Eigentlich sollte nach Born To Die gar nichts mehr kommen. Dann überrascht Lana del Rey mit einer ebenso radikalen wie visionären Kurskorrektur – und lässt ihrem Durchbruch das gitarrenlastige, schleppende, verrauschte, spektakulär unkommerzielle Film-Noir-Manifest Ultraviolence nachfolgen. Heute wird das Album zehn Jahre alt.
von Björn Springorum
Die Geschichte schien eigentlich schon erzählt. Junge Sängerin wird durch YouTube zum Internet-Star, veröffentlicht ein Album, wird weltberühmt. Und fügt sich danach nahtlos in das sexistische, misogyne Gefüge der Musikindustrie ein, um das zu tun, was alte weiße Männer ihr befehlen. Nicht so Lana del Rey. Nach der Veröffentlichung ihres zweiten Albums Born To Die (2012, verkaufte Einheiten: sieben Millionen) wird sie von der Kritik zerfetzt. Man spricht ihr jegliche Authentizität ab, seziert sie, zerlegt sie aufs Übelste.
Sechs Wochen in Nashville
Damals will sie eigentlich schon wieder mit der Musik aufhören. „Ich hatte alles gesagt, was ich sagen will“, meinte sie damals mehrfach. Genießen kann sie den Erfolg anfangs auch nicht: „Alles daran war schlecht.“ Irgendwann schreibt sie doch. Erst einen Song. Dann ein ganzes Album. Es entsteht überwiegend in Malibu, schlägt eine deutlich ruhigere, introspektive Richtung ein. Irgendwann lernt sie Dan Auerbach kennen. Dan Auerbach, den Mastermind der Black Keys, Inhaber der Easy Eye Studios in Nashville, Gitarrenguru, Indie-Ikone.
Die beiden beschließen, ein paar Tage in seinem Studio an den Songs zu feilen. Am Ende bleibt Lana del Rey sechs Wochen in Nashville, nimmt die Songs praktisch noch mal neu auf. Durch Auerbach kommen Gitarren, Drums und allerlei Loops in ihren Sound, die es davor und danach nie gab. Es entsteht ein Album, schleppend, nostalgisch, voller verspulter, verrauchter und überlanger Songs über die dunkle Seite Hollywoods, den Frauenhass der Industrie, ihre ungesunden Beziehungen zu älteren Männern. Eine klassische Radiosingle wie Video Games ist nicht drauf.
Aus den Fängen der Industrie
Das gefällt ihrem Label Polydor nicht. Also, so gar nicht. Auerbach selbst erzählte dem Rolling Stone mal so: „Die Geschichte, die mir erzählt wurde, ist die, dass sie es ihrem Label vorgespielt haben und sie sagten: ‚Wir bringen diese Platte, die du und Dan gemacht habt, nicht heraus, wenn du dich nicht mit dem Produzenten von Adele triffst.‘ Und sie sagte: „Schön, wie auch immer.‘ Und sie kam zu spät zu dem Treffen, und während sie warteten, spielte der Labeltyp dem Adele-Produzenten vor, was wir aufgenommen hatten, und er sagte: ‚Das ist fantastisch, ich würde nichts tun, um das zu ändern.‘ Und jetzt kommt der Clou: Plötzlich sagte der Label-Typ: ‚Ja, ich finde es auch toll.‘“
Zweieinhalb Jahre nach Born To Die erscheint mit Ultraviolence ein Album, das für Lana del Rey gleichzeitig Zäsur und Neuanfang darstellt. Sie ebnet damit den Weg in eine Zukunft, in der sie auch zehn Jahre später noch die Musik macht, die sie will. Und nicht die, die man von ihr hören will. Was das für ein Kraftakt gewesen sein muss, lässt sich nur erahnen. Doch ihr Durchsetzungsvermögen hat uns ein ganz und gar unglaubliches, cinematisches, psychedelisches Meisterwerk geschenkt, mehr Roman-Polanski-Soundtrack aus den Sechzigern denn kontemporäres Popalbum.
Wie ein Polanski-Film aus den Sechzigern
Dazu passt auch das Cover des Albums – ein Polaroid-Foto von Neil Krug. Es zeigt Lana mit ausdruckslosem Gesicht in ihrer Einfahrt, bekleidet mit einem lässigen weißen T-Shirt. Krug erklärte mal gegenüber Complex: „Das Cover sollte sich wie die letzte Einstellung eines Polanski-Films anfühlen, in dem das Publikum ordentlich traumatisiert wurde und dies das letzte ist, was es sieht, bevor der Abspann läuft.“ Die traurige, melancholische und ahnungsvolle Stimmung des Albums passt dazu. Ultraviolence fühlt sich so an, als würde man morgens verkatert an einem Pool in einer Villa in den Hollywood Hills liegen und mit den Kräften am Ende sein.
Der Titel des Albums ist inspiriert von Anthony Burgess’ Roman A Clockwork Orange – und der Titelsong nicht ohne Kontroversen. In einer Textzeile zitiert sie den von Phil Spector produzierten Song He Hit Me (And It Felt Like A Kiss) von The Crystals, singt diese Zeile aber schon lange nicht mehr. „Ich fühle mich mit diesem Text nicht mehr wohl“, sagte sie mal gegenüber der BBC. Schonungslos ehrlich mit der Industrie um sie herum ist sie dennoch. F*cked My Way Up To The Top ist unapologetisch, weil sie genau das versucht habe. Sie habe mit vielen Männern aus der Musikindustrie geschlafen – „aber es hat mir nichts gebracht, was sehr ärgerlich ist“, fügt sie in trockenem Humor an.
Ultraviolence ist ein Rausch in der gleißenden Sonne Hollywoods. Ein Album, wie es im Buche steht, ein Songzyklus, den man am Stück hört, dessen Stimmung einen verschlingt, exquisit düster, luxuriös, wehmütig – und durch und durch Lana del Rey.
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