Featured Image

Die musikalische DNA von George Harrison

Als der »stille Beatle« wird er gern bezeichnet. Obwohl George Harrison ein durchaus zurückhaltender Charakter war: Unfairer könnte diese Zuschreibung nicht sein! Zwar haben die Fab Four ihrem Gitarristen einige Hits wie While My Guitar Gently Weeps, Here Comes The Sun und Something sowie spannende neue Sounds wie etwa die Sitar-Klänge auf Norwegian Woood (This Bird Has Flown) zu verdanken haben, war Harrison bis zu seinem tragischen Tod im November 2001 keineswegs untätig. Seine Faszination für traditionelle indische Musik verließ ihn auch in den drei Jahrzehnten nach Ende der Beatles-Ära nicht und sein an Blues geschultes Spiel verfeinerte sich zunehmend.


Hört euch hier die musikalische DNA von George Harrison in einer Playlist an und lest weiter:


 

Zahlreiche Alben und etliche Hits schrieb Harrison, dessen Flirt mit fürs westliche Ohr dissonant klingenden Tönen vom Rolling Stone-Autoren Mikal Gilmore als »revolutionär« bezeichnet wurden - »und vielleicht von sich aus kreativer als die Avantgarde-Manierismen, die sich Lennon und McCartney von der Musik Karlheinz Stockhausens, Luciano Berio, Edgard Varèse und Igory Stravinsky geliehen haben.« Na, wenn das mal keine Ansage ist! Werfen wir also einen Blick auf die musikalische DNA von George Harrison, um herauszufinden, woher dieser gar nicht so stille Gitarrist seine Einflüsse bezog - und für die er auch schon mal vor Gericht gezerrt wurde...


01. Shahid Parvez - Raag Bhairav

Bei manchen fängt die Begeisterung für Musik bereits in der Kindheit an zu wirken, andere erleben im Teenager-Alter ihre großen Erweckungsmomente. Anders George Harrison, der noch viel früher an eine lebenslange Passion herangeführt wurde. Wenn wir seinem Biografen Joshua Greene Glauben schenken dürfen, hörte Harrisons Mutter während der Schwangerschaft jeden Sonntagmorgen die Sendung Radio India. »Sie hoffte, die exotische Musik würde dem Kind im Mutterleib Friede und Ruhe bringen.« Vielleicht erklärt sich so seine versöhnliche Art! Was aber genau lief wohl damals durch den Äther? Während in Indien schon früh der Jazz ankam und in den vierziger Jahren bereits die ersten Fundamente des Bollywood-Sounds gelegt wurden, wird es sich wohl eher um klassische indische Musik, gespielt auf Sitars und Tablas, gehandelt haben. Deren Grundstrukturen heißen Raga (oder auch Raag), die jeweils bestimmte Klangfarben repräsentieren. Der Raag Bhairav ist ein hinduistischer Morgenraga und wird dementsprechend vielleicht auch an einem verschlafenen Sonntag in Liverpool erklungen sein. Wenngleich nicht in der Version des 1958 geborenen Shahid Parvez, der allerdings als ein Meister seiner Zunft gilt.


02. Ravi Shankar - Gat Kirwani (Portrait Of Genius, 1965)

Seinen eigenen Meister fand Harrison gut zwei Jahrzehnte später im Heimatland der Ragas. Ravi Shankar tourte Ende der fünfziger Jahre mit seiner Sitar durch die USA, wo er das Interesse von Richard Bock weckte, auf dessen Label World Pacific Records er im Folgenden einige Alben veröffentlichte. Es brauchte eine Party auf dem Anwesen von Zsa Zsa Gabor, ein paar LSD-Trips und Roger McGuinn von der Folk-Bands The Byrds, damit Harrison mit dem Werk des Sitar-Spielers vertraut wurde - erzählte zumindest McGuinn 2010 in einem Interview. »Ich habe George Harrison ein paar Ravi Shankar-Sounds gezeigt, die ich gehört hatte, weil wir auf demselben Label veröffentlichten«, erinnert er sich an eine offenbar denkwürdige Nacht. Nur ein Jahr später trafen sich Shankar und Harrison zuerst in London, bevor Harrison beim Inder in dessen Heimat für eine Weile in die Lehre ging. Der Beginn einer langen Freundschaft, die unter anderem in einem großen Benefizkonzert für die Geflüchteten des Banglesch-Befreiungskrieges, mehreren Alben und gemeinsamen Tourneen resultierte. »Er war die erste Person in meinem Leben, die mich beeindruckte«, erinnerte sich Harrison einst an den Weggefährten. »Und die einzige Person, die mich nicht zu beeindrucken versuchte.« Der Eindruck sollte dennoch ein nachhaltiger sein.


