Musikvideos gehören in die Popkultur wie das „Galileo“ zu Bohemian Rhapsody. Besonders im Rock gibt es da einige Exemplare, die das Prädikat „wertvoll“ verdienen. Genrefremde Ehrenplätze gewähren wir Weapon Of Choice von Fatboy Slim für einen tanzenden Christopher Walken in Höchstform, Here It Goes Again von OK Go für ein One-Shot-Wonder auf Laufbändern und Kendrick Lamar für Humble und ein alles andere als demütiges Hip Hop-Meisterwerk. Aber zurück zum Thema: Schauen wir in die ikonischsten Musikvideos des Rock!
von Victoria Schaffrath
Alanis Morissette – Ironic
Das Video zu Morissettes Single aus dem Jahr 1996 konfrontiert uns mit einer schmerzhaften Wahrheit, denn ganz so lässig wie Alanis sehen wir beim Mitsingen im Auto vermutlich nicht aus. Macht aber nix, wir gucken der Kanadierin auch so gern zu, wie sie da im Auto durch die sonnengetränkte Schneelandschaft fährt und mit Versionen ihrer selbst den perfekten Roadtrip macht.
Das Video fängt diesen wunderbaren Mitsing-Moment im Auto ein: Der Wechsel von introspektiven Momenten und lautem Mitgrölen, das Gruppen-Gezappel auf der Rückbank und selbstverständlich die obligatorische Panne. Schon irgendwie „ironic“.
David Bowie – Life On Mars
Während der Text von Life On Mars schon als Kreuzung eines Salvador-Dalí-Gemäldes und einem Broadway-Musical beschrieben wurde, geht Bowie das Video eher minimalistisch an: Vor weißem Hintergrund intoniert Bowie in markantem, blauem Lidschatten, orangefarbenen Haaren und türkisfarbenem Anzug die vielleicht poetischsten Zeilen seiner Karriere. Das ausgefallenste Stilmittel bleiben die Nahaufnahmen seiner Augen. In diesem Kontext ist weniger eben doch mehr.
Foo Fighters – Learn To Fly
Zugegeben, wenn’s um Spaß-Videos geht, muss man uns nicht lange überzeugen. So geht es ja scheinbar auch Dave Grohl, der sich mal als Teufel in Tribute von Tenacious D rumtreibt und mal mit den Muppets rockt. In Learn To Fly setzen die Foo Fighters der Disziplin jedoch eine Sahnehaube mit Schuss auf.
Nicht nur die Kollegen von „The D“ holen sie sich ins Boot, jedes Bandmitglied übernimmt gleich mehrere Rollen in der Handlung, die sich am Film Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug bedient. Das Resultat: Genial bescheuert und ziemlich auf Marke für eine der sympathischsten Bands im Business. Dafür gibt’s 2000 sogar einen Grammy.
Tom Petty – Don’t Come Around Here No More
Nicht ganz so freundlich kommt 1985 Tom Petty daher: Zwar lässt er sich beim Video zur Single von Alice im Wunderland inspirieren, allerdings macht der Singer-Songwriter aus seinem Clip die Erwachsenen-Version. Als Hutmacher verpasst er der Kindergeschichte einen ziemlich psychedelischen Anstrich und verspeist am Ende gar die Kuchen-gewordene Alice. So ganz ernst mag es der Herzensbrecher ja ohnehin nicht.
White Stripes – Seven Nation Army
An optischen Täuschungen fehlt es auch den White Stripes beim Dauerbrenner Seven Nation Army nicht. Die Kamera nimmt uns mit in ein dynamisches Kaleidoskop, das Jack und Meg White im klassischen Stripes-Farbspektrum weiß, rot, schwarz abbildet. Je härter der Song, desto schneller und intensiver die Effekte. Das findet 2003 auch die Jury bei den MTV Video Music Awards ziemlich geil und verleiht dem hypnotischen Filmchen einen wohlverdienten Preis.
Nine Inch Nails – Closer
Der erste Platz im Gruselkabinett geht definitiv an NIN. Regisseur Mark Romanek leiht sich Trent Reznors Motive von Wut, Obsession und Dunkelheit und braut daraus etwas, das schwer wie eine Teamarbeit von H.P. Lovecraft und David Lynch wirkt. Das Ergebnis mutet so verstörend an, dass man das Video bei Ausstrahlung zum Teil zensiert.
