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Die musikalische DNA von Sting

Gordon Matthew Thomas Sumner darf sich auf die Fahne schreiben, einen der missverständlichsten Songs aller Zeiten geschrieben zu haben. Noch heute soll Every Breath You Take dem britischen Musiker gut ein Drittel seiner Einnahmen in die Kassen spülen und wird dabei doch viel zu oft für einen romantischen Liebessong gehalten. Um Liebe geht es darin zwar, doch keineswegs um eine gesunde: Sting thematisierte darin eine Geschichte, die nüchtern betrachtet eher an Stalking oder an den Big Brother aus George Orwells dystopischem Roman 1984 denken lässt, nicht aber eine romantische Lovestory! „Das Stück an sich ist generisch, die Summe von hunderten ähnlichen. Die Lyrics aber sind interessant“, sagte er selbst nüchtern. So viel dazu!



 

Als Musiker wie auch als Philanthrop hat Sting noch ganz andere Erfolge für sich zu verzeichnen. Satte 16 Grammys bunkert er für sein Lebenswerk mit The Police und solo zuhause, darf sich sowohl Mitglied der Songwriters Hall of Fame als auch in der Rock and Roll Hall of Fame nennen, ein Stern auf dem Hollywood Boulevard trägt seinen Namen und er wurde selbst von der Queen zum Commander of the Order of the British Empire gekürt. Reicht, oder?


Hört euch hier die musikalische DNA von Sting in einer Playlist an und lest weiter:

 


Vor allem aber ist Sting ein Musiker, der nie vor Experimenten zurückgescheut ist und an dem so ziemlich jeder abgekaute Bassistenwitz abperlt. Pop und Rock, das ist sein Fachgebiet, seine Wurzeln indes liegen im Jazz und seine Leidenschaften brachten ihn ebenso zum Reggae, zu klassischer Musik und New Age-Sounds. Selbst nordafrikanische Pop-Musik brachte er seinem Publikum näher! Höchste Zeit, einen Blick auf seine eigenen Einflüssen zu werfen: Was hören wir in der musikalischen DNA von Sting?


1. Cream - Tales Of Brave Ulysses

Bevor The Police alle Rekorde brachen, gab es Cream. Beide vereint die spärliche Besetzung: Nur drei Mitglieder hatte jede Band. Während sein späterer und wesentlich älterer Kollege Andy Summers angeblich Eric „Slowhand“ Clapton an seine erste Les Paul-Gitarre herangeführt hat, sah Sting die Blues-Rocker während seiner Schulzeiten aus dem Publikum performen. Später sollte er gemeinsam mit Clapton die Bühne teilen und mit ihm unter anderem den Song It’s Probably Me aufnehmen, vorrangig aber wird ihm Jack Bruce als Vorbild gereicht haben: Der nämlich zeigte, was sich mit dem Bass um den Hals am Mikro so alles anrichten lässt! Ein Song wie Tales Of Brave Ulysses lebt von seiner groovenden Bassline und wagt sich dennoch musikalisch weit vor – glasklar, dass Sting sich davon inspirieren ließ! Mit Bruce sollte er viel, viel später noch ins Studio gehen und auf der Bühne stehen. Unter anderem performten die beiden gemeinsam mit Gianna Nannini Stücke aus Bertolt Brechts und Kurt Weills Meisterwerk Die Dreigroschenoper – auf Deutsch!


2. Miles Davis - In A Silent Way/It’s About That Time

Bevor Sting sich aber dem Rock zuwandte und dem Punk-Sound der späten Siebziger eine überraschende Wendung geben sollte, verdiente er sich seine ersten Sporen als Jazzer in verschiedenen Bands. Nicht aber nur musikalische Erfahrungen sammelte der junge Lehrer, seinen Spitznamen bekam er dort ebenso verpasst: Gordon Solomon, Bandleader der Phoenix Jazzmen, nannte ihn Sting, weil der Bassist stets im schwarz-gelb gestreiften Pullover auftrat und wie eine mit einem Stachel versehene, angriffslustige Biene aussah! Der Name blieb hängen. Im Dokumentarfilm Bring on the Night witzelte Sting, als ihn ein Journalist mit seinem echten Vornamen ansprach, wer eigentlich dieser Gordon sei. Nicht aber der Name, auch die Leidenschaft für Jazz erhielt sich der Police-Frontmann. Für sein erstes Solo-Album lud er sich 1985 Jazz-Musiker wie Kenny Kirkland oder Omar Hakim ins Studio und trug im selben Jahr noch Vocals für das Miles Davis-Album You’re Under Arrest bei. Diesmal aber nicht auf Deutsch, sondern auf Französisch! Der „Prince of Darkness“ scheint es Sting sowieso angetan zu haben: Den Song Soul Cages etwa spielte er 1991 bei seiner eigenen Geburtstagsfeier im Hollywood Bowl in deutlicher Anlehnung an das markante Bassriff aus It’s About That Time vom bahnbrechenden Davis-Album In A Silent Way.