03. Elvis Presley - Heartbreak Hotel

Trotz prominenter Unterstützung durch einen weltbekannten Sitar-Meister blieb Harrison bescheiden. Nachdem er das Instrument zwei Jahre studiert hatte, soll ein Treffen mit Eric Clapton und Jimi Hendrix ihn zur Besinnung gebracht haben. »Mir ging auf, dass ich kein großartiger Sitar-Spieler werden würde«, erinnerte er sich. »Weil ich 15 Jahre eher hätte anfangen müssen!« Es blieb die Rückkehr zu seinem eigentlichen Instrument, der Gitarre. Der Sound des Rock’n’Roll hätte den damals 12-jährigen schließlich beim ersten Mal fast vom Fahrrad gefegt: Aus einem Haus heraus dröhnte Elvis Presleys Heartbreak Hotel, der im Januar 1956 erschienen war und den grauen Alltags Liverpools schlagartig ein wenig bunter schienen ließ. Seitdem war Harrison im Klassenraum in der letzten Reihe dabei zu beobachten, wie er Gitarren auf seine Schulbücher kritzelte. »Ich war total in Gitarren verschossen«, grinste er. Noch Ende desselben Jahres sollte sein Traum wahr werden: Sein Vater kaufte dem kleinen George eine Dutch Egmond-Akustikgitarre und er konnte sich bald selbst daran machen, auf Herzensbrechertour zu gehen.


04. Bill Justis - Raunchy

In nur zwei Jahren sollte sich George genug Fähigkeiten anlernen, um seinen Kumpel Paul mit seiner Interpretation von Bill Justis’ Instrumental Raunchy so sehr zu beeindrucken, dass dieser sofort seinem Bandkollegen John davon erzählte. Paul? Natürlich, McCartney! Und John hieß mit Nachnamen selbstverständlich Lennon. Die Band allerdings nannte sich damals noch The Quarrymen und spielte rotzigen Skiffle, als Harrison ihnen 1958 in einem Club ein Stück zur Probe vorspielte: den Guitar Boogie Shuffle von Arthur Smith. Lennon aber zeigte sich vor allem deshalb kritisch, weil der Gitarrist zweieinhalb Jahre jünger war als er selbst. Überzeugen konnte Harrison die Band erst mit seiner Performance von Raunchy, die er der Legende nach auf dem Oberdeck eines Busses vorbrachte! Seitdem half er hin und wieder an der Gitarre aus, bevor er still und heimlich zum Vollzeitmitglied und Leadgitarristen der Beatles wurde, wie sich die Quarrymen seit August 1960 offiziell nannten. Der Rest ist Geschichte.


05. Buddy Holly - Words Of Love

Schon der Name der Beatles enthielt eine recht offensichtliche Anspielung auf einen großen Gitarristen, dessen bluesgefärbtes Spiel auch Harrison nachhaltig beeinflussen sollte. Buddy Holly und seine Crickets stehen für eine der vielen Seiten des Beatles-Sound, wie er in ihren Anfangsjahren massiv von Harrison mitgeprägt wurde. Zugleich inspirierte ihn auch das Fingerpicking von Carl Perkins, seines Zeichens ein Idol von Elvis Presley. Dessen Country- und Rockabilly-Feeling floss so auch in die Musik der Beatles ein, vor allem aber hatte es Harrison das abenteuerliche Spiel eines Buddy Holly angetan. Der hatte in den nur 18 Monaten, in welchen er professionell Musik veröffentlichte, weit vorgelegt. »Holly hat die Rock-Band geradezu erfunden«, jubilierte einst der Rolling Stone. Die Beatles zumindest ließen sich von ihm so weit inspirieren, dass der Folk-Sänger John Mellencamp sich zu einer wagemutigen Aussage hinreißen ließ: »Nimm die Stimmen weg und du hast Buddy Holly!« Nun ja, so viel zumindest stimmt: Ihr Cover von Words Of Love hält sich treu an das unsterbliche Original. Und Harrison, der den Lead-Teil übernimmt? Spielte sogar die gleiche Gitarre wie sein Held!


