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Foto: Frank Lebon

Phönix aus der Asche: Lady Gaga erfindet sich auf „Mayhem“ radikal neu

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Aus der Asche ihrer alten Existenz steigt eine neue Lady Gaga: Mit ihrem lang erwarteten Spektakel Mayhem zündet sie die radikale nächste Stufe ihrer janusköpfigen Karriere. Es ist ein Puzzle, das die Schönheit im Angesicht des Chaos zelebriert.

Ein wenig muss man sich Mayhem wie einen Spiegel vorstellen. Einen Spiegel, den Lady Gaga mit einem Vorschlaghammer zerschmettert. Erwartungen, Rollenbilder, die eigene Vergangenheit… alles ein Scherbenhaufen. Die blutigen Scherben, die überall verstreut auf dem Boden liegen, geben ein verzerrtes Bild ihrer selbst wider, ein Vexierspiel, voller Phantasmen, Fratzen und Illusionen. Genau dafür steht ihr neues Album: Mayhem zelebriert das Chaos, unsere widersprüchliche Existenz, Licht und Schatten in uns allen.

Götterdämmerung für die Popkultur

„Selbst wenn man die Teile nicht perfekt wieder zusammensetzen kann, kann man etwas schaffen, das auf seine eigene Weise denkwürdig und ganz ist“, so sagt sie selbst zum Grundgedanken dieses Albums, das unter anderem mit Produzent Andrew Watt in Rick Rubins Shangri-La Studio aufgenommen wurde. Das ist nicht nur durch und durch Gaga. Es ist eine Götterdämmerung für die Popkultur.

Mayhem im Circle Store:

Lady Gaga referenziert sich nicht einfach nur selbst, wie es die meisten Popstars ihrer Größe früher oder später tun. Lady Gaga sucht in ihrem Inneren nach dem, was sie immer noch antreibt, sticht, fasziniert. Und lässt diesen Gefühlen freien Lauf. Was das musikalisch bedeutet? Nun, Mayhem ist nicht weniger als das Magnum Opus dieses unberechenbaren Megastars, dieser Chimäre der Popkultur. Ganze 14 Songs umfasst dieses Album, eine Rückkehr zur überbordenden Popmusik, die nicht opulenter und ausladender hätte ausfallen können. Doch Gaga braucht diese Zeit. Braucht all diese Songs, um ihre Geschichte zu erzählen.

Erwarte das Unerwartete

Denn das tut sie auf Mayhem mehr denn je: Sie arbeitet auf, was alles mit ihr passiert ist, was sie durchgemacht hat, wie sie zu der Figur wurde, die sie ist. Sie fährt die Krallen aus, sie wiegt uns säuselnd in den Schlaf, sie singt, schreit, kreischt, rebelliert. Immer aber bleibt sie nur einer einzigen Sache treu: ihrer eigenen Unberechenbarkeit. Deswegen lässt sich Mayhem auch grob in zwei Seiten unterteilen. Die Dualität aller Dinge: Yin und Yang, Alpha und Omega, gut und böse.

Sie beginnt mit den Stücken, die wir schon sehr gut kennen: Disease und Abracadabra, beides längst verehrte Einträge im Gospel dieser Pop-Hohepriesterin. Danach geht es aber erst richtig los: Fein austariert zwischen Live-Instrumenten und elektronischer Programmierung gibt Gaga Vollgas, schöpft gesanglich alles aus, was sie zu bieten hat. Und das ist, wie wir alle wissen, bodenlos viel. Garden Of Eden besingt Abgrund und Euphorie des Nachtlebens mit schrillem 2000er-Pop, Perfect Celebrity kritisiert Ruhm und Rampenlicht mit beißenden Gitarren, Vanish Into You ist Gagas ganz persönliche Liebeserklärung an David Bowie, LoveDrug ist eine fesselnd-dunkle Disco-Hymne. Und das waren erst vier Songs!

Ein Album wie ein Puzzle

Noch mehr Puzzleteile warten dann in der zweiten Hälfte. Deutlich emotionaler und nahbarer gibt sich Gaga hier, vielleicht so nahbar wie nie auf einer Pop-Platte. Natürlich dringt ihre eigene Vergangenheit an die Oberfläche, begehrt Gehör und bekommt es auch. Lady Gaga macht aber nie den Fehler, sich an ihre riesigen Erfolge zu Beginn ihrer Karriere anzubiedern. Stattdessen evoziert sie eine künstlerische Seelenlandschaft, die auch ihre eigene Reise bis zu diesem Punkt widerspiegelt. Shadow Of A Man rechnet mit dem Patriarchat ab, begeistert dazu mit französischen Einflüssen, während The Beast doch tatsächlich an Prince erinnert. Alles endet dann natürlich mit dem großen Die With A Smile, Gagas sagenhaft erfolgreicher Zusammenarbeit mit Bruno Mars. Mit über 3,7 Milliarden Streams ist der Song der am längsten laufende Nummer-eins-Song auf Spotify.

Mayhem hat alles, was ein weiterer zukünftiger Klassiker in Gagas Repertoire braucht. Und klingt dennoch wie ein Aufbruch, ein Neuanfang in unsteten Zeiten. Zu analog und musikalisch für ein Dance-Pop-Album, viel zu infektiös und tanzbar für eine analoge Platte – da ist sie wieder, die Dualität, der scheinbare Widerspruch, die Schönheit im Chaos.

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