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Foto: Universal Music

Fehlfarben im Interview: Über die Neuauflage von „33 Tage in Ketten“ und Ärger von der Stasi

Fehlfarben legen ihr damals ungeliebtes, jetzt neu entdecktes zweites Album 33 Tage in Ketten neu auf Vinyl auf. Im Interview erzählt Gitarrist Thomas Schwebel, wie chaotisch die Zeit damals war und wieso er jetzt zufrieden auf das Album blickt.

Im Schatten des Debüts

Monarchie und Alltag: ein Klassiker, eines der besten Post-Punk-Alben der 80er, eines der besten deutschen Alben überhaupt – ach, und ein Jahr später haben die Fehlfarben ein zweites Album veröffentlicht? Kenn ich nicht. So wirkt es manchmal, wenn man der Musik der Fehlfarben zuerst begegnet, und auch damals schien ihr Debütalbum Monarchie und Alltag alles zu überschatten, was danach kommen sollte. Zumindest kam ihr Zweitwerk 33 Tage in Ketten damals in den Kritiken nicht so gut weg, obendrein hatte auch noch der charismatische Sänger Peter Hein die Band verlassen. Keine guten Bedingungen für eine Band, die gerade so richtig durchstarten wollte.

Nun aber bringen die Fehlfarben 33 Tage in Ketten in einer remasterten und limitierten Variante zurück auf Vinyl, inklusive signiertem Artprint, unveröffentlichten Aufnahmen und anderen Raritäten aus der Zeit – sie scheinen also doch noch Gefallen daran gefunden zu haben.

33 Tage in Ketten neu entdecken

Das war aber nicht immer so. Im Interview erklärt Gitarrist Thomas Schwebel – der damals dann auch zum Sänger ernannt wurde: „Wir hatten ein schweres Problem damit, die Platte offensiv so wirklich zu vertreten – gerade im Vergleich zu Monarchie und Alltag. Sodass ich dann jahrelang auch ein sehr gespaltenes Verhältnis zu dieser Platte hatte und mir die gar nicht anhören mochte. Und dann habe ich über die Jahre langsam aber sicher immer mehr Leute getroffen, die diese Platte ganz toll fanden, für die es teilweise auch die erste Fehlfarben-Platte war. Die hatte sich in der Zeit eigentlich super gut verkauft, aber die Kritiken waren eben ziemlich schlecht. Und über die Jahre habe ich erst langsam wieder wirklich ein entspannteres Verhältnis gekriegt und merke jetzt, dass die wirklich sehr viele eigene Fans und eine eigene Geschichte hat.“

Angegriffen und mit Senf beworfen

Nach dem erfolgreichen Debüt plötzlich in der Öffentlichkeit angelangt zu sein, bedeutet nicht immer ein angenehmes Willkommenheißen. So erzählt Schwebel etwa von einem chaotischen Festivalauftritt, gemeinsam mit DAF und anderen Bands. Der Hype um DAF war groß, die Wildheit des Publikums aber ebenso. „Das Publikum hat die anderen Bands kaum machen lassen auf der Bühne. Wir wurden körperlich angegriffen, unser Gitarrist hat einen ganzen Eimer mit Senf vom Würstchenstand abgekriegt und es war eine absolut aggressive, üble Atmosphäre.“

Nun, Jahrzehnte später fand Schwebel eine alte Konzertkritik zu dem Festivalauftritt, die ihn überraschte: „Da stand, dass Fehlfarben die beste Band des Abends war – was ich völlig absurd und verrückt fand, weil das für mich 45 Jahre lang der absolute Horror war, die Erinnerung an dieses Konzert.“

Wenn man sich nun, fast 45 Jahre später, nochmal 33 Tage in Ketten zu Gemüte führt, merkt man: Da ist doch einiges da, was man an den Fehlfarben liebt. In Songs wie Schlaflos nachts baut die Band wieder gekonnt eine düstere Atmosphäre auf und entlädt sie beispielsweise in dem ruppigen Highlight Die wilde Dreizehn.

Entfremdung vom Mainstream

Kam die Platte also einfach zum falschen Zeitpunkt? Wie Schwebel erzählt, war das eigentlich der Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle, wozu Fehlfarben mit Hits wie Ein Jahr (Es geht voran) ja irgendwo auch noch gehörten – wenn sie auch etwas punkiger waren. Fehlfarben schienen aber nicht genau in das hineinzupassen, was die Mainstream-Öffentlichkeit aus der NDW-Bewegung zog. Das veranschaulicht eine Anekdote über einen Auftritt in der legendären Musik-Fernsehsendung Beat-Club.

