Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 13.10.1960.
von Christof Leim
Als Anthrax während der Achtziger ganz vorne im Thrash-Zirkus mitmischen, liegt das nicht zuletzt an der Stimme: Joey Belladonna singt melodischer als der Rest. Am 13. Oktober feiert er seinen Geburtstag. Schauen wir zurück.
Hört hier Among The Living, den Anthrax-Klassiker mit Joey:
So richtig ins Bild passt Joey Belladonna ja nicht, als er Ende 1984 bei Anthrax anklopft. Der Sänger glaubt, sich in Schale schmeißen zu müssen, wie es sich in der Metal-Szene der Frühachtziger gehört. Das heißt: Lieber bisschen mehr Gepose als zu wenig. Er trägt also eine knallenge Hose, schwarze Cowboystiefel mit einem kleinen Kettchen daran und ein aufgeschnittenes Hemdchen. Anthrax gehören jedoch zu einer anderen, neuen Szene, und im Thrash Metal gilt: Leder und Nieten des klassischen Metal sind passé, Jeans und Shirt reichen….
Der kann ja richtig singen
Überhaupt kommt Joey musikalisch aus melodischeren Gefilden und steht eher auf Journey als auf Iron Maiden. Entsprechende Musik macht er mit seiner Band Bible Black, allerdings ohne große Erfolge; von der neuen Szene um Metallica, Exodus und Slayer weiß er nicht nichts. Auf dem Weg nach Ithaca im Staat New York, wo die Band sich im Studio befindet, sitzt der 24-Jährige auch zum ersten Mal in einem Flugzeug. Doch gerade seine weniger harten musikalischen Vorlieben sorgen für offene Münder bei Anthrax. Zum Einstand singt Joey nämlich Oh Sherry von Steve Perry und Hot Blooded von Foreigner, Töne, die man bei James Hetfield und Tom Araya nicht hört. Gitarrist Scott Ian erinnert sich: „Mein Gedanke war: Wir haben unseren Halford, das ist unser Bruce Dickinson.“ Und in der Tat unterscheiden sich Anthrax durch den melodischeren Gesang von den anderen Protagonisten des Genres. Belladonna wird umgehend angeheuert, und damit beginnt eine Karriere mit nicht wenigen Wendungen…
Auf die Welt kommt Joey als Joseph Bellardini am 13. Oktober 1960 in der Kleinstadt Oswego, New York als Sohn eines italienisch-amerikanischen Vaters und einer indigenen Mutter. In seiner Jugend steht er auf die Beatles, Led Zeppelin, Kansas und Rush, also melodisches, aber durchaus anspruchsvolles Zeug. Mit Anthrax nimmt er in den folgenden Jahren vier Studioalben auf und prägt damit die erfolgreichste Phase der Bandgeschichte mit dem klassischen Line-up zum auch Scott Ian, Charlie Benante, Frank Bello und Dan Spitz gehören.
Bunte Shorts sind Gesetz
Seinen Einstand gibt er auf der EP Armed & Dangerous im Februar 1985, im Oktober folgt Spreading The Disease, das als eigentliches Anthrax-Debüt begriffen werden kann. Mit Among The Living legt der Fünfer anderthalb Jahre später einen Genreklassiker hin, auf dem sich auch der Song Indians befindet, der die ungerechte Behandlung der Urbevölkerung des nordamerikanischen Kontinents, der „native americans“, thematisiert. Live stülpt sich Joey dazu oft einen üppigen Federschmuck auf den Kopf. Auch sonst macht er aus seiner Abstammung natürlich keinen Hehl und trägt gerne eine hochgeklappte Baseball-Cap, auf deren Schirm „Injun“ steht. Ansonsten trägt unser Mann wie seine Kollegen bunteste Shorts und Shirts. Besonders ernst nehmen Anthrax den Metal-Dresscode immer noch nicht, wie man besonders auf State Of Euphoria (1988) sieht.
