
Die skurrile Geschichte der „Tax Scam Records“: Vinyl-Raritäten, die durch Steuerbetrug entstanden
vinyl19.02.25
Zwischen 1976 und 1978 entstanden zahlreiche seltene Platten, deren einziger Zweck war: das Steuerrecht austricksen – auf Kosten der Artists. Diese wussten nämlich gar nicht, dass ihre Musik je veröffentlicht wurde.
Vinyl-Sammler:innen sind stolz auf bestimmte Schätze ihrer Kollektion. Sei es eine limitierte Pressung oder ein exorbitantes Deluxe-Boxset. Aber eine ganz besondere Art von heiligem Gral ist eng mit Steuerbetrug verbunden: Die oft als „Tax Scam Records“ bezeichneten Platten haben eine faszinierende Geschichte und es gibt zahlreiche noch unentdeckte Exemplare auf der Welt – obwohl sich das Phänomen lediglich in einem Zeitraum von zwei Jahren ereignete. Und den Titel „Tax Scam“ tragen sie nicht ohne Grund: Die Idee war, eine Lücke im US-amerikanischen Steuerrecht auszunutzen und so ziemlich viel Geld zu machen.
Wie funktionierte das?
Ab 1976 gründeten einige etablierte Plattenfirmen kleinere Unterlabels, auf denen sie etliche zuvor unveröffentlichte Releases pressen ließen. Dann taten sie so, als hätten sie versucht, die Platten zu verkaufen, aber es habe sie niemand kaufen wollen. In Wirklichkeit wurden die Releases quasi nie verkauft, sondern verschenkt, in Lagerhallen gelagert oder zerstört. Die Differenz zwischen den hohen Produktionskosten und dem kaum existenten Gewinn nutzten die Labels dann, um eine Steuergutschrift vom Internal Revenue Service, der US-Bundessteuerbehörde, zu bekommen. Ein großes Plusgeschäft.
Die angegebenen Produktionskosten stimmten natürlich auch nicht mit der Realität überein. Die „Tax Scam“-Labels gaben an, beispielsweise 10.000 Exemplare eines Albums gepresst zu haben – meist waren es eigentlich wesentlich weniger, vielleicht nur 100, aber das musste ja niemand erfahren. Die Verpackung der Platten war möglichst einfach gehalten, meist ein simples Foto als Cover und eine weiße Rückseite, auf der die Tracklist und Credits standen – einige davon waren sicherlich nicht wahrheitsgemäß.
Die kleinen, neuen Labels mussten gegründet werden, damit der Betrug nicht den großen Plattenfirmen angehängt werden konnte. Das einzige „Tax Scam“-Label, von dem man genau weiß, mit welcher Firma es zusammenhing, ist Tiger Lily – das wohl berühmteste dieser Scam-Unternehmen. Dieses wurde von Morris Levy gegründet, dem Besitzer von Roulette Records. Levy ist in der Industrie als einer der cleversten Strippenzieher berüchtigt, der immer wieder neue Wege fand, auf halb- bis illegale Weise Geld mit Musik zu verdienen. Er hatte sogar Kontakt mit der Mafia. Der Autor Richard Carlin nennt Levy in seinem Buch über ihn den „Godfather of the Music Business“. Andere bekannte „Tax Scam“-Labels sind beispielsweise Guinness/Dellwood, C.C. Records, Tomorrow, Tribute oder Western Hemisphere.
Was war auf den Platten?
Die Releases konnten keine regulären Alben sein, die bereits bei anderen Plattenfirmen erschienen waren. Daher schnappten sich die „Tax Scam“-Labels meist Material von jungen Bands, das nie veröffentlicht werden sollte oder unfertig war. Also Demos, verworfene Songs oder Live-Gigs. Viele der Bands wussten jahrzehntelang überhaupt nicht, dass diese Aufnahmen je releast wurden, und manche wissen es wahrscheinlich immer noch nicht. Denn in einigen Fällen wurde das Material gestohlen und ohne Zustimmung der Artists auf Vinyl gepresst.
Das Effektive daran war, dass diese Aufnahmen schnell beschafft waren, da die Bands nicht lange ein ganzes, fertiges Album perfektionieren mussten. Es gab also schnell viele Releases auf den Labels, die später in der Steuerabrechnung ordentlich Geld einbrachten. Teilweise wurden auch Freund:innen und Angestellte der Labels in ein Studio geschickt, um schnell irgendetwas zu jammen, damit man dem fix einen Bandnamen geben und es veröffentlichen konnte. In manchen Fällen wurde sogar bereits veröffentlichte Musik unter neuen, falschen Namen gepresst.
Hätten sie theoretisch nicht einfach gar nichts oder simple Geräusche auf die Platten pressen können? Das wäre noch einfacher gewesen. Allerdings mussten die Releases schon noch halbwegs legitim wirken, sodass der Betrug nicht zu leicht aufflog. Ein wenig Anspruch war also schon involviert.
Der berühmte Stonewall-Scam
Das hat zur Folge, dass es ein paar echte Klassiker unter den „Tax Scam Records“ gibt, die von vielen als übersehene Meisterwerke gesehen werden. Eines der bekanntesten Alben ist das selbstbetitelte Debüt von Stonewall, ein Zeppelin-esques, psychedelisches Blues-Rock-Album aus 1976. Die Aufnahmen stammen aus 1972 und erschienen komplett ohne das Wissen der Band auf Tiger Lily.
Die Band habe nie Kontakt mit Tiger Lily gehabt, erzählte der Stonewall-Drummer Anthony Assalti im Jahr 2017 dem Psychedelic Baby Mag: „Unser Studiobesitzer hatte uns gesagt, dass sich niemand für unsere Musik interessiere, und uns wurde nie irgendein Vertrag oder Geld angeboten. Nach diesen enttäuschenden Nachrichten löste sich die Band auf. Irgendwer, ich weiß nicht wer, gab unsere Aufnahmen an Tiger Lily.“
Von der Veröffentlichung habe er erst viel später erfahren: „Viele Jahre später bekam ich Anrufe aus Deutschland und der Schweiz. Ein Mann sagte, er sei ein Sammler seltener Rock-Alben und er besäße ein Exemplar unseres Albums. Ich war verblüfft und schockiert!“ Das Stonewall-Album wurde mittlerweile mehrmals neu aufgelegt und zum Kultobjekt. Dennoch zog Assalti verständlicherweise das Fazit: „Es ist traurig. Wir waren vier junge Typen, die ausgenutzt wurden und nie die Anerkennung erlangten, die wir verdient hätten.“
Die Suche geht weiter
Nach zwei Jahren Steuerbetrug war dann auch Schluss. 1978 endete die „Tax Scam“-Ära, als das rechtliche Schlupfloch geändert wurde. Dennoch waren in diesen zwei Jahren viele Releases entstanden, die noch bis heute entdeckt werden wollen. Eine scheinbar nie endende Ostereier-Suche für Vinyl-Nerds.