Der Wille ist da, die Ausführung ist ausbaufähig: Vor einem halben Jahrhundert erscheint das Scorpions-Debüt Lonesome Crow. Und lässt in zahlreichen guten Ansätzen erkennen, was sich da in Hannover anbahnt.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr Lonesome Crow hören:
Wie so oft beginnt es mit den Beatles. 1965 finden Rudolf Schenker, Joachim Kirchhoff, Karl-Heinz Vollmer und Wolfgang Dziony in Hannover zusammen. Ihr Ziel: Musik machen, berühmt werden, die Welt sehen. Das Übliche also. Großes Vorbild sind vier Pilzköpfe aus Liverpool, die wenige Jahr zuvor ebenso bescheiden angefangen haben und zwischenzeitlich zu riesigen Stars mutiert sind. Das will die junge Band auch, spielt fleißig Songs der Beatles nach und nennt sich Nameless. Klar, weil man sich erst mal nicht auf einen Namen einigen kann.
Scorpions, Falco, Rammstein
Ab 1966 heißen die kaum erwachsenen Nachwuchsrocker aus Hannover dann Scorpions, 1967 löst man sich auf und 1968 findet man wieder zusammen. Zunächst mal alles so wie in tausend weiteren kleinen Kellern, Proberäumen oder elterlichen Garagen. Aber die Geschichte der Scorpions, die ist eben nicht wie andere. Früh stehen hier die Zeichen auf Durchmarsch: Die Band will es unbedingt schaffen, will den Erfolg. Um jeden Preis. Klar, dass man da auf englisch singt, mit deutschen Texten würden es erst Rammstein viele Jahrzehnte später in den USA schaffen. Oder eben Falco.
Michael Schenkers Einzige
1971 kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung, die die Weichen der Band ebenso stellen wird wie die der gesamtdeutschen Rockgeschichte. Bei Soundtrack-Aufnahmen zum Anti-Drogen-Film lernt die Band den Produzenten Conny Plank kennen. Bald finden sie sich mit ihm in den Hamburger Star Studios wieder, um ihr Debüt Lonesome Crow einzuspielen. In vielerlei Hinsicht ist es ein einzigartiges Relikt der langen Scorpions-Vita: Es ist die einzige Platte mit Leadgitarrist Michael Schenker als festem Mitglied.
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Schenker, wie Sänger Klaus Meine 1969 zur Band gestoßen, soll schon bald danach zu UFO wechseln und von Uli Roth ersetzt werden. Sein Beitrag: Sein erster jemals geschriebener Song In Search Of Peace Of Mind, für den er lange nicht mal separat als Komponist gewürdigt wird. Aber das ist natürlich eine ganz andere Geschichte und gehört eher in die Kategorie „Bruderzwist“.
Sabbath-Groove und Psychedelik
Mit Lonesome Crow veröffentlichen die Scorpions ein Album, das man zwar durchaus als durchwachsen bezeichnen darf, aber dennoch seinen Reiz hat. Der eigentümliche Mix aus schwerem Sabbath-Groove und psychedelischen Anleihen, Meines unausgereifter Gesang, die merklich deutsche Aussprache, die eher nichtssagenden Texte und manche Länge (insbesondere im holprigen Titeltrack) machen aus Lonesome Crow aus heutiger Sicht keinen Glanzmoment in der Karriere der Scorpions. Ein erster Schritt zur Hard-Rock-Übermacht ist jedoch getan.
Sänger Klaus Meine kommentierte das mal so: „Wir waren doch nur eine junge Band auf der Suche nach sich selbst, nach einem eigenen Stil, nach der Scorpions-DNA. […] Wir hatten keine Ahnung, wohin es uns tragen würde.“ Diese Entscheidung wird der Band schon 1972 abgenommen: Als man bald nach der Veröffentlichung im Vorprogramm von Rory Gallagher, Uriah Heep und UFO durch Deutschland tourt, aber der UFO-Gitarrist Mick Bolton nicht nach Deutschland einreisen kann, füllt Michael Schenker den vakanten Posten und tritt UFO (auch ohne Englischkenntnisse) bald darauf als festes Mitglied bei.
Der Prophet im eigenen Lande
Wolfgang Dziony und Lothar Heimberg verlassen den Scorpions-Kahn ebenfalls, die Vakanz wird mit einer bereits erwähnten Schlüsselfigur in der Entwicklung des Hannover Rocks besetzt: Uli Roth an der Gitarre und, als sein Nachfolger ab 1978, Matthias Jabs.
Lonesome Crow hinterließ in Deutschland kaum Spuren; im Rest der Welt hingegen schon. Die Scorpions machen sich strategisch und mit langem Atem an eine Welteroberung, die in Japan beginnt und über England und die USA auch nach Deutschland führt. Der Prophet im eigenen Lande muss erst am Tokyoter Flughafen frenetisch gefeiert werden oder in den USA vor 50.000 Fans auftreten, ehe man die Band hierzulande so langsam mal ernst nimmt.
Der Rest ist Rockgeschichte. Und auch wenn die Band mit Ausnahme von In Search Of Peace Of Mind keinen Song von Lonesome Crow live spielt, ist das Album eine spannende und vielsagende Petrischale mit all dem, was man wenige Jahre später zur Perfektion bringen soll. Vielleicht ist es aber auch kein Wunder, dass das Album in der Werkschau der Scorpions gern mal untergeht: In Skandinavien hieß es Action, 1976 mal Scorpions und irgendwann auch mal The Original Scorpions. Es ist aber eben vor allem das Album, mit dem vor 50 Jahren etwas in Hannover losgetreten wurde, das bis heute nicht stillsteht.
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