Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.2.1994.
von Timon Menge und Christof Leim
Green Day gehören zweifelsohne zu den Wegbereitern des Pop-Punk. Gemeinsam mit The Offspring definieren sie zu Beginn der Neunziger das Genre, Gruppen wie Blink-182 und Sum 41 ziehen nach. Am 1. Februar 1994 gelingt den Kaliforniern mit Dookie der Durchbruch.
Hört hier in Dookie rein:
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Zu Beginn der Neunziger stehen die kalifornischen Punks Green Day auf einmal im Rampenlicht. Ihr zweites Album Kerplunk wird 1991 zu einem kleinen Hit, plötzlich interessieren sich große Labels für das Trio. Statt den Punks ein Dosenbier auszugeben, lädt man Green Day schick zum Essen ein; eine der interessierten Firmen stellt sogar einen Besuch in Disneyland in Aussicht. Doch erst Rob Cavallo von Reprise Records gewinnt das Vertrauen der Gruppe. „Er war der Einzige, mit dem wir wirklich reden konnten und zu dem wir eine Verbindung spürten“, geben Green Day später zu Protokoll.
Green Day auf einem offiziellen Pressefoto
In der kalifornischen Punkszene kommt der Wechsel zu einem Majorlabel allerdings alles andere als gut an. Der Musikclub 924 Gilman Street geht sogar so weit, der Band ein Hausverbot auszusprechen, weil sie sich „verkauft“ habe. Erst im Jahr 2015 spielen Green Day wieder dort. In einem Interview mit Spin erinnert sich Sänger Billie Joe Armstrong 1999 an den großen Umbruch: „Wir konnten nicht zurück in die Punkszene, egal, ob als erfolgreichste Band der Welt oder als gescheitertes Projekt. Es gab nur eine Option: den Blick nach vorne.“ Gesagt, getan: Green Day ernennen Cavallo zum Produzenten ihres dritten Albums und drücken ihm ein Demo mit neuen Songs in die Hand. Als er sich das Material im Auto anhört, merkt er nach eigenen Aussagen bereits, dass er über etwas Großes gestolpert ist.
Die Aufnahmen zu Dookie können beginnen. In gerade mal drei Wochen spielen Green Day das Album ein, gemischt wird zweimal, weil die Platte zunächst nicht so klingt, wie die Gruppe es möchte. Was die Songs betrifft, stammt das meiste Material aus der Feder von Frontmann Armstrong. Bassist Mike Dirnt steuert Emenius Sleepus bei, Schlagzeuger Tré Cool schreibt den Hidden Track All By Myself. Inhaltlich beschäftigen sich die Musiker mit Themen wie Angst, Panikattacken, Masturbation, Langeweile, Massenmord, Scheidung, sexuelle Orientierung und Exfreundinnen. Um das erwünschte Ergebnis zu erreichen, greifen die Musiker mitunter zu schrägen Mitteln. So entwickelt Dirnt seine Basslinien für die Single Longview unter dem Einfluss von LSD.
Etwas unappetitlich mutet die Herkunft des Albumtitels an. Weil Green Day viel touren und dementsprechend minderwertige Nahrung zu sich nehmen, leiden sie oft unter Durchfall. Die Musiker selbst bezeichnen ihre Unpässlichkeiten gerne als „liquid dookie“, was zunächst auch der Name der neuen Veröffentlichung werden soll. Die Plattenfirma lehnt den Titel mit der Begründung „zu eklig“ ab, man einigt sich auf Dookie. Laut der Slang-Website Urbandictionary heißt das allerdings immer noch „Sch**ße“.
Kontroversen löst ebenso das von Richie Bucher entworfene Artwork aus, auf dem explodierende Bomben zu sehen sind, die auf Gebäude und Menschen fallen. Armstrongs Erklärung dazu lautet folgendermaßen: „Ich war auf der Suche nach etwas, das anders aussieht als alle bisherigen Cover. Es sollte die East Bay repräsentieren und zeigen, wo wir herkommen, weil es in dieser Szene viele tolle Künstler gibt, die genauso wichtig sind wie die Musik.“ Für die Rückseite lichten Green Day eine Plüschfigur von Ernie aus der Sesamstraße ab, die allerdings schnell wieder von der US-Version der Platte verschwindet, weil die Gruppe befürchtet, sie könne verklagt werden. Wer genau hinguckt, kann zudem Ozzy Osbourne und Angus Young in dem Gewimmel erkennen.
Als Dookie am 1. Februar 1994 erscheint, erreicht das Album in sieben Ländern die Charts; in den USA erklimmt die Platte sogar Platz zwei. Ein Jahr später erhalten Green Day den Grammy für das „Best Alternative Music Album“. Auch die Kritiker überschlagen sich, ob im Time Magazine, im Rolling Stone oder in der New York Times. Gleich fünf Singles werden veröffentlicht: Longview, Basket Case, Welcome To Paradise (eine Neuaufnahme eines Kerplunk-Stückes), der erste Top Ten-Erfolg When I Come Around und She.
Bis heute bleibt Dookie mit 20 Millionen verkauften Einheiten das kommerziell erfolgreichste Album der Gruppe, noch vor American Idiot (2004) mit immerhin 15 Millionen Verkäufen. Gemeinsam mit Smash von The Offspring ebnet Dookie dem Punkrock nach der großen Grunge-Welle ein weiteres Mal den Weg in den Mainstream und verschafft dem Genre in den Neunzigern ein krachendes Revival — wenn auch in einem eher poppigen Gewand.