3. The Clash - The Guns Of Brixton

Als Punk explodierte, wollte Sting mit dabei sein. Die Debütsingle Fall Out von The Police erschien im Mai 1977 und damit eigentlich zur rechten Zeit: Punk war gerade auf seinem Höhepunkt angekommen. In der Szene allerdings wurde die Band nicht wirklich gut aufgenommen. Der Musikjournalist Christopher Gable schrieb etwa: „Die Wahrheit ist, dass die Band sich lediglich mit den Klischees des britischer Siebziger-Punks schmückte: das gebleichte blonde Kurzhaar, Sting in seinen Overalls und Armee-Jacken, Copeland und sein manischer Schlagzeugstil. Tatsächlich wurden sie von anderen Punk-Bands dafür kritisiert, nicht authentisch zu sein und keine ‘Street Cred’ zu haben.“ Autsch, das sitzt! Immerhin waren sie den großen Punk-Bands ihrer Zeit ein kleines Stück voraus, was die Verwendung von anderen Stilelementen anging. Roxanne etwa erschien im April 1978 und damit anderthalb Jahre, bevor The Clash mit dem Album London Calling und Songs wie Guns of Brixton den Reggae-Sound adaptierten. Roxanne wurde allerdings erst rund ein Jahr später zum Hit. Ob es daran lag, dass die BBC das Stück aus ihren Playlists verbannt hatte, wie es auf Postern zur Single hieß? Bestimmt nicht, denn das war nur mehr ein Marketing-Gag: „Tatsächlich haben wir es einfach nicht in ihre Playlist geschafft“, gab Stewart Copeland von The Police Jahre später zu. „Also haben wir es in ‘Banned by the BBC’ gewendet.“ So viel zum Thema Street Cred! Mit dem Punk aber schlossen The Police schon bald wieder ab – eine richtige Entscheidung, wie sich herausstellen sollte.


4. Elton John - Come Down In Time

Statt an der robusten Straßenmusik mit drei Akkorden orientierte sich Sting schließlich immer mehr an den Helden der Pop-Musik. Elton John ist einer von ihnen. 1991 coverte Sting für das Compilation-Album Two Rooms: Celebrating the Songs of Elton John and Bernie Taupin das Stück Come Down In Time, eine schmachtende Power-Ballade. Statt einer rotzigen Punk-Attitüde fiel Sting schließlich eher mit seinem sozialen Engagement auf, welches ihn ebenso mit dem großen Songwriter verbindet. So ist er beispielsweise Patron der Elton John AIDS Foundation und teilte sich 1997 auf dem Music For Montserrat-Konzert mit dem Idol die Bühne, um Geld für wohltätige Zwecke einzusammeln. „Ich hänge nicht mit Leuten aus dem Musikbusiness rum“, gestand Elton John bei einer Live-Aufzeichnung von Come Down In Time, die er gemeinsam mit Sting bestritt. „Aber meine liebsten Menschen aus dem Business sind wohl Trudie Styler und Sting.“ Vielleicht doch besser, dass Sting irgendwann die Overalls gegen feine Anzüge austauschte: Sie hatten ihm sowieso nicht so recht gepasst, denn seine Welt ist eine andere.


