Hier nehmen wir uns mal ein paar Minuten Zeit und prüfen gängige Klischees und Falschannahmen in der Musikwelt… Einfach weil wir es können bzw. einfach weil es so viel mehr Vorurteile gibt als alle Beatles, Rolling Stones und Queen-Singles zusammenaddiert (lies: sehr viele). Wir nehmen uns also ein Genre und schauen wie stichhaltig die gemeinhin als richtig wahrgenommen Annahmen sind. Zieht eure kugelsicheren Westen an, der Beschuss mit gängigen Klischees erfolgt dieses Mal zum Thema: Compton.
I) Compton ist ein vornehmlich schwarzes Viertel in L.A.
Compton ist eine 1888 gegründete Vorstadt südlich von L.A. im Los Angeles County. Dort wohnen ca. 95.000 Menschen – die größten ethnischen Gruppen bilden Latinos/Hispanics, Afroamerikaner und Weiße, wobei mittlerweile Erstere den Großteil der Bewohner ausmachen. Auch Weiße bilden keine extreme Minderheit mehr und sind prozentual nur knapp hinter den Afroamerikanern. Compton hat auch einen eigenen Senats- und Kongressabgeordneten sowie einen eigenen Bürgermeister samt Stadtverwaltung: South Central (offiziell South LA) ist eine Bezeichnung mehrerer Stadtviertel im Süden L.A.´s, die zur Stadt Los Angeles selbst gezählt werden. Darunter fallen unter anderem Viertel wie Crenshaw, Watts oder Hyde Park. Vor allem durch den Einfluss von Rap und Hip Hop werden aber entgegen der offiziellen Beschreibung auch Vorstädte und eigenständige Viertel wie Comtpon, Inglewood oder Lennox gemeinhin auch als South Central bezeichnet.
II) South Central kennt man nur wegen Gangs, Gewalt und Gangsta Rap
Wer es gerne ignorant mag, der mag da durchaus Recht haben. Stimmt aber leider nicht so ganz. In Watts fanden die für die Bürgerrechtsbewegung nicht unwichtigen Watts Riots statt, bei denen Proteste gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern in tagelangen Straßenschlachten eskalierten. Ebenso stehen dort mit den Watts Towers Ikonen moderner Kunst. Die Gegend ‚unterhalb‘ von Downtown L.A. und Beverly Hills war außerdem ein großer Industriestandort – bis in den 50er und 60er Jahren Produktionen aus den USA aus Kostengründen ausgelagert wurden. Aber man kennt es eben auch wegen Gangs, Gewalt und Gangsta Rap.
III) Heute ist South Central gar nicht mehr so krass wie früher
Tatsächlich sind die Kriminalitätsstatistiken in Detroit, dem Süden Chicagos oder Baltimore mittlerweile ‚krasser‘ als in South Central. Zum einen lässt sich das wegen der verschiedenen Verwaltungsbezirke schwer als ein Ganzes auch statistisch aufwerten, zum anderen ist das kein Titel mit dem man sich gerne schmückt. Was sich aber auch geändert hat, ist die öffentliche Wahrnehmung: Kaum eine andere Gegend auf der Welt wird so auf die Rapper und die Musik reduziert wie South Central oder Compton. Und neben den alten Helden wie Ice Cube, Snoop Dogg oder Dr. Dre stehen eben auch Newcomer wie Boogie oder neue Megastars wie Kendrick Lamar im Fokus.
Musikalisch stehen sie eindeutig in der Tradition ‚klassischer‘ L.A. Rapper, inhaltlich bringen sie jedoch teilweise in dieser Form aus South Central noch nie gehörte Differenzierung in den gesamten Problemkomplex ‚Ghetto, Gewalt, Gangs‘. Vor allem Kendrick Lamar´s To Pimp a Butterfly ist einer der wichtigsten Beiträge zur aktuellen Rassismus-Debatte in den USA überhaupt und ein Manifest der inneren Zerrissenheit eines in South Central aufwachsenden jungen Afroamerikaners.
IV) Aus South Central kommen nur Rapper
Rapper sind nun mal heutzutage mit die bekanntesten Repräsentanten ihrer Städte überhaupt, weil Rap schlicht und einfach die zurzeit populärste Musik auf diesem Planeten ist. Aber aus South Central allgemein und aus Compton im Besonderen kommen unter anderen auch zahlreiche Sportler wie die Venus Schwestern oder James Harden, Schauspieler Kevin Costner und James Coburn. Topmodel Tyra Banks, der Musiker Weird Al Jankovich oder Nirvana Bassist Kris Novoselic sind ebenfalls aus South Central. Zwar nicht gebürtig aus der Gegend, aber dennoch ein knappes Jahr 1949/50 in Compton gewohnt, hat unter anderem auch die Familie Bush, beide Präsidenten mit eingeschlossen.
V) South Central LA ist ein Paradebeispiel dafür, wie Gangs einen Stadtteil zerstören
Ja, zu einem großen Teil stimmt das. Der Nährboden für Gangs und die damit einhergehende Gewalt ist jedoch unter anderem auch politisch bereitet: Deindustrialisierung führte dazu, dass ganzen Gegenden ihre Arbeitsplätze weggenommen wurden. Dazu kamen (ähnlich wie in der Bronx in den 1950ern und 60ern) stadtplanerische Maßnahmen und damit gingen Umzugsbewegungen einher. In den 80ern unter den ‚Reagonomics‘ wurden auch zahlreiche soziale Programme seitens des Staates eingestellt, eine Steuerreform, die (vorsichtig ausgedrückt), nicht unbedingt zu Gunsten sozial schwächerer Schichten ausfiel und ebenso zu einer Senkung des Lebensstandards führte. Auf diesem Boden und mit dem Aufkommen neuer, billiger Drogen wie Crack konnten sich Gangs ausbreiten und seitdem die gesamte Gegend mehr oder weniger entscheidend prägen.