Nach ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest 1974 kracht es bei ABBA, und zwar so richtig. Waterloo stürmt die Charts in Deutschland und Großbritannien, und selbst in den USA – für europäische Acts traditionell ein hartes Pflaster – schafft es die Single bis auf Platz 6. Ihre nächsten Hits landen die schwedischen Pop-Titan:innen wenig später mit I Do, I Do, I Do, I Do, I Do sowie mit SOS und Mamma Mia (alle 1975). Mit dem Erfolg wächst der Terminstress: Konzerte, Interviews und TV-Auftritte dominieren den ABBA-Alltag. Dennoch findet Sängerin Anni-Frid Lyngstad die Zeit, ihr zweites Soloalbum Frida ensam (1976) aufzunehmen, gemeinsam mit ihrem damals Verlobten und Mitmusiker Benny Andersson. Darauf enthalten: ein Song, den die meisten als ABBA-Hit kennen.

Beginnen wir mit der naheliegenden Frage: Wer ist eigentlich dieser Fernando? Ganz einfach: Der Name geht auf den Barkeeper eines Stockholmer Clubs zurück, den ABBA Mitte der Siebziger häufig besuchen. ABBA-Manager Stig Anderson gefällt der Klang des Namens so gut, dass er findet: Dieser Mann verdient seinen eigenen Song, zunächst auf Schwedisch. Ursprünglich ist keineswegs geplant, Fernando als ABBA-Titel zu veröffentlichen. Vielmehr ist die Idee strategischer Natur: Ein Stück, das stark nach ABBA klingt, aber exklusiv auf Anni-Frid Lyngstads Soloalbum erscheint, soll die Verkaufszahlen der Platte in die Höhe treiben. Der Plan geht auf: Neun Wochen lang führt Fernando die schwedischen Radiocharts an und wird sogar zum beliebtesten Stück des Jahres gewählt. 

Für die englischsprachige Version bauen ABBA darauf auf, schlagen inhaltlich aber einen anderen Weg ein. Während der schwedischsprachige Song Fernando von einem jungen Mann handelt, der seine große Liebe verloren hat und von der Erzählstimme getröstet wird, geht es in der englischen ABBA-Version von Texter Björn Ulvaeus um zwei ehemalige Freiheitskämpfer der Mexikanischen Revolution, die nachts unter offenem Himmel sitzen und sich an eine vergangene Schlacht erinnern. „Ich lag eines Sommerabends draußen, schaute zu den Sternen und da kam mir die Idee“, erzählt Ulvaeus in einem Interview für das Buch ABBA: The Complete Recording Sessions von Carl Palm. Fernando wird gleich noch einmal zum Hit – diesmal von ABBA.

Dass ältere Songs dank prominenter Platzierung in Soundtracks ein spätes Comeback feiern, ist längst kein neues Phänomen. Doch kaum eine Serie hat dieses Prinzip so perfektioniert wie der Mystery-Überraschungserfolg Stranger Things von Netflix. So katapultierte Staffel 4 zuletzt Klassiker wie Running Up That Hill von Kate Bush und Master Of Puppets von Metallica zurück in die globalen Streaming-Charts und präsentierte sie einer völlig neuen Generation. Auch in Staffel 5 lassen die Macher:innen musikalisch nichts anbrennen: Schon die erste Folge ließ die Streamingzahlen von Diana Ross’ Disco-Hit Upside Down steigen – und nun erfährt auch Fernando von ABBA ein beeindruckendes Revival.

„Wir haben für die Szene bestimmt 20 oder 30 Songs ausprobiert“, erklärt Matt Duffer, einer der Stranger Things-Schöpfer, im YouTube-Interview mit MovieZine. „Fernando hat sich einfach richtig angefühlt. Ich mag den Rhythmus des Songs, er hat eine filmische Qualität und ist lustig.“ Zudem klinge der Titel genau nach der Art Musik, die Serienfigur Karen (gespielt von Cara Buono) hören würde: „Wenn wir Musik aussuchen, dreht sich dabei meist alles um die Charaktere.“ So schließt sich der Kreis: Ein Song, der schon mehrere Leben hinter sich hat, findet über eine neue Generation von Fans erneut seinen Platz im kollektiven Popgedächtnis – und beweist, wie zeitlos die Songs von ABBA sind.