5. John Dowland - Flow, My Tears

Schließlich hat Sting auch eine klassische Ader, die sich kaum langfristig mit einer Punk-Karriere hätte vereinbaren können. Bereits 1988 nahm er eine Version von Igor Strawinskijs L’histoire du soldat mit dem London Sinfonietta auf, spielte später mit dem chinesischen Pianisten Yo-Yo Ma und nahm gemeinsam mit Mary J. Blidge einen Song auf, der auf einem Stück von Johann Sebastian Bach basierte! Anerkennung in der klassischen Musik allerdings erhielt er endgültig im Jahr 2006, als er für das Album Songs from the Labyrinth Musik des 1626 verstorbenen Komponisten John Dowland neu interpretierte. Gemeinsam mit dem Lautenisten Edin Karamazov lieferte er verblüffende Neuinterpretationen des elisabethanischen Liedguts ab, die Stücke wie Flow, My Tears in einem modernen Gewand präsentierten und doch genug Respekt vor den Originalen aufwiesen, um selbst die starrhalsige Kritik zu überzeugen. Nicht nur die, denn letztlich konnte er mit dem Album sogar ansehnliche Charterfolge verbuchen. Wenn John Dowland das geahnt hätte! Übrigens erlaubte sich Sting auf einer erweiterten Ausgabe des Albums einen kleinen Scherz mit seinem Publikum: Ein Stück der regulären Ausgabe stammte nicht von Dowland, sondern seinem Zeitgenossen Robert Johnson. Die Neuauflage von 2008 umfasst auch Stings Version von Hellhound on My Trail, eine Komposition des berühmtesten Delta Blues-Sängers mit dem Namen… Na? Richtig, Robert Johnson! Zwei Welten, die wohl nur Sting so nahtlos zusammenbringen kann.


6. The Kingsmen - Louie Louie

Von der klassischen Musik zur Oper ist es bekanntlich nur ein kleiner Schritt. Zur Rockoper hingegen? Wie gesagt, Sting kann auch das spielerisch unter einen Hut bringen. The Who übten nicht nur ihren musikalischen Einfluss auf The Police aus, sie brachten dem jungen Sting auch seine erste größere Filmrolle in einer Reihe von vielen ein. Für die Adaption ihres Albums Quadrophenia schlüpfte der peroxidblonde Frischling in die Rolle von Ace Face, dem König der Mods. Dass der nicht unbedingt royale Tanzschritte drauf hat, zeigt sich in einer Clubszene des Films: Dort tanzt der junge Schauspieler zwar enthusiastisch, aber reichlich ungelenk zu den Klängen von Louie Louie von The Kingsmen, die das Richard Berry-Stück international bekannt gemacht hatten. Seiner Filmkarriere hat es trotzdem nicht geschadet, obwohl Sting seit der Jahrtausendwende höchstens noch Cameo-Auftritte für sich verbuchen kann. Schuster, bleib bei deinen Leisten! Pete Townshend von The Who übrigens inspirierte Sting indirekt zu seinem philanthropischen Aktivismus: Nachdem dieser 1979 einen Auftritt in der Benefiz-Show The Secret Policeman’s Ball hatte, folgte ihm Sting 1981 nach.


7. Bob Dylan - I Shall Be Released

Der Secret Policeman’s Ball bedeutete nicht nur für Sting persönlich, sondern ebenso in Hinsicht auf seine Karriere einen entscheidenden Wendepunkt: Es war sein erster öffentlicher Solo-Auftritt. Nachdem er mit Roxanne und Message in a Bottle noch Material von The Police aufspielte, performte er gemeinsam mit Bob Geldorf, Eric Clapton, Phil Collins und Midge Ure ein über neunminütiges Cover vom Bob Dylan-Klassiker I Shall Be Released. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass er sich der Songs des nuscheligen Amerikaners annahm, auch Girl From The North Country coverte er, ein Song vom selben Album, The Freewheelin’ Bob Dylan. Dass Sting ein Fan des Songwriters und Nobelpreisträgers ist, stand somit spätestens seit 1981 fest. Dass er Dylan jedoch bereits in seinen Teenager-Zeiten huldigte, ließ sich an dem Jugendzimmer ablesen, welches er mit seinem Bruder Phil teilte: Während der seine Wände mit Fußballspielern plakatierte, hingen auf Stings Seite Bilder von den Beatles, Motown-Stars und eben jenem Bob Dylan. Ob es dem Teenie von damals jemals geträumt hätte, irgendwann einen Anruf zu bekommen mit der Bitte, während der Verleihung des Literaturnobelpreises ein Ständchen für das Idol zu halten? Doof nur, dass es dann doch nicht ganz so lief…


