Für die Bluesrock-Legende Rory Gallagher musste alles so handgemacht und analog, so ungeschönt, unmittelbar und direkt wie möglich sein: Diese Maxime galt im Studio für den 1995 Verstorbenen, dem selbst CDs äußerst suspekt waren – und sie galt vor allem auch auf der Bühne, wo er regelmäßig unglaubliche Performances hinlegen sollte.
Viele davon sind glücklicherweise erhalten – wie in der satten BBC-Collection-Megabox, die im Oktober 2024 postwendend auf vielen Weihnachtswunschlisten landen dürfte. Höchste Zeit für einen Rückblick auf die zehn legendärsten Live-Highlights dieser viel zu kurzen Karriere!
1. Philby – Live at Montreux, 1985
Gut zehn Jahre nach seinem Tod erschien der Live-Klassiker Live In Montreux, auf dem sich ein ganzes Dutzend Highlights aus vier Konzerten befand, die der Gitarrenvirtuose zwischen 1975 und 1985 am Genfer See gespielt hat. Seine Version von Philby war auf der letzten dieser vier Shows locker doppelt so lang wie die Studioaufnahme, die Gallagher im Frühjahr 1979 in Köln für das Album Top Priority gemacht hatte. Kein Wunder, wo doch ausladende Gitarrensoli immer schon seine oberste Priorität waren. Der Titel Philby bezieht sich übrigens auf einen britischen Doppelagenten, der während des Kalten Kriegs für die Sowjetunion im Einsatz war.
2. Laundromat – Live at Montreux, 1975
Mit diesem Titel beginnt das oben erwähnte Album, nachdem der Track Laundromat schon auf dem gleichnamigen Debütalbum zu Beginn des Jahrzehnts als Eröffnungstitel fungiert hatte. Schon in der zweiten Minute der Liveversion zündet er ein erstes Solo, vor allem aber unterstreicht Gallagher im Songtext seine positive Lebenseinstellung: Er muss nun mal im Waschsalon übernachten, obwohl er nicht mal etwas besitzt, das dort gewaschen werden könnte – aber er klingt dabei trotzdem kein bisschen niedergeschlagen. Tatsächlich war der Gitarrist vor seinem Solostart ganz schön abgebrannt, nachdem er sich von seiner Band Taste getrennt hatte.
Die BBC-Performances für Zuhause:
3. Garbage Man Blues – Rockpalast Essen 1977
Rory Gallagher spielte auch live meistens Eigenkompositionen, doch im Juli 1977 kam das Essener Rockpalast-Publikum in den Genuss einer Muddy-Waters-Interpretation, als Rory seiner Liebsten nachtrauerte, die offensichtlich mit dem Müllmann durchgebrannt war. Der Joke des Songs besteht darin, dass den Erzähler am meisten stört, sich nun selbst um seinen Müll kümmern zu müssen – keine Frau mehr da, die den Eimer leert, geschweige denn ein Müllmann, der das Zeug außer Sichtweite befördert. Dabei hätten sich an diesem Punkt vermutlich selbst die Fans nach Rorys Müll gerissen – konnten schließlich ausrangierte Gitarrensaiten oder Plektren drin versteckt sein.
4. Loanshark Blues – WWF Club 1987 (WDR)
Auf den Tag genau zwei Jahre vor dem Mauerfall trat Rory Gallagher ausnahmsweise ganz ohne Bandverstärkung im deutschen Fernsehen auf, um eine virtuose Akustikversion von Loanshark Blues einzuspielen. Als Instrument hatte er in diesem Fall seine geliebte „Triolian Resonator“ von National dabei, die eigentlich aus den Dreißigern stammte und für nur „rund 100 Pfund“ später in seinen Besitz kam. Offensichtlich war’s eine Geheimwaffe, denn „umgekehrt ist sie es gewissermaßen, die einen spielt. Und sie gibt deinen Händen ganz neue Kraft – wenn du danach die Stratocaster in die Hand nimmst, fühlst sich das an, als würde man seine Finger über Wackelpudding ziehen.“
5. Tattoo’d Lady– Live At The Cork Opera House, Irland, 1987
Auch sein etwa zeitgleich aufgezeichnetes Heimspiel in Cork ist legendär – hier ein Mitschnitt von Tattoo’d Lady. Schon im Intro kann man sehr gut erkennen, wie weit fortgeschritten die ikonischen Gebrauchsspuren auf seiner Stratocaster waren, was die Firma Fender nach seinem Tod bekanntermaßen dazu inspirierte, genau diesen Ultra-Used-Look neu aufzulegen. Für die BBC war das dazugehörige Album Tattoo aus dem Jahr 1973 ein absoluter Meilenstein, weil es noch mehr als die drei Vorgänger belegte, wie sehr dieser Über-Gitarrist in seiner eigenen Liga spielte.