06. Bob Dylan - It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry

Es sollte allerdings noch eine ganze Weile dauern, bis Harrison selbst ins Spotlight trat und 1968 mit seinem ersten Soloalbum die Welt verblüffte. Drei Jahre zuvor jedoch zeigte sich sein subtiler Einfluss auf die Band. Rubber Soul war zweifelsohne von Bob Dylans Folk-Rock geprägt. Ratet mal, wer dafür verantwortlich war! Harrison selbst gestand, dass die Platte sein Lieblingsalbum der Beatles war - ganz anders als etwa Sgt. Pepper: »Da mag ich rund die Hälfte der Song und die anderen kann ich nicht ausstehen.« Na sowas! Dylans Einfluss auf Harrison sollte sich spätestens mit dem Besuch des legendären Woodstock-Festivals 1968 nur vergrößern und resultierte schließlich im Jahr 1970 mit ersten gemeinsamen Aufnahmen für das Dylan-Album New Morning, der noch viele weitere folgen sollten - und die Traveling Wilburys, das gemeinsame Projekt der beiden mit Jeff Lynne, Tom Petty und Roy Orbison sei natürlich auch nicht zu vergessen! »Wenn George seine eigene Band gehabt und eigene Songs geschrieben hätte, wäre er genauso groß wie sonst jemand geworden«, vermutete Dylan einst. Dass er ihn aber mit Songs wie It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry ein paar wichtige Songwriter-Kniffe gelehrt hat, sollte dabei nicht unterschlagen werden. Harrison spielte 1971 ein Cover des Songs auf dem großen Bangladesch-Benefizkonzert.


07. Chiffons - He’s So Fine

Im selben Jahr handelte sich Harrison allerdings einigen Ärger ein! Nachdem er im November 1970 sein gigantisches Solo-Album All Things Must Pass veröffentlicht hatte, wurde er für seine persönliche Hymne an den Hindu-Gott Krishna verklagt! Der Vorwurf: Der Song My Sweet Lord solle ein Plagiat des Chiffons-Stücks He’s So Fine sein! »Warum habe ich das nicht selbst gemerkt?«, schrieb Harrison später reumütig in seiner Autobiografie I, Me, Mine, als ihn andere auf die offenkundigen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Kompositionen hinwiesen. Zu spät: Der Fall ging vors Gericht und die Chiffons selbst ließen es sich nicht nehmen, eine Coverversion von My Sweet Lord aufzunehmen, um damit auf den Prozess aufmerksam zu machen, der sich ganze fünf (!) Jahre hinziehen sollte. Richter Richard Owen sah sich letzten Endes zu einem Urteil gezwungen, das ihm selbst nicht zu schmecken schien. »Hat Harrison absichtlich die Musik von He’s So Fine verwendet?«, fragte er in seinem Urteil. »Ich glaube nicht, dass er es mit Absicht tat. Trotzdem ist klar, dass My Sweet Lord derselbe Song wie He’s So Fine mit anderen Lyrics ist. Das ist rechtlich gesehen ein Verstoß gegen das Urheberrecht und bleibt das auch, wenn es unbewusst geschieht.« Die Wut über das von ihm als ungerecht empfundene Urteil verarbeitete Harrison noch im selben Jahr in This Song. Allein, es half alles nichts: Er wurde gehörig zur Kasse gebeten. Wie es ebenso ist - nicht alle Einflüsse sind wirklich bereichernd!