Das tut der Popularität des Clips natürlich keinen Abbruch, sondern verstärkt eher dessen Anziehungskraft. Was kann man schließlich aussetzen an einem gekreuzigten Affen, einem sich drehenden Schweinekopf und Reznor, der in Lederhosen durch die Gegend schwebt? Romanek selbst macht später den Anspruch des Materials klar: „Je kaputter es aussah, desto besser.“
Peter Gabriel – Sledgehammer
Mit neun Video Music Awards bei Veröffentlichung, kontinuierlicher Platzierung in Bestenlisten und der Ernennung zum besten animierten Video aller Zeiten gehört Sledgehammer von Peter Gabriel bis heute zu MTVs Lieblingsvideos. Besser ist das, denn in der 16-Stunden-Produktion steckt eine Menge Arbeit: Den eindeutig zweideutigen Text illustriert eine komplexe Stop-Motion-Sequenz, unterstützt von einem gut gelaunten Gabriel und diversen Knetfiguren. Einige davon stellt übrigens kein anderer als Nick Park zur Verfügung, der später Wallace & Gromit sowie Shaun das Schaf erdenkt.
Gorillaz – Clint Eastwood
Ob man das von Blur-Kopf Damon Albarn ins Leben gerufene Crossover-Projekt Gorillaz zu 100 % ins Genre Rock zählen sollte, lassen wir mal offen. Ikonisch kommt der Clip zur Debütsingle Clint Eastwood allemal daher: Zeichner/Regisseur Jamie Hewlett etabliert die Comic-Charaktere der Band in unverwechselbarem Stil und verleiht der Anti-Feelgood-Hymne mit Friedhofsflair und Zombie-Referenzen den perfekten Schauplatz. Nie war Lethargie so ästhetisch.
Nirvana – Smells Like Teen Spirit
Dass Smells Like Teen Spirit Anfang der Neunziger den Grunge einer breiten Öffentlichkeit erschließt, müssen wir nicht erwähnen. Dass aber das Video mit seiner von Außenseiter*innen bevölkerten High School das Gefühl der Jugendbewegung perfekt einfängt, trägt sicherlich zur Identifikation bei. Regisseur Samuel Bayer kann zu Drehbeginn nicht gerade viel Erfahrung vorweisen; die Band erhofft sich wohl eine ungefilterte, nicht vom Kommerz geprägte Herangehensweise.
Die Moshpit am Ende spaltet die Musikhistoriker*innen: Einige berichten von frustrierten Komparsen, die das Set zerlegten, andere wiederum machen Cobain für die Idee verantwortlich. Eigentlich egal, denn das Video ist vor allem eins: authentisch. So authentisch wie das labile Grinsen des Sängers am Ende des Kurzfilms.
Today in 1991, Nirvana shot the video for "Smells Like Teen Spirit" at a studio in Culver City, California. Here's the casting call flyer. pic.twitter.com/Y4h5qI1FTZ
— Eric Alper 🎧 (@ThatEricAlper) 17. August 2019
Queen – Bohemian Rhapsody
Eine absolute Eilproduktion, die Queen da mit Bruce Gowers auf die Beine stellen: Der Regisseur sollte später dank des Erfolgs des Promo-Videos mit Michael Jackson, den Rolling Stones und Britney Spears arbeiten. Mitte der Siebziger aber wendet er beim eng budgetierten Dreh mit der Band visuelle Effekte an, die uns die Ohren schlackern lassen und – passend zum Lied – sämtliche Regeln brechen.
Die wohl bekannteste Einstellung mit den vier Köpfen vor schwarzem Grund lehnt man an das Cover von Queen II an, das seinerzeit der legendäre Musikfotograf Mick Rock (was für ein Name!) schoss. Eine Koproduktion visionärer Künstler, die das Lieblingsbild der Band da zum Leben erweckt. Der Promo-Film etabliert Musikvideos als „Muss“ und läutet eine völlig neue Ära ein. Ob die anderen Videos dieser Liste überhaupt existierten, wenn Queen mit der extravaganten Nummer nicht bewiesen hätten, wie sehr sich die aufwändige Produktion lohnt?
The Side B of Queen II, the only member of the royal family that matters... pic.twitter.com/CfjYw0ohiC
— EN FER (@EN_FER_MTL) 13. Januar 2020