Er war der LSD-Messias der späten Sechziger, erfand den Sound von The Grateful Dead und versorgte den halben Popkultur-Adel mit lysergischen Träumen: Owsley „Bear“ Stanley, der Erfinder der Sechziger wie wir sie kennen.
von Björn Springorum
Owsley Stanleys Großvater, ein strenger Herr ohne Haare namens Augustus Owsley Stanley I, diente vor über 100 Jahren als Gouverneur von Kentucky und war ein entschiedener Gegner der Prohibition. Dass sein Enkel eine Handvoll Jahrzehnte später einer der ersten Menschen werden würde, der LSD in Massenmengen produzieren würde, hätte er sich zwar wahrscheinlich nicht vorstellen können; ein gewisser Lebensweg scheint bei dieser Familie aber vorgezeichnet.
Vom Tänzer zum ersten Trip
Obwohl: Anfangs sieht es aber auch für Owsley Stanley selbst nicht danach aus, dass er eines Tages zum LSD-Papst werden würde, zu einer der prägenden Figuren der Gegenkultur Kaliforniens. Nach lustlosen Anfängen im Ingenieurswesen schreibt er sich 1956 bei der US Air Force ein, wo er erst an Raketentests arbeitet und sich später mit Radioübertragung auseinandersetzt. 1958 scheidet er aus, sieht ein Stück des Bolshoi Ballett und ist spontan ergriffen. Er studiert Ballett, verdient sich als Tänzer etwas dazu. 1963 dann ein erneuter Sinneswandel: Er schreibt sich an der Berkley-Universität ein. Und besiegelt damit sein Schicksal: Kaliforniens Hochschulen sind damals ein Tummelplatz für Chemiker und experimentierfreudige Beatniks an der Schwelle zum Hippietum.
https://www.udiscover-music.de/popkultur/the-grateful-dead-jerry-garciaOwsley Stanley ist mittendrin. Nach nur einem Semester schmeißt er hin und kocht sich im Badezimmer seines Häuschens am Campus erstmals eine gewisse Menge LSD. Nichts ungewöhnliches damals, illegal wird LSD in Kalifornien erst 1966. Die Polizei hält das 1965 dennoch nicht ab, sein Labor hochzunehmen. Doch weil sie statt dem vermuteten Amphetamin nur LSD finden, müssen sie ihm seine Gerätschaften sogar wieder zurückgeben, mit denen er munter weiter lysergische Träume kocht. Nie jedoch aus kommerziellen Gründen, wie er mal sagte: „Ich wollte einfach nur wissen, was ich nahm. Und es ist nun mal schwierig, kleine Mengen davon herzustellen.“
Stanley hat sie Sechziger erfunden
Think big: Über sein Labor in Berkeley bezieht er 500 Gramm Lysergsäure, zieht nach Los Angeles und legt im Walter-White-Stil los: Bis Mai 1965 hat er 300.000 LSD-Trips produziert, der sauberste und beste Stoff der Epoche, jeweils mit der ordentlichen Dosis von 270 Mikrogramm. Damit kehrt er in die Bay Area von San Francisco zurück – und wird empfangen wie ein neuer Gott. Schnell wird Stanley zum Hauptversorger von Autor Ken Kesey („Einer flog übers Kuckucksnest“) und seinen Merry Pranksters, der Hippie-Kommune, der auch The Grateful Dead und andere prominente Figuren der Gegenkultur angehören. Stanley, so ist man sich bald einig, hat die späten Sechziger erfunden.
Künstler*innen und Aussteiger*innen, Akademiker*innen und Weltverbesser*innen sehen in Owsley Stanley einen neuen Papst der lysergischen Wahrheit, ihren Garant für Transzendenz und Bewusstseinserweiterung. Und sie sind damit nicht allein: Wie Tom Wolfe in seinem genialen Buch The Electric Kool-Aid Acid Test schreibt, wird das Stanley-LSD schnell zum neuen Standard an der Ostküste und befeuert die Acid Test-Partys von Kesey mit grenzenlosen Vorräten an LSD. Bei diesen Partys, die Jefferson Airplane in A Song For All Seasons besingen, kommt Stanley auch in Kontakt mit The Grateful Dead, die damals noch als Warlocks unterwegs sind. Schon Anfang 1966 ist Stanley mehr Mythos als Mensch, dass sich auch manch einer aus dem Umfeld von The Grateful Dead fragt, ob es den Typen, der sich praktisch nur von Fleisch ernährt und sein Steak auch mal püriert schlürft, wirklich gibt.
