„Bob ist überhaupt nicht authentisch“: Bob Dylan und die Sache mit dem Plagiatsvorwurf
popkultur19.08.20
Bob Dylan wurde im Laufe seiner langen Karriere immer wieder vorgeworfen, sich bei anderen Künstler*innen zu bedienen und deren Werke zu kopieren. Zuletzt soll er dies bei seinem hochgelobten Album Rough And Rowdy Ways getan haben. Wir sehen uns die Sache mit dem Nobelpreisträger und dem vermeintlichen Ideenklau genauer an.
von Markus Brandstetter
Bob Dylan ist vieles. Für die einen ist der größte Songschreiber aller Zeiten, der sogar die Beatles und die Rolling Stones beeinflusst hat, die wiederum statistisch betrachtet alle anderen Bands der Musikgeschichte beeinflusst haben. Für andere ist er mehr als das: Eine Art Homer der US-amerikanischen Musik, einer in der Tradition von Shakespeare, ein Poet und Chronist, ein im Alter zum Konservator gewordener Vordenker. Es gibt aber auch diejenigen, die von Dylans Werk relativ unbeeindruckt sind und ihn wenig schmeichelnd als Plagiator und als Kopisten bezeichnen, als einen, der immer wieder Teile des Werks anderer kopiert – ohne auch nur im Traum daran zu denken, Quellen zu nennen.
„Bob ist überhaupt nicht authentisch“
So ließ Dylans Kollegin Joni Mitchell 2010 in einem Interview mit LA Times an Dylan kein gutes Haar und machte ihren Standpunkt unmissverständlich klar: „Bob ist überhaupt nicht authentisch. Er ist ein Plagiator, und sein Name und seine Stimme sind gefälscht. Alles an Bob ist eine Täuschung. Wir sind wie Tag und Nacht, er und ich.“ Aber was hat es damit auf sich?
Aktuellstes Beispiel: Rough And Rowdy Ways
Die Geschichte der Plagiatsvorwürfe an Dylan reicht weit in die Vergangenheit zurück, fangen wir aber dennoch mit einem aktuellen Beispiel an. Kurz nach der Veröffentlichung seines aktuellen (und hochgelobten) Longplayers Rough And Rowdy Ways tauchten vielerorts einmal mehr derartige Nachrichten auf, dass sich der Musiker wieder ordentlich bei anderen bedient habe. Stein des Anstoßes in diesem Fall: Das Stück False Prophets und seine Nähe zum Song If Loving Is Believing von Billy „The Kid“ Emerson aus dem Jahr 1954.
Zum Vergleich: So klingt If Loving Is Believing
Und hier Dylans Rough And Rowdy Ways
Die Leser*innen mögen sich hier selbst ihre Meinung bilden. Relativ klar sind zwei Dinge (wie auch NPR.org erklärt): Beide Songs bedienen sich als Grundgerüst einer gängigen Blues-Form – ein Genre, in dem Ähnlichkeiten durchaus vorkommen können. Tonart und Tempo sind bei beiden Stücken jedoch ebenfalls gleich – während Dylan die Form streckenweise etwas verändert. Man kann die Songs beinahe übereinander legen – somit ist schon mehr als „ein bisschen Ähnlichkeit in der Form“ da.
Dass Dylan, der Musikhistoriker, Billy „The Kid“ Emerson auf dem Schirm hat, ist wenig überraschend: So spielte Dylan zwei Stücke des Musikers (allerdings nicht If Loving Is Believing) in seiner Radio-Show Theme Time Radio Hour. Stellt sich natürlich die Frage: Zufall, Referenz, Tribut – oder doch etwa Plagiat?
Adaption, Variation und Vereinnahmung als Teil des Folk-Ethos
Dass sich Dylan bei anderen Quellen bedient, ist nichts Neues. Seit jeher baute Bob Dylan seine Songs, seine Texte, sogar seine Identität zu Teilen auf bereits Bestehendem auf. Dylans früheste Inkarnation ist eine Quasi-Faksimile der Person Woody Guthries – und der Vorgang, Geschichten und Songs zu adaptieren, sich zu eigen zu machen, auf etwas aufzubauen und es zu variieren steckt in Wesen und in der Tradition des Folk (und daher kommt Dylan schließlich). Die Adaption und Variation, das Übernehmen und Umdichten, steckt also gewissermaßen in Dylans DNA, genau wie das Behaupten einer Identität und das Spielen mit dieser.
Von Blowin’ In The Wind bis Girl From The North Country
Die Beispiele für Songs, die Dylan zu Teilen von anderen übernommen hat oder die auf alten Stücken fußen, sind gerade in Dylans früher Karriere mannigfaltig. So basiert das harmonische Gerüst von Blowin’ In The Wind auf dem Stück No More Auction Block, A Hard Rain’s A-Gonna Fall lehnt sich stark an die anglo-schottische Ballade Lord Randall an, Girl From The North Country weist etliche strukturelle und textliche Parallelen zu Scarborough Fair auf.
Allerdings bedient sich Dylan nicht immer nur an Traditionals (die oft keinerlei Copyrights aufweisen), sondern greift auch schon mal woanders zu. Auf dem 2001 erschienenen Longplayer Love And Theft soll er mehrere Passagen aus dem Buch Confessions Of A Yakuza des japanischen Autors Junichi Saga übernommen haben – ohne Quellenangabe, versteht sich. Dylans Management hielt sich damals bedeckt: : „So weit ich weiß, ist Mr. Dylans Werk original“, so sein Manager damals zum Wall Street Journal.
Nobelpreisrede von Spark Notes
Bob Dylan hat die Rockmusik revolutioniert, aber nicht erfunden. Er hat die Poesie in den Rock’n’Roll gebracht – und dabei auf bereits bestehendem aufgebaut. Und keine Frage: Bob Dylan hat sich immer wieder bei anderen Quellen bedient. Bei Traditionals, bei anderen Musiker*innen, bei Autor*innen, Büchern, Geschichten. Darauf baut Dylans Kunst, im Folk verwurzelt, zu einem guten Teil auf. Er hat sie sich zu eigen gemacht, als Fundament genutzt. Dass eine Adaption eines Traditionals ohne Copyright nicht derselben Quellenangabe wie eine Doktorarbeit bedarf, ist durchaus diskutabel. Allerdings auch, dass dies definitiv nicht in allen ähnlichen Fällen, in denen sich Dylan bedient hat, so ist.
Schwer zu glauben übrigens, dass er nicht selbst damit spielt: Seine Nobelpreisrede soll er teilweise von der Website Spark Notes übernommen haben – auf einer Website, auf der normalerweise Schüler*innen Informationen über Bücher, die sie nicht gelesen haben, herbekommen.