1981 ist Falco noch kein Solokünstler, sondern ein Teil des anarchistisch-politischen Punk-Kollektivs Drahdiwaberl. Bei Auftritten dieser Band mag es Sex und andere Ferkeleien auf der Bühne geben; vor allem ist ihr erstes Album Psychoterror Falcos Sprungbrett in eine beispiellose und verheerende Karriere.
von Björn Springorum
Hört euch hier Psychoterror an:
1962 in Wien. Johann Hölzel kommt gerade aus der Wiener Musikakademie gelaufen. Er ist fünf Jahre alt, und eigentlich nennen ihn alle nur Hans. Soeben ist etwas passiert, das sein Leben verändern wird. Man hat ihm ein absolutes Gehör bescheinigt. Eine große Sache an sich, doch Hans weiß nicht so recht, was er mit dieser Information anfangen soll. Ein Wunderkind, wie die Eltern damals vielleicht noch hoffen, will zumindest nicht zu recht aus dem kleinen Hans werden. 1973, mit 16, hat er so viele Fehlstunden angehäuft, dass er die Schule verlässt und eine Lehre zum Bürokaufmann beginnt. Auch die bricht er rasch ab. Es ist nicht so recht das, was er sich unter seinem Leben so vorstellt. Und wenn man eben weiß, dass Johann Hölzel viel besser unter dem Namen Falco bekannt ist, dann wundert das nicht.
In den Jazz-Clubs von West-Berlin
Lange bevor er als Solokünstler auf Hügeln voll Schnee in Richtung Tal rast, findet Hölzel seinen Weg in die Musik. Mit einem solchen Gehör ist der praktisch vorgezeichnet. Erst mit der Band Umspannwerk, dann am Wiener Musikkonservatorium. Da hat es ihm in etwa so gut gefallen wie als Bürokaufmann-Azubi: Er verlässt das Konservatorium nach nicht mal einem Semester, geht nach West-Berlin. Hier lebt Hölzel als Jazz-Bassist, hier lernt er das Leben als Bühnenmusiker im Schatten der Mauer kennen. Rastlos und vielleicht auch ein wenig ratlos kehrt er nach Wien zurück, klimpert ein wenig beim Ersten Wiener Musiktheater und macht sich, nun schon als Falco, einen Namen.
Das bleibt auch der Anarcho-Band Drahdiwaberl nicht verborgen, die ihn 1978 verpflichten. Da sind sie längst ein echter Wiener Skandal, eine linkspolitische Band, deren 2018 verstorbenes Oberhaupt Stefan Weber das hehre Ziel hat, Drahdiwaberl zur „extremsten und obszönsten Band“ Wiens zu machen. Zuhause in der Wiener Kunstszene, schafft Weber das mit links: Es gibt Sex auf der Bühne, es wird sich eifrig in Essensresten gesuhlt, es wird auf konservative Printmedien gepinkelt und 1972 sogar mal ein Schwein auf der Bühne tranchiert.
Plastik über Designeranzügen
Falco, damals noch Teil der Hallucination Company, findet Gefallen an den extremen Anarchos, spielt mit. Bei Konzerten weiß er sich clever zu helfen: Um bei Auftritten gegen Essen, Urin oder sonstige Körperflüssigkeiten geschützt tu sein, trägt er Plastikfolien über seinen Designeranzügen. Obwohl Falco vor allem Bassist ist, tritt er bei Drahdiwaberl dann und wann auch als Sänger und Songwriter in Erscheinung. Sein erster Beitrag für die Gruppe: „Ganz Wien“, ein längst legendäres Lied über den Drogenkonsum der österreichischen Hauptstadt rund um den infamen U4-Club, wird in gewissen Kreisen zum Hit und schnell Kult. Vollkommen unwissentlich legt Falco mit dem Lied und vor allem dessen Live-Vortrag den Grundstein zu einer Solokarriere, die nicht nur in Österreich seinesgleichen sucht. Und besingt mit spitzer Zunge Substanzen, denen er selbst sehr bald verfallen wird.
1981 ist davon noch nichts zu spüren – nichts vom Erfolg, aber auch nichts von den Drogen. Drahdiwaberl bringen nach zwölf Jahren provokanter Existenz mit Psychoterror ihr Debüt heraus, ein wilder, wirrer und politisch inkorrekter Cocktail aus Punk, Rock und Comedy. Es geht um die Wiener Oberschicht, um die Eliten und deren Unterdrückung aller anderen. Zentrales Brennglas des Albums ist Falcos Ganz Wien – und das fast schon unabsichtlich: Weil die Nummer nicht zum Rest des überdrehten Anarcho-Rocks passt, dient sie auf der Bühne anfangs als Pausenfüller zwischen zwei Gangbang-Nummern. Falco trägt sie Anfangs allein mit seinem Bass am Bühnenrand vor und macht mehr und mehr Leute auf sich aufmerksam – darunter auch Markus Spiegel, der schon beim Produzieren des ersten Drahdiwaberl-Album den Plan fasst, Falco als Solokünstler unter Vertrag zu nehmen.
Die Rakete hebt ab
Wie sich herausstellt, ein herausragender Riecher: Er bringt Falco mit dem Musikproduzenten Robert Ponger zusammen, gemeinsam erschaffen sie noch 1981 Der Kommissar. 1982 setzt die Nummer den ersten Meilenstein auf dem Weg zum weltweiten Phänomen: Sieben Millionen verkaufte Einheiten, sogar in Guatemala auf der Eins. Heute gilt Der Kommissar als weltweit erster kommerziell erfolgreicher Rap-Song eines Weißen. Da hätte der junge Hans ganz schön gestaunt, wenn man ihm das 1962 erzählt hätte.
1983 steigt Falco bei Drahdiwaberl aus. Sie existieren auch nach Falcos Höhenflug, Sinkflug und Tod weiter, 2004 erscheint das letzte Album Sitzpinkler. Falcos Beteiligung an der Band mag kurz gewesen sein; sein Engagement, sein Talent und vor allem natürlich sein Schmäh zeichnen seinen Beitrag auf Psychoterror auch 40 Jahre nach der Veröffentlichung noch aus. Wie Drahdiwaberl seinen Ausstieg und seine steile Karriere werten, kann man sich denken: 1986 veröffentlichen sie ein Album mit dem vielsagenden Namen Jeannys Rache. Darunter gibt es mit Jeanny Part 13 eine freche Parodie an Falcos großen Hit. Was Johann Hölzel wohl davon hielt? Es dürfte ihm angesichts seines Erfolgs fast schon egal gewesen sein.
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