Heute vor 40 Jahren wird John Lennon in New York erschossen. Sein Tod ist umso tragischer, weil er erst wenige Wochen zuvor sein Comeback als Musiker gab. Chronologie seiner letzten Tage.
von Björn Springorum
Am 9. Oktober 1975 ändert sich John Lennons Leben für immer. Und das nicht zum ersten Mal: Nach dem Ende der Beatles feiert er zunächst also Solokünstler und mit Yoko Ono große Erfolge, kehrt England für New York den Rücken und fällt dort vor allem durch linksradikalen politischen Aktivismus auf, der insbesondere der Nixon-Administration ein Dorn im Auge war. Dann, 1973, die Trennung von Ono und sein infames Lost Weekend in den Abgründen von Los Angeles, später die Rückkehr nach New York, seine Kollaborationen mit David Bowie und Elton John. Letzterer gibt den Amor, Lennon kommt wieder mit Ono zusammen, die am 9. Oktober 1975, dem 35. Geburtstag Lennons, ihren gemeinsamen Sohn Sean zur Welt bringt.
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Der Übervater
Für John Lennon ist das wie das Fanal einer neuen Zeit. Mit 35 hat er zigfach alles erreicht, alles erlebt, alles gemacht, alles gesehen. Er stürzt sich mit Hingabe und Liebe in die Vaterrolle, geht auf in diesem neuen häuslichen Umfeld im mondänen Dakota Building in der Upper West Side in Manhattan. Die nächsten fünf Jahre wird er einfach nur Vater sein. Für jemanden, der 15 Jahre König der Welt war, hört sich das durchaus schwierig an. Nicht für Lennon offensichtlich: Er steht jeden Tag um sechs Uhr auf, backt Brot, bereitet Klein Sean die Mahlzeiten zu, spielt mit ihm, sieht ihm beim Aufwachsen zu. Gut möglich, dass das alles auch mit seinem schlechten Gewissen zu tun hat: Sein Sohn Julian aus seiner ersten Ehe mit Cynthia Lennon ging in der Beatlemania völlig unter.
Seine einzige musikalische Schöpfung in dieser Zeit ist ein Song, dessen Titel schon alles sagt: Cookin‘ (In The Kitchen Of Love), den er für seinen Buddy Ringo Starr schreibt. Ansonsten fasst er die Jahre bei einem öffentlichen Auftritt 1977 in Tokio kurz und bändig zusammen: „Wir haben ohne groß darüber nachzudenken, entschieden, dass wir so viel Zeit wie möglich mit unserem Baby verbringen möchten bis wir das Gefühl haben, uns wieder anderen Dingen außerhalb der Familie widmen zu können.“
Comeback zum Gähnen
Das lange Schweigen wird 1980 gebrochen. Aus guten Gründen: Erst haut sein alter Kumpel Paul McCartney mit Coming Up eine starke Single raus, dann gerät er vor den Bermudas mit seiner Yacht in Seenot und lernt die Zerbrechlichkeit des Lebens aus nächster Nähe kennen. „Plötzlich kamen alle diese Songs zu mir“, wird er später sagen. Mit Double Fantasy erscheint am 17. November ein Doppelalbum von ihm und Yoko Ono, geschrieben im Sommer 1980 auf den Bermudas und aufgenommen zwischen August und Oktober in der Hit Factory in New York City.
Trotz des verheißungsvollen Studionamens fällt Lennons Loblied auf seine Ehe, das Familienleben und die Liebe zunächst ernüchternd aus: In den Charts bleibt die Platte weit hinter den Erwartungen zurück, die ersten Kritiken sind ernüchternd. Für den Melody Maker ist das Album „zum Gähnen“, man fand es vermessen, in die Intimität zwischen Lennon und Ono hineingezogen zu werden. Die Reaktionen zeigen im Herbst 1980 überdeutlich, dass die Kritikerwelt nur auf ein Album wie dieses gewartet hatte, um es diesem Lennon endlich mal heimzuzahlen. Dabei ist es gerade die Einfachheit, die Schönheit des Mondänen, die Double Fantasy so besonders macht.
Der Tag, an dem die Musik starb
Doch noch bevor alle namhaften Kritiker*innen der damaligen Zeit ihre vernichteten Urteile verkünden können, ist der 8. Dezember 1980 da. Der Tag, an dem die Musik starb. Schon wieder. Er beginnt wie so ein Tag bei John Lennon eben beginnt: Bei einem Shooting mit Star-Fotografin Annie Leibovitz im Dakota, das sie aufs Cover des Rolling Stone bringen soll. Um 15:30 Uhr verlässt Leibovitz das Gebäude, Lennon gibt dem Radio-DJ Dave Sholin aus San Francisco sein allerletztes Interview. Danach nehmen sie eine Limousine ins Record Plant Studio, um an Yoko Onos Nummer Walking On Thin Ice zu arbeiten. Bevor Lennon in den Wagen steigt, nähert sich ein Fan mit der Bitte, seine Kopie von Double Fantasy zu signieren. Wie schon so oft in der Vergangenheit nimmt sich Lennon Zeit für die Fans vor dem Dakota – mit dem Unterschied, dass er diesmal Mark David Chapman ein Autogramm gibt. Dem Mann, der ihn wenige Stunden später erschießen wird.
Gegen zehn vor elf kommen die beiden zurück, um Sean gute Nacht zu sagen, ehe sie im Stage Deli zu Abend essen möchten. Warum auch immer, verlassen sie die Limousine an der 72. Straße anstatt in den sicheren Hof zu fahren. Dort lauert Mark David Chapman in den Schatten. Erst läuft Ono an ihm vorbei, Chapman nickt ihr zu. Dann kommt Lennon, erkennt ihn wahrscheinlich wieder, geht vorüber. Chapman zieht einen Revolver und feuert fünf Kugeln aus nächster Nähe auf Lennon ab. Lennon stolpert, sackt in sich zusammen, lässt dabei die Tapes mit dem finalen Mix von Walking On Thin Ice fallen. Chapman, der seelenruhig vor Ort auf die Ankunft der Polizei wartet, wird vom Pförtner Jose Perdomo angeschrien: „Wissen Sie, was Sie getan haben?“ - „Ja, ich habe gerade John Lennon erschossen“, soll er geantwortet haben.
Staatstrauer weltweit
Was folgt, ist eine beispiellose Trauer, die man sonst eher von Präsidenten oder anderen Staatspersönlichkeiten kennt. Außerdem wird natürlich auch der Tod von John Lennon im Handumdrehen zu barer Münze: Noch nicht erschienene, vernichtende Kritiken zu Double Fantasy werden nicht gedruckt, das Album schießt in allen Charts ganz nach oben, gewinnt 1981 sogar den Grammy für das beste Album. 225.000 Menschen kommen in New York zusammen, um Lennon zu betrauern, mindestens drei Beatles-Fans nehmen sich in der Folge das Leben. Das vielleicht krasseste Statement kommt 1981 von Lennons Witwe: Auf dem Cover ihres Soloalbums Seasons Of Glass ist John Lennons blutbespritzte Brille zu sehen, die er bei seiner Ermordung trug.
Das CoverJeder, Yoko Ono, Sean, die drei übrigen Beatles, die ganze Welt, musste auf eigene Weise mit der Trauer fertig werden. Und so unnötig, so vollkommen und schmerzhaft unnötig Lennons Tod mit gerade mal 40 Jahren auch war: Er brachte endlich Frieden zwischen Yoko Ono und den Beatles. Man fragt sich, weshalb so oft erst eine derartige Katastrophe geschehen muss, bevor so etwas passiert.
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