Nur wenige Monate nach Jim Morrisons Tod veröffentlichen The Doors ihr neues Album Other Voices. Das ist musikalisch zwar weitgehend unauffällig, doch der Kraftakt und der Mut einer Band im Schockzustand verdienen noch heute vollsten Respekt. Eine Studie in Bewältigungsstrategie.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr Other Voices von The Doors hören:
Am 3. Juli 1971 verlieren The Doors ihren Anführer. Jim Morrison stirbt mit 27 Jahren in Paris, während die Band auf der anderen Seite des Atlantiks insgeheim auf die Rückkehr des Meisters aus dem Exil hofft, um wieder ein Album aufzunehmen. Erst im April veröffentlichten sie L.A. Woman, eine hochgelobte Rückkehr zu alter Stärke, live treten The Doors seit des Vorfalls im Miami am 1. März 1969 aber längst nicht mehr auf. Damals bringt Morrison seine eigene Statue zum Einsturz, um endlich runter von diesem Podest des Sexgotts zu kommen, auf dem er längst nicht mehr stehen wollte. Mit selbst für ihn überraschend großem Erfolg.Er will die Band verlassen, wird überredet zu bleiben, und ist bei den Aufnahmen zu L.A. Woman konzentriert, fokussiert und selten betrunken. Dennoch hält es Jim Morrison nicht mehr in den USA. Vielleicht, weil er eine Gefängnisstrafe fürchtet, vielleicht, weil ihm der Rummel um seine Person über den Kopf gewachsen ist. So oder so: Im März 1971 flüchtet er mit seiner Freundin Pamela Courson nach Paris, wenige Wochen später ist er tot.
Eine Band unter Schock
Der Rest der Band ist damals schon wieder in ihrem Studio und Proberaum auf dem Santa Monica Boulevard, um dem Erfolg von L.A. Woman möglichst schnell einen Nachfolger an die Seite zu stellen. Dann kommt der Anruf. „Ich ging ran und glaubte natürlich nicht, was ich da hörte. So etwas wurde uns ständig erzählt – dass Jim von einer Klippe gesprungen ist oder so“, erinnert sich Robby Krieger an den Moment, als The Doors vom Tod ihres Sängers erfuhren. „Also schickten wir unseren Manager nach Paris, der uns bald danach anrief und Jims Tod bestätigte.“
Ray Manzarek, Robby Krieger und John Densmore stehen unter Schock. Vielleicht als Folge des Schocks, der Fassungslosigkeit, macht die Band einfach weiter. Sie spielen, sie komponieren, sie nehmen auf. „Es waren harte Zeiten“, erinnert sich Robby Krieger. „Wir hätten natürlich einfach aufgeben können. Aber wir hatten eben all diese Songs und sagten uns: Lasst sie uns aufnehmen und mal schauen, was passiert. Vielleicht hätten wir das Album nicht so bald nach Jims Tod veröffentlichen sollen. Aber wir hatten das Gefühl, dass es das Einzige war, was wir tun konnten.“
Iggy Pop für Jim Morrison
Die Band entscheidet sich, keinen Ersatz für Morrison an Bord zu holen. Ein weiser Schritt: Die ganze Sache wäre ihnen sofort um die Ohren geflogen, wenn sie versucht hätte, die ikonische Überlebensgröße eines Jim Morrison zu ersetzen – selbst mit einem Iggy Pop als Nachfolger, der mal eine Zeitlang im Gespräch war. Also machen sie als Trio weiter, teilen den Gesang zwischen Ray Manzarek und Robby Krieger auf. Keine gute Idee, aber wahrscheinlich immer noch die beste. Weder Manzarek noch Krieger hat das Zeug zum Frontmann, von Charisma, Sex-Appeal oder Stimme mal ganz zu schweigen. Die beiden sind gute Musiker. Doch eine Band führen wie Morrison, da vorne stehen und sich hingeben, das konnten wenige so wie er.
Doch lieber ein Jazz-Trio?
„Wahrscheinlich hätten wir einfach ein Jazz-Trio werden sollen anstelle so zu tun, als wären wir immer noch eine Rock-Band, nur eben ohne Lead-Sänger. Aber“, so Krieger, „es gab einige echt starke Songs auf dem Album. Wir waren ja sogar auf Tour und zogen immer noch ordentlich Leute.“ Das größte Problem für die Band ist aber eben: Es gibt Jim Morrison nicht mehr. Das merkt man Other Voices natürlich an. Seine mystische, spirituelle Art zu texten fehlt den Songs vollkommen; und erst wenn man die Songs von The Doors ohne seine besessene, unglaubliche Stimme hört, merkt man, wie viel Jim Morrison beigetragen hat.
Das soll nicht heißen, dass Other Voices ein schlechtes Album ist. Es erklärt aber, weshalb es lange Zeit so gut wie nicht existent war. Erst 2006 erschien es erstmals auf CD, lange Jahre davor war es überhaupt nicht mehr erhältlich. In den Achtzigern und Neunzigern, so hört man immer wieder, wussten viele Menschen nicht mal, dass The Doors nach Morrisons Tod noch einige Jahre weitergemacht hatten. Das ist keine Tragödie. Die Geschichte dieser Band wird aber erst mit Other Voices komplett.
Nicht mehr zu verstehen
Vielleicht war es ihre Art, mit dem Tod ihres Bandleaders fertigzuwerden. Und als Zeitdokument ist das musikalisch sehr unentschiedene, mal geradlinig rockende, mal bluesige und mal trippige Other Voices durchaus hörenswert: Der Opener In The Eye Of The Sun ist charmant psychedelisch, Variety Is The Spice Of Life ist ein augenzwinkernder Blues-Rocker, Ships w/Sails ein melancholischer Song mit etwas zu viel Pathos, Down On The Farm fast schon Beatles‘esque. Es fehlt aber eben an Substanz, an abgründigem Furor, an Wahnsinn und echter Überzeugungskraft. Dennoch, das kann man alles durchwinken und auch heute noch hören. Dass The Doors im August 1972 mit Full Circle dann aber noch mal ein Album ohne Jim machen, das ist dann so langsam wirklich nicht mehr zu verstehen.
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