8. Antônio Carlos Jobim - Insensatez

Sein Auftritt beim Secret Policeman’s Ball markierte den Beginn von Stings öffentlichem politischen Aktivismus, der sich insbesondere in den achtziger Jahren in vielen Benefizkonzerten und -aufnahmen niederschlug. Nachdem er bereits mit dem The Police-Song Driven to Tears die Grenze zwischen arm und reich thematisierte, wurde er 1984 Teil von Band Aid und sang bei Do They Know It’s Christmas? mit, dem wiederum ein Auftritt beim Live Aid-Konzert folgte, wo er mit Phil Collins und den Dire Straits auftrat. Mit seiner Frau Trudie Styler und dem brasilianischen Aktivisten Raoni Metuktire gründete er den Rainforest Foundation Fund, um den indigenen Völkern ihren Lebensraum im südamerikanischen Regenwald zu sichern. Brasilianische Töne ließ er auch auf der AIDS-Benefiz-Compilation Red Hot + Rio erklingen, für das er gemeinsam mit Antônio Carlos Jobims dessen Stück Insensatez (hier unter dem englischen Titel How Insensitive) neu interpretierte. Die 1994 verstorbene Bossa Nova-Legende basierte den Jazz-Standard wiederum auf Frédéric Chopins Prélude No. 4, womit sich für Sting erneut ein Kreis schloss: Sein Interesse an regionaler Musik aus aller Welt traf auf seine Liebe zur klassischen Musik.


9. Cheb Khaled - El Harba Win

Ein Aufsehen erregender Hit gelang Sting 1999 mit Desert Rose, einem Song, der ebenso wie Insensatez zwei unterschiedliche Welten zusammenzubringen vermochte. Auf einem lockeren Breakbeat-Groove brachte er gemeinsam mit dem algerischen Sänger Cheb Mami elektronischen Pop und nordafrikanische Raï-Vibes zusammen. Eine ungewöhnliche Kombination, die zum unwahrscheinlichen Hit wurde. Damit brachte Sting einem Weltpublikum einen Musikstil nahe, der in seiner Heimat massiv politisch aufgeladen war. Nachdem sich Raï über Jahrzehnte lang nur hedonistischen Themen gewidmet hatte, schlug die Stimmung 1988 nach einem Aufruhr um. Der damalige Präsident Chadli Bendjedid beschuldigte Raï-Sänger, das Volk gegen ihn aufgestachelt zu haben und damit für rund 500 Tode verantwortlich zu sein! Es folgten Repressionen gegen berühmte Sänger, die 1994 sogar im Mord an Cheb Hasni durch islamistische Extremisten gipfelte. Viele Sänger, darunter auch der spätere Sting-Partner Cheb Mami, verlassen das Land, um der islamistischen Verfolgung zu entgehen. Einer der Schlachtgesänge der Widerständler blieb Cheb Khaleds Song El Harba Wine, zu Deutsch: „Fliehen, doch wohin?“ Darin heißt es unter anderem: „Die Reichen fressen sich voll / Die Armen arbeiten sich zu Tode“. Worte, nicht unähnlich denen vieler Sting-Songs.


10. Puffy Daddy - I’ll Be Missing You (feat. Faith Evans & 112)

Nicht allein Desert Rose, sondern die meisten von Stings zahlreichen Kollaborationen überraschten seine Fans. Sting und Nicole Scherzinger von den Pussycat Dolls? Jupp. Sting und die Black Eyed Peas? Auch das passiert. Überraschend war auch Stings gemeinsame Performance mit Puff Daddy bei den MTV Video Music Awards am 4. September 1997, hatte der doch den legendären Gitarrenpart aus Every Breath You Take ohne Erlaubnis gesampelt. Sting konnte davon gehörig profitieren: Gerichtlich wurde entschieden, dass ihm ganze 100% der Einnahmen am Song zustanden! Dabei ist Sting selbst auf der musikalischen Hommage an Notorious B.I.G. mit dessen Frau Faith Evans am Mikrofon gar nicht zu hören. Andy Summers hingegen, der im Original Gitarre spielte, ging gänzlich leer aus und sprach sogar von „der größten Abzocke aller Zeiten“. Weiter sagte er: „Es ist sehr schmeichelhaft. Stewart (Copeland, Drummer von The Police) ist nicht drauf. Sting ist nicht drauf. Und ich laufe bei Tower Records rum und das verfickte Ding wird wieder und wieder gespielt.“ Der Groll gegenüber dem Bandkollegen schien aber nicht lange anzuhalten, schließlich vereinten sich The Police zehn Jahre nach dem Debakel wieder. Oder brauchte Summers einfach nur das Geld…?


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