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Foto: Dave Hogan/Getty Images

Entgegen aller Erwartungen: Diese Musiker*innen ließen sich durch nichts aufhalten

Von Def-Leppard-Drummer Rick Allen bis zu Ray Charles: Sieben unglaubliche Geschichten über die heilende Kraft der Musik und die Magie der Entschlossenheit.

von Björn Springorum

Wenn dir das Leben Zitronen gibt, so sagt man ja mal ganz gern in einem Anflug von Kalenderblattweisheit, dann mach einfach Limonade draus. Es gibt aber einige Menschen da draußen, die vom Leben mehr als Zitronen um die Ohren gehauen bekommen haben. Eher so was wie Backsteine, die in Zitronenscheiben gehüllt wurden, oder so. Wo viele von uns längst aufgegeben oder sich in die Einsamkeit zurückgezogen hätten, stehen diese sieben grundverschiedenen Musiker*innen wie kaum jemand sonst für die allumfassende Kraft der Musik. Und dafür, dass es immer irgendwie weitergeht. Wenn man es nur möchte.

Rick Allen (Def Leppard)

Der Blueprint aller musikalischen Wundergeschichten wurde von Rick Allen verfasst. In der Silvesternacht 1984/1985 verliert der Def-Leppard-Drummer die Kontrolle über seine schwarze Corvette Stingray, wird durchs Dach geschleudert und verliert seinen Arm. Alle sagen ihm, dass er nie wieder Schlagzeug spielen würde. Er will davon nichts hören, lässt sich von Pete Harley ein spezielles Drumkit designen und kämpft sich mit unglaublicher Willensstärke zurück auf die Bühne. Der erste große Auftritt mit Def Leppard steht dann am 16. August 1986 bei Monsters of Rock in Donnington an. „Bis heute ist das einer der Top-5-Momente in meinem Leben“, sagte der „Thunder God“ vor wenigen Jahren in diesem Artikel.

Ray Charles

Der Blues war immer schon voller blinder Sänger, die diese Einschränkung gleich auch im Namen trugen: Blueser wie Blind Lemmon Jefferson oder Blind Willie McTell waren damals keine Ausnahme. Ray Charles hieß nie Blind Ray Charles. Er wehrte sich sogar vehement dagegen, als man seine Blindheit mal auf Konzertplakaten anpreisen wollte. Dabei ist er eigentlich der Archetypus des blinden Sängers mit der Sonnenbrille, die Blues-Ikone, an der sich alle messen müssen. Blind ist er seit seinem sechsten Lebensjahr. Das bedeutet, dass Charles wusste, wie die Welt aussieht, bevor er erblindete. Entmutigen lässt er sich davon nicht. Er lernt Klavier mithilfe der Brailleschrift und erarbeitet sich seine Welt neu. „Nur weil du dein Sehvermögen verloren hast, heißt das noch lange nicht, dass du auch deinen Verstand verloren hast“, ist lange sein Wahlspruch.

Stevie Wonder

Stevie Wonder ist noch ein Neugeborenes, als er sein Sehvermögen verliert. Schuld daran ist eine Netzhautkrankheit, verursacht durch die noch unterentwickelten Netzhautgefäße. Schon als Kind soll er seiner Mutter gesagt haben: „Mach dir keine Sorgen um mich, weil ich blind bin. Ich bin glücklich!“ Das ist im Grunde ein echtes Wunder, denn zu seiner Blindheit lebt die Familie außerdem in Armut – mit einem Vater, der Trinker war und seine eigene Frau zum Anschaffen zwingt. Wonder hält das nicht ab, schon in jungen Jahren zum Motown-Star zu werden, mit Michael Jackson und Prince zu arbeiten und natürlich Hits wie Superstition abzuliefern.

Tony Iommi (Black Sabbath)

Die Erfindung des Heavy Metal hätte wohl noch ein wenig länger gedauert, wenn Tony Iommi mit 17 keinen folgenschweren Unfall in einer Stahlfabrik erlitten hätte: Eine Maschinenpresse trennt ihm die Fingerkuppen am Mittel- und Ringfinger der rechten Hand ab. Wie Rick Allen bekommt auch Iommi zu hören, dass er nie wieder Musik machen würde. Doch der Gitarrist ist dickköpfig genug, um auf all das zu pfeifen. Er bastelt sich erste Prothesen aus Seifenflaschen und entwickelt so einen Spielstil, der viel härter ist als er das eigentlich beabsichtigt. Zusätzlich stimmt er seine Gitarre tiefer und bespannt sie relativ lose. Die Erfindung des Heavy Metal ist also, so könnte man sagen, ein Unfall.

Nico

Die Sängerin Nico ist eine der tragischsten und faszinierendsten Figuren der Rock-Geschichte. In ihrer Zeit mit Andy Warhol und The Velvet Underground wird sie gleichzeitig zur Muse, zum Weltstar, zum Sexsymbol, später fällt sie eher durch ihre Heroinabhängigkeit und schwierige politische Äußerungen von rechtsaußen auf. Was viele nicht wissen: Sie ist auf einem Ohr taub. Das führt häufig dazu, dass sie sich sehr zur Belustigung ihrer Bandmitglieder versingt und total im Ton vergreift. Der ungebrochene Zauber ihrer Stimme ist davon unbeeinträchtigt.

Hank Williams

Seine Flamme brennt kurz, aber dafür umso gleißender: Mit nur 29 Jahren segnet Hank Williams im Jahr 1953 das Zeitliche. Sein Vermächtnis ist gewaltig: Er ist der Begründer und zugleich der erste Superstar des modernen Country, der von 1946 an sehr schnell zu Ruhm und Ehre in Nashville aufsteigt. Doch mit dem Erfolg kommt auch das Leid: Von Geburt an leidet er unter einer Fehlbildung der Wirbelsäule, die ihm infernalische Schmerzen bereitet und in die Arme des Morphium treibt. Mit 29 muss er ein Korsett tragen und mitansehen, wie sein Körper ebenso den Bach runtergeht wie seine Karriere. Die Jahre davor jedoch, die kurze, aber lodernde Glanzzeit Ende der Vierziger, steht Williams trotz aller Schmerzen mit Bravour durch.

Wallis Bird

Die Irin Wallis Bird hielt ihre erste Gitarre schon im Alter von zwei Jahren in den kleinen Händchen. Das mag von ihrem Vater, einem Pub-Besitzer, reichlich früh erscheinen. Es hat aber seine Gründe: Als Einjährige steckt Bird ihre linke Hand in einen Rasenmäher und verliert alle Finger. Vier davon können wieder angenäht werden, doch der Unfall bleibt nicht ohne Folgen: Bis heute spielt Bird eine Rechtshändergitarre – seitenverkehrt und ohne den kleinen Finger, und mit einer ganz eigenen Selbstverständlichkeit.