Expliziter Content: Vor 30 Jahren legt Ice-T den Grundstein für Body Count. Und damit für eine der außergewöhnlichsten Crossover-Geschichten seit der Erfindung der elektrischen Gitarre.
von Björn Springorum
Einfach alles an Body Count riecht nach Ärger. Die Haltung, die Attitüde, das Auftreten, das Image, das Gebaren – bad boys for life, harte Kerle aus einer harten Stadt. Heute ist das Crossover-Phänomen von Ice-T längst Kult, ein verselbstständigtes Phänomen, das fest in der Metal-Szene integriert ist. Vor 30 Jahren sah das aber noch ganz anders aus.
Hartes Pflaster LA
South Central, irgendwann 1990. Das Viertel gehört zu den berüchtigtsten in ganz Los Angeles, ein Moloch aus Gang-Kriminalität, Pimps und Drogenhandel. Ice-T alias Tracy Lauren Marrow kommt als Waise in das Viertel, in dem es fast unmöglich ist, nicht auf die schiefe Bahn zu gelangen. In der achten Klasse ist er an der Palms Junior High die Ausnahme, weil er weder trinkt noch raucht oder Drogen nimmt. Die Gangs übernehmen auch die Schule, zwingen die Kids dazu, sich einer Seite anzuschließen. Marrow hat anfangs keinen Bock darauf, liest lieber Bücher. Damals verschlingt er die Werke des Zuhälters und Schriftstellers Iceberg Slim, auch sein Pseudonym verdankt er ihm.
Mit 17 lebt er in einem eigenen Apartment, klaut und verkauft Gras, um sich und seine schwangere Freundin durchzubringen. Selbst die Army bringt ihn nicht auf den richtigen Weg. 1979 entdeckt er den Hip-Hop für sich, begeht eigenen Aussagen nach Banküberfälle, um sich Equipment zum Auflegen zu besorgen. Kurz und hart gesagt: Eine mehr oder weniger normale Jugend im kriminellen Moloch von Los Angeles.
Der Juwelendieb
Er macht sich in der Öffentlichkeit einen Namen als DJ und Rapper, im Untergrund als Teil einer Bande, die Juweliere ausraubt. Irgendwann muss er aber eingesehen haben, dass sich Verbrechen längerfristig eher nicht so auszahlt, die Musik aber durchaus vielversprechend ist. 1987 erscheint sein Debüt Rhyme Pays, autobiografisch, arrogant und überzeugend. Er verwendet schon damals Samples aus Tubular Bells und War Pigs, haut 1988 mit Power noch einen drauf. Er ist der Rapper der Stunde, sein Narrativ kommt direkt aus seinem Leben von den Straßen der Stadt der Engel.
The Iceberg/Freedom of Speech... Just Watch What You Say! Von 1989 ist ein zorniges Statement für Meinungsfreiheit, Rap-Furor allerhöchster Güte, im Opener Shut Up, Be Happy veredelt von einem Sample aus Sabbaths schwarzer Messe Black Sabbath.
Ice-T ist eben kein Rapper wie jeder andere. Sicher, er ist tief drin im Rap-Game, prägt den Gangsta-Rap wie kaum ein zweiter; er ist aber eben auch ein Typ mit einer lodernden Liebe für Hard Rock und Metal. Diese beiden Welten, so muss man nicht extra erwähnen, sind damals nicht zu vereinen. Auf dem Sunset Strip räkeln sich die Glam Rocker mit ihren toupierten Haaren in der Sonne, während in South Central die Beats wie Schüsse fallen.
Blaupause für ein Genre
Ice-T will diese beiden Welten zusammenbringen. Mit ein paar Kumpels von der High School, die seine Liebe zu Black Sabbath oder Led Zeppelin teilen, gründet er 1990 eine Band. Ihr Name: Body Count. Neben ihm sind damals Ernie C, D-Roc The Executioner, Beatmaster V und Mooseman an Bord. Von der Originalbesetzung sind nur noch Ice-T und Gitarrist Ernie C am Leben. Sie schreiben Songs, die die Blaupause für das werden, was später unter dem Namen Crossover einige Jahre lang für Furore im Mainstream sorgen wird: Rap-Attitüde, sozialkritische und politisch aufgeheizte Texte, dazu fette Gitarren und pumpende Drums. „Im Grunde wollten wir einfach eine Punk-Band“, sagt Ernie C viele Jahre später dazu. „Wir liebten diese Musik wirklich, und das hat man gemerkt.“
Das überwiegend afroamerikanische Kollegium der beiden reagiert verhalten: Harte Rapper aus South Central, die plötzlich die Musik der Weißen spielen? Ice-T kontert souverän: „Für mich ist Musik einfach Musik. Ich sehe sie nicht als Rock, R‘n‘B oder sonst was. Ich sehe sie einfach als Musik.“ Zudem betont er, dass Rock-Musik eine afroamerikanische Ursprungsgeschichte hat.
No Lives Matter
Erstmals in Erscheinung treten Body Count 1991 beim Lollapalooza. Ice-T spielt erst Hip-Hop-Songs und stellt dann seine Band vor. Krachende Gitarren und Rap, Texte über das Leben auf der Straße und Punk-Attitütde. Für viele sind Body Count das Highlight des Festivals. Und als im März 1992 ihr selbstbetiteltes Debüt erscheint, bricht die Hölle los: Schlägereien bei Konzerten, ein fetter Skandal rund um die Nummer Cop Killer, Body Counts berüchtigter Abrechnung mit Polizeigewalt. Präsident George H. W. Bush spricht sich gegen die Nummer aus, Läden, die die Platte verkaufen, werden boykottiert.
Der Sturm kann dennoch nicht aufgehalten werden: Mit Body Count erhebt sich eine neue Welt, ein musikalischer Sturm, der politisch mobil macht und kein Blatt vor den Mund nimmt. 1992 Rage Against The Machine, 1993 der wegweisende Judgement Night-Soundtrack, sehr bald die kompletten Genres Rap Metal oder Crossover: Schon erstaunlich, was passieren kann, wenn ein Musiker mal die Scheuklappen ablegt und seinem eigenen Geschmack folgt. Bis heute sind Body Count eine Hausnummer im Heavy Metal, ein Fanal für eingerissene Grenzen in den Köpfen und auf den Straßen. Ice-T mag heute älter sein. Wütend ist er immer noch. 2017 veröffentlicht er die Zornpredigt No Lives Matter, in der er gegen die Heuchelei der Weißen ansingt, die die Black Lives Matter-Bewegung unterstützen. Und wie sagt der große Chuck D von Public Enemy dazu? „Was auch immer Ice-T macht, ist genial.“ Amen.