6. Shadowplay – Live bei RockPop (ZDF), 1978
Der Song Shadowplay war brandneu, als Rory Gallagher diese grandiose Live-Performance fürs ZDF hinlegte – eine Show, für die seine Fans wohl so ziemlich jeden GEZ-Beitrag gerne gezahlt hätten. Komponiert hatte er den Song übrigens im Bett, wo er gerade eine richtig miese Grippe auskurierte. „Das hat sich wohl auch auf den Text ausgewirkt“, kommentierte er in den frühen Neunzigern. „Denn wenn man so krank daliegt und immer wieder einschläft, dann fühlt man sich irgendwann ganz benommen.“
7. Moonchild – Live at Montreux, 1985
Hier also wieder mit Jeansweste, feiern viele Fans vor allem das zweite Solo des Mitschnitts, der es übrigens nicht auf das Live At Montreux-Album geschafft hat. Auf der später veröffentlichten Definitive Collection, die alle Performances bis 1994 beinhaltete, war Moonchild dafür dann gleich doppelt vertreten. Den Titel Moonchild verwendeten neben Gallagher übrigens auch Iron Maiden, Fields of the Nephilim, Rick James, King Crimson, Cibo Matto und M83, um nur eine Auswahl zu nennen.
8. What’s Going On – Taste Live At The Isle Of Wight, 1970
Ja, was ist hier los, fragen sich nun sicher manche, die mit der Taste-Ära weniger anfangen können – aber allein die atemberaubende Qualität dieser Bilder, die der Oscar-Gewinner Murray Lerner beim Isle Of Wight Festival im Jahr 1970 eingefangen hat, spricht für sich. Das Material zeigt übrigens auch, weshalb Taste selbst in diesem Rahmen gleich drei Zugaben spielen mussten – obwohl sie im eng getakteten Nachmittagsprogramm ihren Festival-Slot hatten. Lerner filmte bei der Gelegenheit übrigens auch Joni Mitchell und The Doors.
Mehr Rory Gallagher live im Store:
9. I Fall Apart – Pop 2 Paris, 1971
Maximal verliebt klingt Rory Gallagher auf dem zweiten Titel seines Debütalbums, das er noch im Jahr der Veröffentlichung in Paris live zum Besten gab. Seine allererste Liveshow mit Gerry McAvoy (Bass) und Wilgar Campbell (Schlagzeug) fand in der La Taverne de l’Olympia statt – und schon hier klang dieses Trio einfach nur unfassbar tight.
10. All Around Man – BBC Old Grey Whistle Test, Live At The Shepherds Bush Empire, 1976
Als Ersatz-Arzt, als Navigator und Problemlöser präsentiert sich Rory Gallagher in diesem Song, den der musikalische All Around Man fünf Jahre nach seiner ersten Aufnahme für die BBC einspielte. Die dazugehörige The BBC Collection umfasst erstmals sämtliche Live-Takes, die zwischen 1971 und 1986 für den britischen Sender entstanden sind. Sprich: Auf insgesamt 18 CDs und zwei Blu-ray-Discs vereint die Kollektion Dutzende von ikonischen Performances aus 15 Jahren – und das Beste: Drei Viertel davon waren bislang unveröffentlicht!