Er besitzt eine der eindringlichsten Rockstimmen der letzten zwei Dekaden: Myles Kennedy wurde bekannt als Frontmann von Alter Bridge und gehört zur Soloband von Guns N’ Roses-Gitarrengott Slash. Himmel, der Mann durfte sogar schon bei Led Zeppelin vorsingen (kein Witz)! Mit Year Of The Tiger hat er vor wenigen Monaten sein erstes Soloalbum veröffentlicht, auf dem er neben klassischem Rock eine ursprünglich klingende Vorliebe für Americana, Blues und Country zeigt. Nun bringt er diese Musik unter eigenem Namen auf die Straße – und gastiert am 16. Juli in der Christuskirche in Bochum. Wer allerdings eine zurückgelehnte Akustik-Sause erwartet, trägt neben einem musikbeglückten Grinsen auch einen Satz klingelnde Ohren nach Hause.
von Christof Leim
Hier könnt ihr die Setlist des Abends nachhören:
„This place is beautiful!“ Myles Kennedy fühlt sich wohl in der Christuskirche. In der Tat bietet das Bochumer Gotteshaus ein besonderes Ambiente für ein Rockkonzert: Holzbänke, marmorner Boden, eine Empore, bunte Kirchenfenster bis unter die hohe Decke. So sehen Säle üblicherweise nicht aus. Der Mann hat sichtlich gute Laune, als er grinsend, winkend und ohne großes Intro auf die Bühne tritt. Die Show ist komplett ausverkauft, überall sieht man Alter Bridge-Shirts, und es herrschen schon sehr sommerliche Temperaturen im Raum, bevor der erste Ton gespielt wird. Aber der Reihe nach…
Den Anfang macht pünktlich um acht Dorian Sorriaux: Heute steht der Gitarrist der Blues Pills alleine mit einer Akustikgitarre auf der Bühne und präsentiert seine Soloveröffentlichung Hungry Ghost. Mit sanfter, klagender Stimme singt er zu fließenden Songs, die mehr „Ambient“ als „Rock“ bieten. Es zählt also die Atmosphäre, die Hooklines verstecken sich. Abgesehen davon, dass der gelockte Mittzwanziger kompetent und clever Gitarre spielt, wirkt das vor allem leicht und sympathisch.
Blues Pills-Gitarrist Dorian Sorriaux eröffnet den Abend
So sieht das auch Myles Kennedy: „A beautiful soul“, kommentiert er. „We need more people like this on this planet.“ Er selbst startet sein Set mit dem treibenden Devil On The Wall, begleitet vom Bassisten Tim Tournier und Schlagzeuger Zia Uddin, einem alten Freund aus der gemeinsamen Band The Mayfield Four. Die drei klingen erdig wie auf der Platte, bringen aber ein ziemliches Pfund auf die Bühne, was vielleicht auch am Saal liegt. (Wenn ja, sollten wir alle öfters laute Musik in Kirchen hören.)
Die Zuschauer jedenfalls gehen mit und erscheinen generell ziemlich textsicher. The Great Beyond und Ghost Of Shangri La folgen, rasch stehen viele Fans auf oder rennen gar durch den Mittelgang nach vorne. Dazu lächelt der Sänger ständig und erweist sich einmal mehr als souveräner Frontmann, der mit sich und den Zuschauern umzugehen weiß. Mal spielt er E-Gitarre, mal Akustikgitarre, bei etwa der Hälfte der Lieder auch ohne seine Band, was dem Abend eine klangliche Abwechslung verleiht.
Mit viel Freude dabei: Myles KennedyWenn Kennedy alleine auf der Bühne steht, produziert er einen Bassdrum-Sound über ein Fußpedal und gibt dem Ganzen so einen bodenständigen Beat, der an das stoische Stampfen von John Lee Hooker erinnert. Der herrlich dreckige Country-Einschlag kommt vor allem dann richtig durch, wenn er zur Dobro greift, einer blechern klingenden Resonatorgitarre. Sein laut beklatschtes Solo bei Haunted By Design schließlich zeigt nicht nur Anflüge seiner frühen Jazz-Vergangenheit, sondern auch auch, dass der Mann es nicht nur als Sänger drauf hat.
Das Set besteht erwartungsgemäß vor allem aus Stücken seines Soloalbums, darunter Turning Stones, Blind Faith und Songbird. Dabei erweisen sich nicht alle Songs als gleich „zutraulich“, sie gehen unterschiedlich gut ins Ohr, doch die Darbietung gerät durchgehend intensiv und seelenvoll. Kennedy geizt nicht mit Überraschungen: So zieht er mit Standing In The Sun und dem mitreißenden World On Fire zwei Songs seines Slash-Repertoires aus dem Ärmel, die beide ausgesprochen gut ankommen. Auch der Alter Bridge-Track Watch Over You wird laut mitgesungen, Addicted To Pain, ebenfalls von Alter Bridge, setzt sogar noch einen drauf: Es verblüfft, dass diese Brachialnummer auch in einer auf Akustikgitarre reduzierten Version funktioniert. (Der kleine Szenenapplaus hingegen, als der 48-Jährige sein Holzfällerhemd auszieht und durchtrainiert im gerippten Unterhemd dasteht, überrascht weniger.)
Myles Kennedy erzählt viel, etwa von seiner Jugend als Metalhead – und bringt tatsächlich ein atmosphärisch dichtes, eigenständiges Cover des Headbanger-Evergreens The Trooper von Iron Maiden. Kennedy gibt zu, dass er gerne und viel Unsinn auf der Bühne erzählt und die Show schnell mal zu einem „idiot fest“ wird. Er verspricht, sich diesmal zurückzuhalten, startet aber umgehend einen improvisierten Rocksong mit der großzügig wiederholten Zeile „Good time, we’re having such a good time“. Das mag zwar aus der Hüfte geschossen sein, funktioniert aber prima und hebt die Stimmung. „Welchen Titel könnte der Song wohl tragen?“, fragt er und lacht schon wieder.
Mit dem melancholischen White Flag geht es dann zurück zu The Mayfield Four, richtig erdig wird es beim Klassiker Traveling Riverside Blues von Robert Johnson, den vor allem Led Zeppelin bekannt gemacht hatten. Und ja, man kann sich Myles Kennedy durchaus als Stimme für ein Projekt von Jimmy Page und John Paul Jones vorstellen, wenn Robert Plant darauf weiter keine Lust verspürt. Zum Abschluss kommt dann der tolle Titelsong Year Of The Tiger, bevor das getragene Love Can Only Heal einen guten Abend beschließt. Die gute Laune von Kennedy und seiner Band, die offensichtliche Freude an der Musik ohne zu viel Kopfzerbrechen dabei – das alles wirkt ansteckend. „This is place is beautiful, you are beautiful“, hatte er gesagt, und ja: Das heutige Konzert war nicht nur sehr heiß, sondern auch sehr herzlich.
Setlist: