar darüber nach, sich einen privaten Schlägertrupp zuzulegen, wie er mal verriet: „Ich konnte entweder meine eigene Armee anheuern und die Sache mit ihm auf dem Sunset Boulevard klären – oder die Sache einfach loslassen. Ich ließ los.“ Wohl besser so. Denn erstaunlicherweise bekommen die beiden ein bemerkenswertes Album hin.
Phil Spectors klanglicher Grandeur wird von den Kritiker*innen der Zeit indes zerrissen – ein Werk für „Musik-Sadisten“, titelt etwa der Toronto Star. Heute muss man das ein wenig differenzierter sehen: Seine ausladenden, fast schon schwülstigen Orchester-Arrangements verschaffen den gespenstischen Songs einen neuen, sehr cinematischen, epischen Rahmen, der durchaus zu den überwiegend sexuell aufgeladenen Themen des Albums passt. Death Of A Ladies’ Man ist die große Unbekannte in der Cohen-Gleichung, aber gerade deswegen ein spannendes Werk.
1991 gibt Cohen zu, dass er sich damals sehr für das Album geschämt hat. „Es war das reinste Chaos, aber das waren wohl die Zeiten damals“, erinnert er sich. „Die Drogen hatten die Kontrolle übernommen. Doch ich mag Phil, und mein Instinkt war der richtige. Ich würde es wieder tun.“ Tut er dann aber doch nicht: Cohens nächstes Album Recent Songs kehrt 1979 zum spröden, melancholischen Folk zurück und rehabilitiert ihn als großen Liedermacher. Diesen wilden Sommer 1977, den hat er aber bestimmt nie vergessen.
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