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Foto: Jo Hale/Redferns via Getty Images

„Sucker“ von Charli xcx wird 10: Die Vorwehen des Brat Summers

2014 gelang Charli xcx mit ihrem Album Sucker der Durchbruch. Der Schlüssel zum Erfolg? Eine punkige Attitüde, die zehn Jahre später im „Brat Summer“ kulminierte. Der wäre ohne den Mainstream-Erfolg von Sucker nämlich nicht möglich gewesen.

Eine alte (gerade aus der Nase gezogene) goldene Regel des Internets besagt: Wenn von einem Song eine Parodie durch die musikalischen Größen DieLochis existiert, war es wirklich ein großer Hit. Im Fall von Break The Rules – oder wie die Gebrüder Lochmann in ihrer Parodie sangen: „Ich bin so ein Yolo-Kind, scheiß drauf, weil ich solo bin“ – zeigte es für Charli xcx ebenfalls den Durchbruch an. Nicht nur als Featuregast und Songwriterin hinter riesigen Hits, sondern endlich als eigenständige Künstlerin. Zehn Jahre bevor so etwas wie ein „Brat Summer“ irgendwem ein Begriff war.

Bereit für Erfolg

Ihr zweites Album Sucker war ein Umbruch für Charli xcx. Vor allem in Hinsicht darauf, wie sie zum Thema Erfolg und ihrem künstlerischen Selbstbewusstsein stand. Ihre ersten Momente im Rampenlicht waren Features: I Love It von Icona Pop (den Charli selbst geschrieben, aber an das Elektropop-Duo abgegeben hatte) und Fancy von Iggy Azalea. Ironischerweise kann man heutzutage bei Iggy Azalea oder Icona Pop kaum noch von Relevanz sprechen. Zwischen diesen Hits veröffentlichte Charli xcx ihr offizielles Debütalbum True Romance, welches allerdings kaum die kommerziellen Erwartungen erfüllte.

Ihren Sinneswandel vor Sucker beschrieb die Künstlerin in einem Interview mit Pop Justice so: „Nach I Love It und Fancy redeten alle über Hits. ‚Behalte die Hits für dich selbst‘, ‚sei nicht Teil von Schreibsessions, das Label wird wütend sein, wenn du Hits weggibst‘, diese ganzen Dinge. Und nach einer Weile dachte ich mir: ‚Weißt du was, fuck off‘. Es war dumm. Ich habe das hier immer auf meine Weise gemacht. Ich habe einige Dinge sein gelassen, die mich zu einer großen Künstlerin gemacht haben könnten. […] Und jetzt fühle ich mich, als wäre ich bereit, das zu tun. Ich verstehe, worum es in der Welt geht ein bisschen besser. Ich bin jetzt in einer glücklichen Position – ich glaube, ich bin so erwachsen durch das alles geworden, dass ich die meisten schlechten Dinge der Musikindustrie verstehe.“

Und der Erfolg kam. Sucker lieferte Riesenhits wie Boom Clap und Break The Rules, performte gut in den Charts und landete auch auf Jahresbestenlisten von Publikationen wie NME oder Rolling Stone – eine Balance, die im Pop schwer hinzukriegen ist. Man könnte behaupten, dass Charli danach erst mit Brat wieder so einen großen, alle versöhnenden Mainstream-Moment hatte. Dazwischen verschrieb sie sich vor allem dem Austesten der Grenzen von Popmusik, womit sie sich eher in Musik-Connoisseur:innen-Kreisen beliebt machte.

Punk-Spirit im Pop

Ein Sellout-Album ist Sucker dadurch aber nicht. Tatsächlich war die musikalische Intention recht punkig. Nach ihrem Debüt hatte sie in Schweden ein Punk-Album geschrieben, das aber nie veröffentlicht wurde, bis auf Allergic To Love, ein Cover eines Songs der Band Snuffed By The Yazuka. Einige der Songs dieses verworfenen Albums wurden später umgebaut und landeten in einem poppigeren, catchy Gewand auf Sucker.

Punkige Melodien, wie sie etwa die Ramones schreiben würden, hört man auf Songs wie dem wunderbaren London Queen oder Hanging Around. Das Wichtigste aber, was Charli xcx aus dem Punk zog, ist die Attitüde. Die ist das, was sie in der Popwelt 2014 und heute immer noch herausstechen lässt: Sie ist laut, nimmt kein Blatt vor den Mund und zelebriert genau das. Also so ziemlich das, wofür Brat nun steht. In mehreren englischsprachigen Rezensionen zum Release von Sucker wird ihr Stil bereits als „bratty“ bezeichnet. Wenn man so darüber nachdenkt, funktionieren die Albumtitel Sucker und Brat ziemlich ähnlich: In einem Wort wird direkt die unverblümte, provokante Haltung zusammengefasst.

Der Titeltrack und Opener Sucker spuckt den Hörer:innen direkt ins Gesicht: „You said you wanna bang / Well, fuck you, sucker“. Das ist nicht nur sexuell zu verstehen, sondern als Mittelfinger an die Menschen, die sich erst nicht für sie interessierten und dann plötzlich doch, sobald sie Erfolg hatte. Eine der treffendsten Zeilen des Songs ist: „You joined my club/Luke loves your stuff“. Damals war der Starproduzent Dr. Luke eine der Figuren in der Musikindustrie, deren Zusammenarbeit Riesenerfolg garantierte. Allerdings kam durch einen Rechtsstreit mit Kesha später ans Tageslicht, dass ihm Vergewaltigung und Ausnutzung seiner Macht vorgeworfen wurde. Charli xcx selbst hatte zu der Zeit einmal eine Writingsession mit ihm und schloss Pop Justice gegenüber das Fazit: „Das war nichts für mich.“

Von der Writerin zur Künstlerin

Das Album als ein Meisterwerk zu bezeichnen, wäre ein bisschen übertrieben. Erst später würde Charli ihr künstlerisches Potenzial komplett ausschöpfen. Manche Momente auf Sucker, insbesondere in der zweiten Hälfte, klingen doch sehr nach der 2010er-Club-Pop-Schablone. Auch textlich sind einige Zeilen noch etwas klischeehaft.

Man sieht aber auf Sucker vor allem, wie Charli sich langsam vom Hitschreiben für andere Leute löst und ihre eigene Identität annimmt, ihre Haltung ausdrückt. Denn die Songs haben auch eine feministische Ader, wie sie dem DIY Magazin damals verriet: „Es scheint, als müsse es immer nur eine weiblich gelesene Person an der Spitze geben. Es herrscht dieser Gedanke vor, dass Frauen einander heruntermachen, was ich für nicht sehr progressiv halte. […] Es wird mittlerweile mehr darüber geredet, aber es verschwindet nicht schnell. Es gibt eine Welle an hochintelligenten, neuen Künstlerinnen, die ihre eigenen Karrieren führen und Unruhe stiften. Ich finde es cool, dass Leute wie ich oder Lorde etwas bewegen und die Landschaft verändern.“

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