Zeitsprung: Am 4.9.1983 spielt Phil Lynott in Nürnberg zum letzten Mal mit Thin Lizzy.
popkultur04.09.23
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 4.9.1983.
von Timon Menge und Christof Leim
In der Welt der geschmackvollen Hard-Rock-Musik gehören Thin Lizzy in jede Bestenliste. Während der Siebziger schafft es die Band um den charismatischen Bassisten und Sänger Phil Lynott zur weltweiten Bekanntheit und legt ein paar legendäre Alben hin, allen voran Jailbreak (1976) mit dem Megahit The Boys Are Back In Town und den feurigen Konzertmitschnitt Live & Dangerous (1978). Doch mit Anbruch der neuen Dekade beginnen schwierige Zeiten für die irische Vorzeigeband. Nur drei Jahre später spielt die Gruppe in Nürnberg ihr letztes Konzert…
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Zu Beginn der Achtziger hat Phil Lynott gut zu tun: Im Februar 1980 heiratet er, im Frühling erscheint sein erstes Soloalbum Solo In Soho, im Sommer wird er Vater, und im Herbst steht das neue Thin Lizzy-Album Chinatown an. Nach dem Ausstieg von Gary Moore spielt jetzt Snowy White Gitarre, der zuvor mit Pink Floyd auf Tour gewesen war. Es folgt Renegade (1981) und ein weiteres Solowerk (The Phillip Lynott Album, 1982), White verlässt die Band und wird durch John Sykes von den Tygers Of Pan Tang ersetzt. Mit ihm entsteht Thunder And Lightning, das einen deutlichen Heavy-Metal-Einfluss zeigt und am 4. März 1983 erscheint. (Die ganze Geschichte könnt ihr hier nachlesen.) Das Album kann sich hören lassen, doch das Schlachtschiff Thin Lizzy schlingert schon unübersehbar. Auf dem amerikanischen Markt hatte die Band in den vergangenen Jahren zusehends an Status verloren, die Alben verkauften sich schon seit Ende der Siebziger immer schlechter. Immerhin blieb die Gruppe in Großbritannien relativ erfolgreich.
Das letzte Thin Lizzy-Werk kann sich hören lassen, doch da wachen die Probleme den Musikern bereits über den Kopf. Ungesunde AngewohnheitenDas größere Problem liegt aber in Lynotts Drogenkonsum, der auszuarten beginnt und ihn sogar die junge Ehe kostet. Auch Langzeitgitarrist Scott Gorham kämpft immer wieder mit seinen Dämonen und erleidet mehrere drogenbedingte Zusammenbrüche. Die Grenzen zwischen Solo- und Bandaktivitäten verschwimmen zusehends und zerren neben den ständigen Line-up-Wechseln an der Truppenmoral. Schließlich wirft sogar der langjährige Manager Chris O’Donnell hin. Sein Kommentar: „Eine ehemals brillante Band verwandelte sich vor meinen Augen in Scheiße.“ Kurzum: Die Luft ist raus.
Thin Lizzy in ihrer letzten Aufstellung: John Sykes, Brian Downey (verdeckt), Phil Lynott, Scott Gorham, Darren Wharton. Pic: Harry Potts.Die Tour zu Thunder And Lightning soll deshalb die letzte Konzertreise werden. Zumindest wird sie so angekündigt, doch Kapitän Lynott selber gibt später zu Protokoll, davon nicht ganz überzeugt gewesen zu sein. Jungspund Sykes will natürlich weitermachen, Scott Gorham hingegen hat genug und fürchtet sogar um sein Leben, wenn er weiter mit einer Rock’n’Roll-Band um die Welt jettet. Das zeigt sich alleine schon während der Japan-Termine, bei denen die Musiker Probleme haben, an Heroin zu kommen.
Irgendwann muss Schluss seinTrotz allem erweist sich die Tour als erfolgreich und gipfelt in einer Show im legendären Hammersmith Odeon in London, für die Lynott ehemalige Bandmitglieder wie Brian Robertson, Eric Bell und Gary Moore an den Start bringt. (Ein Mitschnitt erscheint am 16. Oktober 1983 auf dem Doppelalbum Life.)
Doch irgendwann kommt das Ende: Am 4. September spielen Thin Lizzy mit Phil Lynott in Nürnberg im Rahmen der Monsters Of Rock-Tour, auf deren Billing auch Whitesnake, Ozzy Osbourne, Blue Öyster Cult und Motörhead zu finden sind. Sein letztes Konzert mit der von ihm gegründeten Band spielt Lynott also in guter Gesellschaft. Auf der Setlist stehen acht Klassiker und zwei neue Songs, als Abschluss zockt die müde Mannschaft das Bob Seger-Cover Rosalie. Audiomitschnitte finden sich im Netz, eine Fotogalerie gibt es hier.
Schaffen sie es nochmal?Im Anschluss gehen die Mitglieder getrennte Wege, Thin Lizzy sind Geschichte. Natürlich hegen die Fans – und wohl auch die Musiker – die heimliche Hoffnung, dass es die Band eines schönen Tages wieder geben wird. Doch zunächst gründet Phil Lynott Grand Slam, die nach einer kurzen Tour wieder auseinanderbrechen. 1985 veröffentlicht er mit Gary Moore die Single Out In The Fields (mit dem Grand Slam-Stück Military Man als B-Seite), die es bis auf Platz fünf der britischen Charts schafft. Sein Soloversuch Nineteen hingegen bleibt weitestgehend erfolglos.
Noch im selben Jahr möchte Lynott Thin Lizzy wiederbeleben und schart Ur-Drummer Brian Downey, Gitarrist Scott Gorham und Gitarrist John Sykes um sich. Für Januar 1986 bucht der Bandleader einen Studiotermin, doch die Musiker werden ihn nie wahrnehmen: Am 4. Januar 1986 stirbt Philip Parris Lynott an den Folgen seines Drogen- und Alkoholkonsums. Das Konzert in Nürnberg nicht mal drei Jahre zuvor blieb also sein letztes mit Thin Lizzy.
The Rocker: Phil Lynott von Thin LizzyIn der Folgezeit kommt es zu einigen Reunions und neuen Inkarnationen von Thin Lizzy, zunächst mit John Sykes am Gesang, später übernimmt Ricky Warwick von The Almighty. Aus letzterer Konstellation entstehen die Black Star Riders, während Brian Downey mittlerweile unter dem Banner Alive & Dangerous tourt. Neue Thin Lizzy-Musik gibt es jedoch nicht – und das ist ohne den Poeten und Rocker Phil Lynott auch nur schwer vorstellbar.