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Paul Natkin/Getty Images

Zeitsprung: She loves Rock’n’Roll – am 22.9.1958 wird Joan Jett geboren.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 22.9.1958.

von Christof Leim und Tom Küppers

Der Begriff „stinknormal“ beschreibt die Umgebung, in der Joan Jett aufwächst, vermutlich am besten. Am 22. September 1958 wird die kleine Joan Marie Larkin als das erste von drei Kindern einer Sekretärin und eines Versicherungsvertreters in einem Vorort von Philadelphia geboren. Mit 14 bekommt sie eine Gitarre, nur wenige Jahre später wohnt sie in Los Angeles und spricht mit ihrer trommelnden Freundin Sandy West den Produzenten-Guru Kim Fowley an. Der erkennt sofort das Potenzial der beiden, hilft, geeignete Mitmusikerinnen zu finden, und hebt mit ihnen The Runaways aus der Taufe.


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In der Dokumentation Edgeplay: A Film About The Runaways spielt Fowley auf die wechselnden Besetzungen der Frühphase an: „Ich hatte Ideen, sie hatten Ideen, dann haben wir uns zusammengesetzt, und es gab ein bisschen Fegefeuer.“ Mit Gitarristin Lita Ford und Sängerin Cherie Currie etabliert sich ein festes Line-Up, das 1976 das Debüt The Runaways veröffentlicht.

Die echten Riot Girls: The Runaways mit Joan Jett (2.v.l.)

In ihrer amerikanischen Heimat darf die All-Girl-Band schnell bei Größen wie Cheap Trick und Tom Petty im Vorprogramm gastieren. Doch besonders wohl fühlen sich die Musikerinnen, allen voran Joan Jett, im aufkeimenden Punk-Umfeld. Auf ihren Tourneen durch die ganze Welt lernen sie Bands wie die Dead Boys, Generation X (mit einem noch unbekannten Billy Idol) und die Sex Pistols kennen.

Im Ausland läuft es deutlich besser als zu Hause, in Japan beispielsweise bricht im Sommer 1977 eine mit der „Beatlemania“ vergleichbare Hysterie aus. Doch nach dem dritten Album steigt Sängerin Currie aus, Joan Jett übernimmt die Lead-Vocals, und zu Waitin‘ For The Night geht es im gleichen Jahr mit den Ramones auf Weltreise. Es kommt zu weiteren Zerwürfnissen: Lita Ford und Sandy West möchten den Kurs beibehalten, Jett will lieber in Richtung Punkrock steuern. An Sylvester 1978 spielt die Band ihr letztes Konzert und löst sich kurz danach auf.



Zur Nachlassverwaltung der Gruppe gehört unter anderem die Fertigstellung eines lose auf der Bandgeschichte basierenden Films, bei dem Jett den Produzenten Kenny Laguna kennenlernt. Dem gefallen die neuen Demos, die Jett mit Paul Cook und Steve Jones von den Sex Pistols aufgenommen hat, dermaßen gut, dass er sich entschließt, ihr Soloalbum zu produzieren und vorzufinanzieren. Sagenhafte 23 Absagen (darunter von etliche Majorlabels) handeln sich die beiden trotz komplett fertigen Albums ein. Also beschließt das Duo im Sinne des Do-it-yourself-Punk-Ethos, das Ding kurzerhand selbst zu veröffentlichen und auf den Konzerten unter das Volk zu bringen. Laguna glaubt so sehr an das Ganze, dass er das College-Sparbuch seiner Tochter anzapft.



Der mittlerweile als Joan Jett & The Blackhearts formierenden Band gelingt es dank mitreißender Auftritte und hervorragender Eigenverkäufe tatsächlich, im zweiten Anlauf den ersehnten Deal an Land zu ziehen. 1981 wird die Platte als Bad Reputation offiziell veröffentlicht. Ohne den rotzigen Titeltrack, Jezebel oder Don’t Abuse Me wäre der Riot-Girl-Rock der Neunziger mit Brody Dalle und Courtney Love wohl niemals erfunden worden.