08. George Formby - Happy Go Lucky Me

Dabei tat Harrison doch sonst alles, damit die Vergessenen ins rechte Licht gerückt werden. George Formby etwa, der während der dreißiger und vierziger Jahre Weltruhm als Comedian, Schauspieler und Musiker Weltruhm erlangte und dessen Arbeit an der Ukulele von Harrison weiter gewürdigt wurde. Tatsächlich nämlich war der nicht allein Fan von indischer Musik und Sitars, sondern auch hawaiianischen Klängen. Angeblich soll er sogar stets mit zwei Ukulelen gereist sein, sollte er jemanden treffen, der das Instrument ebenfalls spielt! Laut Aussagen seines Sohns Dhani wurde seine Leidenschaft Ende der achtziger Jahre geweckt und hielt lange nach. »Ich glaube nicht, dass George Formby einen größeren Fan als George Harrison hatte«, sagte selbst der ehemalige Vorsitzende der George Formby Appreciation Society, Ray Bernard. Wieder soll es die Mutter gewesen sein, die ihn an die für ihn später so wichtige Musik geführt hatte. Zumindest meinte sich Harrison daran zu erinnern, ihr beim Mitsingen zugehört zu haben, wenn Formby-Songs im Radio liefen. Was er an Formby so verehrte? Es seien »lustige, sehr unbeschwerte« Stücke, ließ sich Harrison zitieren. Happy Go Lucky Me - der Titel eines Formby-Lieds spricht Bände!


09. The Monkees - Star Collector

Nicht aber allein mit Sitar und Ukulele begab sich Harrison auf neue musikalische Pfade. Schon früh begann er mit wilden Soundexperimenten, die erstmals 1968 auf seinem Album Wonderwall Music zu hören waren. Ein Höhepunkt von Harrisons Abenteuerlust ist zweifelsohne das 1969 veröffentlichte Electronic Sound. »Es ist nicht mehr als eine zusammengewürfelte, unverarbeitete Sammlung von Geräuschen und Effekten, die er auf seinem brandneuen Moog-Synthesizer eingespielt hat«, schäumte selbst Harrison-Biograf Ian Inglis in seinem Buch The Words and Music of George Harrison. Die Kritik empfand es ähnlich, am meisten aber fühlte sich ein gewisser Bernie Krause auf den Schlips getreten. Der nämlich hatte den Moog früh entdeckt und unter anderem in The Monkees’ Version von Star Collector eingebracht. Harrison lernte ihn während einer Aufnahmesession mit Jackie Lomax kennen und war sofort fasziniert von dem neuen Gerät. Er bat Krause um eine Einführung, die er sogleich mitschnitt und Krause zufolge als No Time or Space auf Electronic Sound veröffentlichte. Zu einer Klage kam es dieses Mal nicht, allerdings wurde Krause im Innensleeve genannt - neben den Katzen Harrisons. Das für ein Album, das Kritik wie Fans gleichermaßen verstörte? Hätte er sich vielleicht doch lieber an den Monkees orientiert, welche die verrückten Sounds des Moogs in mitreißenden Pop einbetten konnten!


10. Regina Spektor - While My Guitar Gently Weeps

Wie das Zusammenspiel von Pop und Pop-fremdem Instrumentarium funktioniert, hatte Harrison doch schließlich im Laufe seiner Karriere oft genug bewiesen. Dass Regina Spektor für ihre Coverversion des von Harrison geschriebenen Beatles-Klassikers While My Guitar Gently Weeps auf unter anderem klassische asiatische Instrumente zurückgriff, wird nicht allein dem Inhalt des Films Kubo And The Two Strings geschuldet sein, auf dessen Soundtrack ihr Cover zu finden ist. Vielmehr knüpft ihre Version ebenso an Harrisons Neugier für nicht-westliche Klänge an. »Ich bin ein gigantischer Beatles-Fan«, sagte sie dazu in einem Interview. »Aber dieser Song ist klanglich an die Welt des Films angepasst, und es ist im Grunde ein Samurai-Film.« Den Spirit der Beatles und insbesondere Harrisons wollte sie darin aber unbedingt wahren. Wie ginge das besser, als etwas über den Tellerrand hinauszuschauen? Denn das war auch das eigentliche Lebensprojekt des viel zu früh verstorbenen Ausnahmemusikers: Neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, um unsterbliche Musik zu schreiben. Wir meinen: Es ist ihm gelungen.


Das könnte dir auch gefallen:

The Beatles – Abbey Road: Ein letztes Mal Beatlemania!

Die musikalische DNA der Beatles