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Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images

„The Concert For Bangladesh“: Die Mutter aller Benefizkonzerte wird 50

Kein Live Aid ohne George Harrisons epochales Concert For Bangladesh: Zum 50. Geburtstag des stargespickten Charity-Konzerts blicken wir zurück auf eine tumultartige Vorgeschichte, die triumphale Aufführung und die Probleme von Eric Clapton und Bob Dylan.

von Björn Springorum

George Harrison und Ravi Shankar verbindet zu Beginn der Siebziger eine enge Freundschaft. Anfang 1971 macht der Sitar-Meister den ehemaligen Beatle bei einem Besuch in dessen Anwesen Friar Park auf die desaströse Lage im damaligen Ostpakistan aufmerksam. Ostpakistan kämpft um die Unabhängigkeit, will zum separierten Bangladesh werden. Die pakistanische Armee tötet mindestens 250.000 Zivilist*innen, den Rest übernehmen der Bhola-Zyklon und Überflutungen. Das Land stirbt.

Westlicher Rock trifft indische Klassik

Harrison ist sofort klar, dass er etwas tun muss. Binnen weniger Wochen stellt er ein Allstar-Happening auf die Beine, das die Welt noch nicht gesehen hat. Seine Idee: Angetrieben vom mächtigen Motor der Beatles-Firma Apple Corps will er die westliche Rock-Welt mit der klassischen Musik Indiens zusammenbringen und das Ganze auch noch in der legendärsten Konzertvenue der Vereinigten Staaten aufführen – dem Madison Square Garden in New York City. „Wenn du willst, dass ich mitmache, dann mache ich lieber richtig mit“, so Harrison zu seinem Freund Shankar.

Das Bemerkenswerte: Von Anfang an ist klar, dass George Harrison selbst die Allstar-Band anführen wird. Und das, obwohl er seit dem Tourneestopp der Beatles 1966 streng genommen gar nicht mehr auf einer Bühne stand. Ach, darüber macht er sich einfach später Gedanken. Stattdessen stürzt er sich kopfüber in die Vorbereitungen und Planungen, überlegt mit seiner Frau Pattie Boyd, wen er alles rekrutieren könnte. Nach einem ersten Brainstorming hat Harrison Ringo Starr, John Lennon, Eric Clapton, Leon Russell, Jim Keltner, Klaus Voormann, Billy Preston und Badfinger auf der Liste stehen. Schon mal nicht übel.

Die Sterne stehen gut

Noch besser: Fast alle sagen sofort zu. Wenn ein George Harrison, der erst wenige Monate zuvor sein hochgelobtes All Things Must Pass veröffentlicht hat, zu einem solchen Event lädt, macht man mit, keine Frage. Ein kurzer Austausch mit einem indischen Astrologen in der Nähe von Harrisons‘ gemietetem Anwesen in Nichols Canyon bei Los Angeles empfiehlt dem Musiker einen frühen August-Termin. Und wie es der Zufall will, ist der 1. August 1971 doch tatsächlich der einzige Tag, an dem der Madison Square Garden noch zu haben ist. Die Sterne stehen gut.

In den nächsten Wochen fliegt Harrison zwischen London, New York und Los Angeles hin und her, um ein nie dagewesenes Konzert auf die Beine zu stellen. Zwischendrin nimmt er mit Phil Spector in LA noch die Single Bangla Desh auf, die erste Charity-Single der Musikgeschichte. Die Zeile „My friend came to me with sadness in his eyes, told me that he wanted help before his country dies“ wird später von UN-Generalsekretär Kofi Annan als zentrale Botschaft der Aktion gelobt.

Eine klitzekleine Anzeige in der New York Times führt derweil dazu, dass das Konzert im Handumdrehen ausverkauft ist. Ein zweiter Termin wird anberaumt, bald darauf beginnen die Proben. Die Stimmung in der Stadt ist wie elektrisiert, ganz New York kennt nur dieses Thema. Rolling-Stone-Gründer Jann Wenner beschrieb den Zustand in der Stadt als ebenbürtig mit dem des Beatles-Besuchs 1966.

Lennon schmeißt hin, McCartney zickt, Clapton leidet

Als die Planungen in die heiße Phase gehen, schmeißt Lennon entnervt hin, weil er Yoko Ono nicht auf die Bühne mitbringen darf. Von den vier Beatles bleiben somit nur noch Harrison und Starr im Line-Up – McCartney hatte sich aufgrund der schlechten Vibes rund um die Beatles-Trennung strikt geweigert, mit den anderen aufzutreten. Und es zweifellos bitter bereut.


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Ein anderer Problemfall ist Eric Clapton. 1971 ist er schwer heroinsüchtig, kaum auf den Beinen zu halten. Noch kurz vor dem Konzert wird er leblos in seinem Hotelzimmer gefunden. Er lebt zwar, steht aber total neben sich und macht auf der Bühne einen derart desolaten Eindruck, dass er sich später noch in seiner Autobiografie dafür schämen wird. Und dann ist da noch die Sache mit Bob Dylan, dem vielleicht größten Stargast des Abends. Wie Harrison, ist auch Dylan seit Jahren nicht aufgetreten. Kurz vor dem Konzert kommen ihm kolossale Selbstzweifel. „Sieh mal, das ist doch auch alles nicht mein Ding“, soll Harrison gesagt haben, „aber im Gegensatz zu mir hast du schon mal alleine vor einer solchen Menge gespielt.“

Blaupause für musikalische Charity-Events

Wie Harrison es geschafft hat, all diese empfindsamen Musikergemüter zu beruhigen und mit ihm auf die Bühne zu locken, weiß er damals wahrscheinlich nicht mal selbst. Er hat ja selbst mit Lampenfieber und Unsicherheit zu kämpfen. Doch es gelingt ihm – und die beiden Shows um halb drei nachmittags und acht Uhr abends werden zum Triumph. Harrison selbst, so zeigt der Film zum Konzert, wird mit jedem Song sicherer, Dylan wird empfangen wie ein geliebter König, der viel zu lange nicht Hof gehalten hat.

Gemeinhin gilt die Abendshow als die weitaus bessere. Zu diesem Zeitpunkt sind alle Knoten geplatzt, alle Befindlichkeiten beiseite gelegt. Endlich kann es um die Sache an sich gehen: Aufmerksamkeit und Hilfe für Bangladesh. Eröffnet von Ravi Shankar, leitet George Harrison durch Solo-Songs und Beatles-Stücke, überlässt mal Billy Preston das Feld und mal, für viele das zentrale Element, Bob Dylan die Bühne.

„Wir haben gezeigt, dass Musiker und Menschen humaner sind als Politiker.“

Die beiden Konzerte spielen 243.418 US-Dollar ein – aus heutiger Sicht über 1,6 Millionen. Bis Juni 1985 gehen mehr als zwölf Millionen US-Dollar an Hilfen aus dem Charity-Konzert nach Bangladesh. Das bleibt nicht ohne Wirkung: Die Menschen haben gesehen, dass Musik die Welt verändern kann. „Das Geld, das wir eingesammelt haben, war sekundär. Das Wichtigste war, dass wir die Nachricht verbreiten und dass dieser Krieg beendet wurde. Wir haben gezeigt, dass Musiker und Menschen humaner sind als Politiker“, so sagte Harrison 1992. Damit darf er als Urvater aller Charity-Events wie etwa Live Aid gelten, bei dem 1985 1,9 Milliarden Menschen vor den Fernsehern saßen und Geld spendeten. Die Beatles hatten eben Recht: Love is manchmal doch all you need.

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