Mit ihrem nächsten Album erreicht Joan Jett Ende des Jahres weltweiten Superstar-Status. Dank des ausgekoppelten Titeltracks I Love Rock ’n’ Roll (im Original von den Arrows) verkauft ihr zweiter Solostreich alleine in den Vereinigten Staaten mehr als zehn Millionen Exemplare. In der Folge erscheinen reihenweise ausgezeichneter Alben und vor allem Hitsingles auf konstant hohem Niveau – wie das gemeinsam mit Kiss/Aerosmith/Bon Jovi-Kollaborateur Desmond Child erdachte I Hate Myself For Loving You.



Parallel gelingt ihr der Sprung vor die Kamera: In Light Of Day – in Deutschland profan Die Rock’n’Roll-Geschwister getauft – spielt sie 1987 unter großem Kritikerzuspruch die Schwester von Michael J. Fox. Später wird sie in der Sitcom Ellen und einer Broadway-Adaption des Klassikers Rocky Horror Picture Show für Erstaunen sorgen.

In den Neunzigern widmet sie sich neben ihrer Musikkarriere noch der Nachwuchsförderung und produziert beispielsweise die Band Bikini Kill. Für ihr Album Pure And Simple (1994) schreibt sie Songs mit Kat Bjelland von den Babes In Toyland und Donita Sparks von L7, was sie mit einer neuen Generation von Rockern bringt in Kontakt bringt.

Joan Jett im Vollrockmodus während der Achtziger. Credit: Doorstepsnail

Regelmäßig zeigt sie sich als Aktivistin: So nimmt sie 1995 mit Mitgliedern der Grunge-Rocker Gits unter dem Namen Evil Stig ein gleichnamiges Album auf, dessen Einnahmen der Aufklärung des Mordes an der Gits-Sängerin Mia Zapata zugutekommen. Der Täter wird 2003 festgenommen und zu 36 Jahren Haft verurteilt. Ein erstes „richtiges“ politisches Statement kommt auf dem 2006 veröffentlichtem Sinner, dessen gemeinsam mit Erfolgsproduzentin Linda Perry geschriebener Opener Riddles ernste gesellschaftliche Fragen anspricht. Sie spricht sich klar und deutlich gegen Kriege aus, unterstützt gleichzeitig die US-Armee durch Auftritte für die gemeinnützigen United Service Organizations (USO) vor Ort. Auch für PETA ist die Sängerin aktiv, die sich seit Jahrzehnten überzeugt vegetarisch ernährt.

Plumpe Fragen zu ihrem Sexualleben bügelt sie reihenweise mit Nachdruck ab. 2006 kommentiert sie in einem Interview mit der südkalifornischen Tageszeitung The Desert Sun kursierende Behauptungen über eine gleichgeschlechtliche Lebensweise: „Ich habe niemals irgendetwas zu meinem Privatleben gesagt oder gar verkündet.“

Während der Achtziger verbindet sie eine Freundschaft mit Mike Tyson; Jett wird zur Glücksbringerin des Boxers. (Die ganze Geschichte dazu steht hier.). Als bekennender Sportfan freut sie sich darüber, dass ihre Songs in diesem Kontext immer wieder neue Hörer erreichen. Die UCF-Kämpferin Ronda Rousey betritt zu Bad Reputation den Ring, I Hate Myself for Loving You hat jahrelang American Football-Übertragungen im Fernsehen begleitet, und für die ESPN X Games hat sie sogar eigene Titel komponiert.

Mittlerweile gilt Joan Jett als „Patin des Punk“. 2014 stand sie bei der Einführung von Nirvana in die Rock And Roll Hall Of Fame anstelle von Kurt Cobain auf der Bühne, im Folgejahr werden Joan Jett & The Blackhearts ebenfalls in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen.


Joan Jett 2013 – Rock’n’Rollerin, Aktivistin, Punk-Vorbild. Credit: Toglenn
Headerbild Credit: Steve Bibiano