Als unsere Helden mit der Spaßnummer I’m The Man im Jahr zuvor, also 1987, einen unerwarteten Hit landen und damit sogar den Startschuss für den Crossover aus Rap und Metal (nicht Rock) geben, sitzt Belladonna am Schlagzeug. Deshalb singen die rappenden Kollegen auch ständig „Joey! Watch the beat!“ Mit Persistance Of Time mutet die Welt von Anthrax 1990 dann viel ernsthafter an, und leider gilt das auch für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Zwar mischt Joey 1991 noch im Video zur Kollaboration Bring The Noise mit Public Enemy mit (noch ein Rap-Metal-Hit), die auf der EP Attack Of The Killer B’s erscheint, doch immer mehr kommt es zu den berühmten musikalischen und persönlichen Differenzen. Joey gehörte nie zu den kreativen Triebfedern oder Sprachrohren der Band, er hat einfach gesungen und fertig. Zur Weiterentwicklung brauchen die anderen Musiker vermutlich mehr. Vielleicht passt er auch nicht in das Klangbild, dass sich die anderen für die Neunziger vorstellen. Ende 1992 wird Joey Belladonna jedenfalls nach acht Jahren, vier Alben, drei EPs und drei Grammy-Nominierungen entlassen.
Raus & rein & raus & rein
Während seine ehemaligen Mitstreiter mit John Bush von Armored Saint weitermachen, backt Joey kleinere Brötchen und startet seine eigene Band Belladonna, deren Alben Belladonna (1995) und Spells Of Fear (1998) nicht viel Wind machen können, zwei weitere folgen. Viel hört man von ihm nicht – bis April 2005, als Anthrax eine Reunion der klassischen Besetzung verkünden. Weltweite Touren folgen, doch zu einem gemeinsamen Album kommt es (abgesehen von Konzertmitschnitten) nicht. Hier zeigt sich die schwierige Beziehung, die Belladonna und Anthrax miteinander zu haben scheinen. Dass die Band nämlich zwischenzeitlich den bis dato unbekannten Dan Nelson engagiert, erfährt Joey nach eigenen Aussagen aus dem Netz. Scott Ian wiederum wird zitiert mit der Aussage, dass der Sänger einer dauerhaften Wiedervereinigung nicht zugestimmt habe.
An der Stelle wird es ein bisschen undurchsichtig, denn Dan Nelson katapultiert sich selber wieder aus der Band, John Bush wiederum hatte Joeys Job auch nicht mehr übernehmen wollen. Sogar Corey Taylor von den wesentlich größeren Slipknot (und Stone Sour) taucht als potenzieller neuer Sänger im Orbit von Anthrax auf, aber seine Plattenfirma schiebt dem einen Riegel vor.
Er kann es noch
Also vertragen sich die Thrasher und ihr ehemaliger Sänger wieder, zumal die großen „Big 4“-Shows mit Metallica, Slayer und Megadeth ankündigt werden. Anthrax stehen zu diesem Zeitpunkt vor einem Scherbenhaufen, Belladonna hat auch kein Eisen im Feuer, also reißt man sich zusammen. Gegenüber Village Voice grübelt der Frontmann jedoch: „Es ist ein bisschen traurig, dass ich nicht die erste Wahl bin. Man könnte sich fragen: Warum eigentlich nicht?“ Die Fans insbesondere der frühen Jahre jubeln allerdings, denn so ergibt sich wieder der klassische Anthrax-Sound. Den hört man zu Genüge auf den folgenden Alben Worship Music (2011) und For All Kings (2016) und diversen EPs, die der Truppe weitere drei Grammy-Nominierungen einbringen. Und auch seine Kollegen sind voll des Lobes.
Wie gut Joey immer noch singt, zeigt sich an folgender Anekdote, die Scott Ian einmal erzählt hat: Dass keiner im Metal jünger wird, merken insbesondere die Sänger und Sängerinnen. Stimmen verändern sich, die Sangesakrobatik früher Tage geht nicht mehr so einfach. Viele Bands stimmen deshalb einen Halbton oder zwei runter, um den Leuten am Mikro die Arbeit zu erleichtern. Dagegen lässt sich nichts einwenden, so sieht die Welt nun mal aus. Anthrax haben für die Alben mit John Bush ohnehin auf andere Stimmungen und tiefere Sounds zurückgegriffen, wie es der Ära und dem viel groovigeren, fetten Material angemessen war. Nach Joeys Rückkehr pendeln sie sich bei „einen Halbton runter“ ein. Eines Tages sollen sie ihre Neuauflage des Kansas-Gassenhauers Carry On Wayward Son (woher?) live spielen. Weil ein Keyboard dazugehört, orientieren sie sich daran und stimmen ihre Gitarren auf „normal“ (Standard-E) zurück. Beim Soundcheck spielen sie aus alter Gewohnheit Madhouse von Spreading The Disease – und Joey singt einfach mit. Scott zeigt sich begeistert: „Wow, das klingt wie früher!“ Joey zuckt nur mit den Schultern: „Och, für mich ist das kein Problem. Bei meiner Coverband spielen wir das Nummer immer so…“ Respekt. Und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!