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Zeitsprung: Am 19.6.1988 sorgt Michael Jacksons Show an der Berliner Mauer für Aufregung in Ost & West.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 19.6.1988."

von Christof Leim

Sommer 1988: Dank Michail Gorbatschow haben „Glasnost“ und „Perestroika“ bereits eingesetzt, doch Deutschland und Berlin sind noch geteilt. Als am 19. Juni Michael Jackson auf dem Platz der Republik direkt an der Mauer spielt, dreht die Stadt durch – in Ost und West.


Hört hier in das damals aktuelle Album Bad rein:

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Näher dran geht es kaum: Der Platz der Republik liegt in Berlin vor dem Reichstagsgebäude, direkt dahinter verläuft 1988 noch die Mauer. Genau hier soll am 19. Juni Michael Jackson auftreten, der damals 29-jährige „King Of Pop“ auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Im Vorjahr war sein Hitalbum Bad erschienen, die dazugehörige Welttour bricht Rekorde in Serie und führt ihn zum ersten Mal nach Deutschland.



Die resultierende Aufregung kann man sich vorstellen: Jacksons Anhänger bekommen Schnappatmung vor Begeisterung, die DDR-Behörden vor Angst um die sozialistische Ordnung. Denn natürlich wollen auch im Osten Berlins Fans das Konzert zumindest hören. Die Stasi befürchtet Randale und legt eine Akte zum Künstler an. Wie die Rheinische Post und The Guardian später berichten, lautet die Einschätzung, dass "Jugendliche unter allen Umständen versuchen werden, dieses Konzert vom Bereich Brandenburger Tor aus zu erleben. Genannte Jugendliche kalkulieren dabei eine Konfrontation mit der Volkspolizei ein.“ Deshalb wird eine Ablenkung geplant: Jacksons Show soll auf eine Leinwand in das Ostberliner Stadion übertragen werden, allerdings zeitversetzt, um unliebsame Äußerungen ersetzen zu können. Dazu kommt es allerdings nicht.

Am Vortag der Veranstaltung dokumentieren die Schnüffler des MfS minutengenau, wie der US-Star den berühmten „Checkpoint Charlie“ besucht. Später stellt sich heraus, dass der (west-)deutsche Sender Sat1 einen Doppelgänger durch die Stadt geschickt und mit einem Kamerateam begleitet hat. Reingefallen. Viele andere Medien veröffentlichen ähnliche Meldungen, erst später klärt sich das auf, und auch noch Jahre danach finden sich unzählige Artikel und Bilder im Netz, die den falschen Michael Jackson zeigen.



Interessanterweise scheint der Künstler stattdessen den Berliner Zoo besucht zu haben – inkognito, mit falschem Bart, falschen Zähnen, Mütze und Sonnenbrille. Eine abgefahren aussehende Bildersammlung dazu gibt es hier. Wie der Tagesspiegel schreibt, übernachtet Jackson im Hotel Schweizerhof. Das weiß aber niemand: „Offiziell war er im Interconti abgestiegen – dort schlief ein Doppelgänger.“

Am Konzerttag herrscht erwartungsgemäß riesiges Gedränge auf der großen Wiese vor dem Reichstag, 40.000 bis 50.000 Besucher wollen der erfolgreichsten Musiker dieser Ära live erleben. Das nimmt irgendwann beängstigende Ausmaße an, so dass laut Tagesspiegel „der Veranstalter auf Bitten der Polizei tausende Fans ohne Kontrolle“ einlässt. Weiter heißt es: „Gegen 15 Uhr waren die Eingänge geöffnet worden, eine Stunde später war es vor der Bühne völlig überfüllt, und so endete für manchen das Konzert bereits, bevor Jackson auch nur den ersten Kiekser gesungen hatte. Immer wieder mussten die Ordner völlig erschöpfte Mädchen und junge Frauen aus dem Gedränge ziehen.“



Im Osten finden sich ebenfalls mehrere Tausend Fans am Brandenburger Tor ein, argwöhnisch beobachtet von Volkspolizisten und Stasi-Mitarbeitern in Zivil. Den Behörden missfällt zudem, dass Westmedien dokumentieren, wie die Ostjugend auf einen Star aus dem kapitalistischen Ausland reagiert. Deshalb werden Kamerateams von ARD und ZDF massiv behindert, weswegen die Bundesregierung später offiziell Beschwerde einlegt.



Am Abend geht es dann endlich los: Michael Jackson startet mit I Wanna Be Startin’ Something, insgesamt stehen 18 Songs auf Setlist. Als Duettpartnerin bei I Just Can’t Stop Lovin’ You agiert eine seiner Background-Sängerinnen namens Sheryl Crow. (Ja, genau die.) Ansonsten sind alle Knaller am Start, von Billie Jean, Beat It und Dirty Diana bis zu Smooth Criminal, Man In The Mirror und Thriller. Manche Zuschauer beschweren sich später darüber, zu wenig gesehen zu haben, der Tagesspiegel beobachtet sogar einen unübersehbaren „Abfluss resignierter Fans“. Trotzdem geht diese Show alleine wegen ihrer zeitlichen und räumlichen Lage in die Musikgeschichte ein. Der erste war Michael Jackson allerdings nicht: Schon vorher hatten Künstler direkt an der Mauer gespielt, zum Beispiel wenige Tage vorher Pink Floyd, die versprechen mussten, ihr Konzert klangtechnisch „nach Westen“ auszurichten – und die deshalb beim Soundcheck zum Song Another Brick In The Wall erstmal demonstrativ die Boxen umgedreht hatten. Aber das ist eine andere Geschichte…



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