Sie ist eine der berühmtesten Todesfälle der Musikgeschichte: Heute vor 45 Jahren wird Sid Vicious’ Freundin Nancy Spungen mit nur 20 Jahren tot im New Yorker Chelsea Hotel gefunden. Was war sie eigentlich für ein Mensch?
von Björn Springorum
Nancy Spungen wird für alle Zeit die rätselhafte Leiche der Punk-Szene bleiben. Die drogenabhängige Muse von Sid Vicious, die sich mit dem Sex-Pistols-Basser irgendwann im notorischen Chelsea Hotel einnistet und sich von Heroin, Gewalt und toxischer Abhängigkeit auffressen lässt. Ihr Tod am 12. Oktober 1978 ist bis heute ebenso rätselhaft wie ungeklärt: Mit nur 20 Jahren wird Spungen tot im Badezimmer aufgefunden, eine einzelne Stichwunde im Bauch.
Sid Vicious wird lange verdächtigt, vielleicht war es aber auch Comedian und Dealer Rockets Redglare, der das Hotelzimmer der beiden in der Nacht ihres Todes aufgesucht hat. Oder doch ein instruierter Selbstmord? Fakt ist und bleibt dennoch: Es wird immer nur über den Mord und das große Mysterium von Sid und Nancy geredet. Aber fast nie über Nancy Spungen selbst.
Geplagt von Albräumen
Und natürlich kann man auch keine Bücher füllen mit einem Leben, das mit gerade mal 20 derart tragisch und früh endet. Aber man kann sich dieser Person annähern, die auf ewig mit der Punk-Bewegung verknüpft ist, die zum Mythos geworden ist, obwohl sie nie einen Song geschrieben, gespielt oder gesungen hat. Weil es aber eh viel zu wenig Frauen im Punk gibt, ist es nur recht und wichtig, auch ihre Rolle genau zu beleuchten.
Geboren wird Nancy Laura Spungen am 27. Februar 1958 in Philadelphia als Tochter einer jüdischen Mittelklassefamilie. Sie wird mit Zyanose, also einer Blauverfärbung der Haut, geboren, erstickt dabei fast an ihrer Nabelschnur. Sie kommt eineinhalb Monate zu früh auf die Welt, ihre Mutter sagte damals nur, dass sie „im Krankenhauszimmer nach einem unsichtbaren Feind trat und aus vollem Halse schrie.“ Das würde Zeit ihres Lebens nicht besser werden: Ihre Kindheit ist geprägt von Wutanfällen, sie bedroht und beschimpft ihre Geschwister Susan und David, will den Babysitter mit einer Schere erstechen und wird immer wieder von grausamen Albträumen heimgesucht.
Erster Suizidversuch mit 13
Der Rest der Familie tut sein Bestes, um für Nancy da zu sein, gerät aber immer öfter an seine Grenzen. Auch Nancy Spungen selbst ist sich zu viel, wiederholt vertraut sie ihrer Mutter an, dass sie nicht mehr leben will. Depressionen und Selbstverletzungen folgen, eine endlose Tour durch psychiatrische Einrichtungen, Krankenhäuser und Justizvollzugsanstalten folgt. Sie droht ihrem Psychiater, fliegt schon mit elf von ihrer ersten Schule, begeht mit 13 ihren ersten Suizidversuch und wird im Alter von 15 Jahren mit Schizophrenie diagnostiziert.
Mit 17 Jahren flieht sie nach New York. In der dortigen Rock’n’Roll-Szene findet sie erstmals ein Zuhause – einen Ort, an dem verhaltensgestörte Kinder wie sie als weitgehend normal akzeptiert werden. Es ist aber eben auch ein Moloch voller Drogen und Sex – alles andere als der richtige ort für ein psychisch labiles Mädchen. Sie hängt mit Aerosmith, den New York Dolls oder den Ramones ab, oft als Groupie, als Tänzerin oder als Prostituierte, um Geld für Drogen zu verdienen. In der Punk-Chronik Please Kill Me erinnert sie sich so daran: „Ich konzentrierte mich auf große Rock’n’Roll-Stars. Ich tourte eine Zeit lang mit Aerosmith herum. In einer der ersten Nächte, die ich mit ihnen verbrachte, fuhren wir in einer Limousine durch die Gegend. Ich saß auf dem Rücksitz mit Tom Hamilton auf der einen Seite und Brad Whitfield auf der anderen. Ich hatte eine Hand auf dem einen Schwanz und eine Hand auf dem anderen... Ich hatte eine gute Zeit und wurde nett behandelt.“
Nancy und Sid
Auch Iggy Pop wird bei Please Kill Me wenig ruhmreich zitiert. Er sagt dort: „Ich habe einmal die Nacht mit ihr verbracht. Sie war keine Schönheit, aber ich mochte sie. Sie hatte etwas wirklich Spritziges an sich, aber da war ich schon ein großer Junge. Mein Gedanke war also: Die bedeutet Ärger.“ Aus heutiger Sicht schrillen dabei natürlich sämtliche Alarmglocken, doch in den von Machismo und Drogen vernebelten Siebzigern war Nancy Spungen eben einfach nur ein Party-Girl, das es gern mit Rockstars tut.
Im Dezember 1976 fliegt sie mit den Heartbreakers nach London und taucht dort tief in die Punk-Szene ein. Die Sex Pistols sind gerade die Band der Stunde, genau das, wonach sie sucht. Johnny Rotten möchte nichts von ihr wissen, also lässt sie sich auf die schicksalhafte, toxische und letztlich tödliche Beziehung mit Sid Vicious ein. „Ich habe zwei Nächte lang im selben Bett wie John geschlafen, und er sagte zu mir: ‚Du willst es, aber du wirst es nicht bekommen.‘ Das heißt doch nur, dass er es auch wollte“, sagte sie 1978 im Record Maker, wenige Monate vor ihrem Tod.
Sid und Nancy werden das neue Albtraumpaar des Rock’n’Roll, eine furiose Supernova aus Drogen, Gewalt, Sex und gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Abwärtsspirale dreht spätestens hohl, als sie 1978 permanent im Zimmer 100 des Chelsea Hotel einchecken. Nancy Spungen wird nie wieder auschecken. Im Record Mirror vom 8. April 1978 sagte Nancy Spungen noch: „Ich werde mich umbringen, sobald die erste Falte auftaucht. Ich will mein gutes Aussehen nicht verlieren.“
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