Der Chronist der Gegenkultur
Und wie es ihn gibt: Stanley kocht und kocht und kocht, hat mittlerweile auch einen Assistenten und produziert immer größere Mengen von dem bewusstseinserweiternden Stoff. Obwohl er viel LSD umsonst verteilt macht er eine Menge Kohle als monopolistischer Lieferant. Die steckt er vor allem in die Karriere von The Grateful Dead, die er als Versuchskaninchen für seine entflammte Tontechnik-Passion nutzt. Er nennt sich fortan Bear, wird ihr Soundmann und baut ihnen immer wildere, größere PA-Systeme. Er ist entschieden an der Entwicklung ihrer Wall Of Sound beteiligt und wird der Schöpfer der damals größten tragbaren Soundanlage. Seiner Sound-Manie ist es zu verdanken, dass wir bis heute tonnenweise Mitschnitte von Proben und Konzerten der Grateful Dead haben – mehr als von jeder anderen Band dieser Zeit. Ganz nebenbei schneidet er Auftritte von Jefferson Airplane, Janis Joplin, Big Brother And The Holding Company, Santana, Miles Davis, Jimi Hendrix oder Johnny Cash mit. Stanley, der unfreiwillige Chronist der Gegenkultur.
Warum er es ausgerechnet auf The Grateful Dead abgesehen hat, fragte sich sogar Jerry Garcia selbst. Doch trotz aller Schwierigkeiten, die ein unfassbarer Charakter wie Stanley mit sich bringt, nimmt er die Unterstützung des Audio-Maestros nur zu gerne an. Längst ist Stanley eine lebende Legende. Mehr und mehr Künstler*innen werden auf ihn aufmerksam, wollen ran an ihn und seinen Stoff. Es gibt da nur ein Problem: Mittlerweile ist LSD illegal, die Herstellung gefährlicher und der Verkauf riskanter. Den Akademiker-Drogenguru Timothy Leary hält das nicht ab, 1967 seine berühmte Turn on, tune in, drop out-Rede zu halten und auch die Beatles sehen es mal gar nicht ein, auf das Zeug zu verzichten, das sie ja gerade erst für sich und ihre Kunst entdeckt haben.
John Lennon wird zum Jünger
Auf Owsley Stanley ist aber natürlich Verlass. Und wie sollte es auch anders sein, zu einer Zeit, in der der Name Owsley längst zum Synonym für die Droge geworden war. Erst mixt er eine spezielle Dosis für das Monterey Pop Festival 1967, was das selige Grinsen von Jimi Hendrix auf den Bildern erklärt, dann versorgt er die Fab Four zu den Dreharbeiten zu Magical Mystery Tour mit LSD, womit sich ein Kreis schließt: McCartney lieh sich die Idee zum Film bei den Merry Pranksters, die 1964 mit ihrem bunt bemalten Bus Furthur chaotisch durch die USA tuckerten. Insbesondere John Lennon verfällt der schillernden Figur, wird zu seinem Jünger und versucht ihn zu bequatschen, ihm seine gesamten Vorräte zu überlassen. Ob Stanley dem eingewilligt hat, ist zu bezweifeln. Stattdessen spendiert er den Beatles die Idee für ihr Abbey-Road-Cover, gestand Lennon mal in einem Interview.
Reicht locker für ein Leben. Und geht natürlich nicht gut: 1967 wandert Stanley erstmals in den Bau. 1970 kommt er wieder raus, um dann gleich noch mal zwei Jahre einzufahren, weil das Verfahren von damals neu aufgerollt wird. LSD produziert er nach seiner Entlassung nie wieder. Langweilig wird einem wie ihm aber auch nicht: Er stellt Schmuck her, der bald schon ähnlich gefragt ist wie einst sein LSD, und baut ein derart feines Marihuana an, das sogar die damalige First Daughter Chelsea Clinton begeistert. Ob das der Papa wusste?
1982 emigriert er nach Australien, wird 1996 australischer Staatsbürger. Seine rein fleischlastige Ernährung zieht er selbst nach einem Herzanfall weiter durch. Der habe ja aber eher was mit dem giftigen Brokkoli zu tun, den er als Kind essen musste, sagte er mal. 2011 kommt er bei einem Autounfall ums Leben. Und hinterlässt ein Vermächtnis, von dem die meisten Rockstars nur träumen können.