„Das war die erste TV-Aufzeichnung, wo ich als Sänger aktiv war“, erinnert Schwebel sich. „Und Neuland war eben das Fernsehstudio. Das war schon eine sehr merkwürdige Atmosphäre. In einem Fernsehstudio mit einem Publikum, das nichts mit uns zu tun hatte und an kleinen Bistro-Tischen saß – schon sehr eigenartig und das hat ein bisschen gedauert, sich daran zu gewöhnen. Und wenn man sich das heute anguckt, sieht man auch diese leichte Fremdheit zwischen Bühne und Publikum.“

Alles in allem sei die Erfahrung einschüchternd gewesen, und schließlich hatten dort schon Legenden wie David Bowie oder Roxy Music gespielt, erzählt Schwebel. Aber so apathisch das Publikum auch war, so tight war dann doch Fehlfarbens Performance, wie die Band später beim Durchhören feststellte.

Vinyl enthält den apathischen Auftritt und einen verlorenen Song

Daher haben Fehlfarben nun den Auftritt beim Beat-Club in Bremen auch auf die Vinyl von 33 Tage in Ketten gepresst. Schwebel erläutert: „Wir haben diese Aufzeichnung ausgesucht, weil die damals durch ihre Erfahrungen des Beat-Clubs schon in den 60er- und 70er-Jahren mit allen großen Bands der Zeit die einzigen im deutschen Fernsehen waren, die einen guten Sound produzieren konnten. Alle anderen Techniker:innen hatten keine Erfahrung mit Musik und da waren die einfach absolute Pioniere. Man merkt es ja auch heute an den Aufnahmen, dass die extrem gut klingen, für 45 Jahre alte Liveaufnahmen. Das hätte man in keinem anderen Setting damals so hinkriegen können.“

Ebenfalls auf der Vinyl enthalten ist ein Song aus der damaligen Zeit, der bisher noch nie das Tageslicht erblicken durfte: Warten auf. „Der fand sich im Nachlass unseres verstorbenen Drummers Uwe auf einer Kassette. Ich habe so gut wie keine Erinnerungen an dieses Stück, kann mich aber so bruchstückhaft erinnern, dass das eine Demo für diese zweite Platte war. Warum wir das nicht verwendet haben, kann ich auch nicht mehr sagen.“ Unveröffentlichte Songs gebe es von Fehlfarben eigentlich wenige, so Schwebel – was Warten auf umso besonderer macht.

Unter Beobachtung der Stasi

Die wildeste Anekdote, die das Fehlfarben-Mitglied liefert, hat mit der Stasi zu tun. „Zwei Soldaten der Nationalen Volksarmee hatten sich die Mühe gemacht, alle Songtexte dieser Platte abzutippen, mit den Autorenangaben ‚Thomas Schwebel‘ und ‚Uwe Bauer‘ darunter. Und dann hat die Stasi, die die beiden wohl auf dem Kieker hatte, die Schränke der Soldaten durchwühlt und diese Textsammlung gefunden. Die hatten natürlich keine Ahnung, dass es sich um Songtexte einer westdeutschen Post-Punk-Band handelt, und dachten, das wären Texte, die die Soldaten unter Pseudonymen geschrieben hatten.“

„Dann haben sie einen mit der Stasi verbundenen Germanistikprofessor aus Leipzig beauftragt, ein Gutachten über diese Texte zu schreiben, der auch keine Ahnung hatte. Der hat uns dann Aufruf zur Nonkonformität und zum Rebellentum unterstellt – was natürlich im Nachhinein total super ist als Kritik.“

Viele wilde Absichten fanden sich im Gutachten, was die Band amüsierte. Aber wie sehr das missverstanden wurde, verdeutlichte auch einen klaren Kontrast zwischen der DDR und der BRD. Der Professor wusste nicht einmal, dass die „Wilde Dreizehn“ der Name der Piraten aus Jim Knopf ist – was ihm im Westen wahrscheinlich jede:r hätte sagen können. „Irgendeinem hätte das doch mal auffallen müssen in dieser Untersuchung, dass es einfach nur Songtexte sind. Aber das zeigt eben, wie tief da doch diese Abschottung war, dass sie davon einfach nichts wussten. Wir waren ja eine Band, die schon in den Charts war in Deutschland.“

Die beste Zeit der Band

33 Tage in Ketten wurde missverstanden und verrissen, dennoch sieht Schwebel es als die tollste Zeit der Band an. Die Konzerte wurden intensiver und es handelte sich nicht mehr nur um „so ein pickeliges Studentenpublikum, sondern jüngere, begeisterungsfähigere Leute“. Es wurde schlicht alles größer: „Am Anfang war das ja gar nicht so viel, als wir die erste Platte machten. Und dann haben wir in dieser kleineren Besetzung die Werbung für Monarchie und Alltag gemacht und das alles war schon die aufregendste Zeit: mit diesem Festival, mit Fernsehauftritten und wir haben wahnsinnig viel live gespielt. Es gab eine Bravo-Homestory – ’tschuldige mal, wer hat das schon?“

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