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Foto: Universal Music

10 Jahre „How Big, How Blue, How Beautiful“: Florence + The Machine auf dem Boden der Tatsachen

Vor zehn Jahren merkten Florence + The Machine: Der große Erfolg ist berauschend, aber das Leben wird dennoch chaotisch bleiben. Mit einem ehrlicheren Blick aufs Ungewisse im Leben schufen sie ihr drittes Album How Big, How Blue, How Beautiful.

Eine ernüchternde Identitätssuche

In den frühen 2010ern brach eine britische Band weltweit durch, da sie einen direkt charakteristischen Stil präsentierte: Florence + The Machine standen für kommandierenden Gesang, gewaltige Arrangements und einen triumphalen Vibe. Die Ästhetik war barock, mystisch, fantastisch und naturverliebt. Doch so spaßig und immersiv das alles auch war, brauchten Florence + The Machine bald einen Realitätscheck.

Nach dem umwerfenden Erfolg des zweiten Albums Ceremonials hieß es: ein Jahr lang eine Auszeit vom Musizieren nehmen. Florence Welch, die zentrale Figur der Band, nutzte diese Zeit, um vom verwirrenden High des Livespielens herunterzukommen: „Man fühlt sich SOOOO groß – aber das gibt es nicht hier in diesem Haus“, erzählte sie dem NME. „Ich versuchte, herauszufinden: Mag ich Partys? Ich gehe einfach auf ganz viele. Will ich in einer Beziehung sein? Das funktioniert auch nicht. Was ist es dann? Wonach suche ich? Ich musste zum ersten Mal mit meinen eigenen Gefühlen fertigwerden. Ich konnte mich nicht einfach wegschwemmen lassen, indem ich ein Konzert spiele.“

How Big, How Blue, How Beautiful als Jubiläumsedition:

Diese chaotische Zeit in ihrem Leben inspirierte sie dazu, realistischer und direkter zu schreiben. Auch wenn auf den vorherigen Alben Welchs Leben behandelt wurde, war es immer in einer mystischen Welt inszeniert. Dieser Stilbruch war für Welch erst mal ernüchternd, fühlte sich bald aber echter und beruhigender an; als müsse sie keine Rolle mehr spielen. Umso ehrlicher und persönlicher wirkt daher das Album, das sich daraus entwickelte: How Big, How Blue, How Beautiful.

Der Himmel ist blau

Und nein, der Albumtitel bezieht sich nicht aufs Meer. Denn tatsächlich hatte der Produzent Markus Dravs ihr verboten, Wasser-Metaphern auf dem Album zu benutzen, da diese sich bisher so oft in ihrer Musik gehäuft hatten. Das sollte dabei helfen, nicht in alte lyrische Muster zu verfallen.

Stattdessen ist der Titel How Big, How Blue, How Beautiful vom Himmel inspiriert. Ein blauer Himmel ist ein Zeichen der guten Aussichten, die Farbe Blau erinnert aber auch ans Ungewisse, eine Reise ins Blaue hinein. Der Himmel in Los Angeles bewegte Welch zum Schreiben des Titeltracks. Darin reflektiert sie die Veränderung einer Beziehung im Laufe der Zeit. Während die beiden Partner:innen zu Beginn noch im Glück schweben, wird es Welch später klar, dass sie keine Zukunft darin sieht. Das Wort „beautiful“ lässt sie daher im späteren Teil des Songs aus, da sie die Beziehung – wie den Himmel – nicht mehr als schön, sondern nur noch als groß und blau, also einschüchternd und ungewiss, sieht.

Die persönlichen Geschichten auf dem Album drehen sich nämlich vor allem um Welchs romantisches Auf und Ab. Es wirkt wie ein Konzeptalbum, bei dem wir ihr auf einer verzweifelten Suche nach der Liebe folgen. Ein wirkliches Happy End gibt es dabei nicht. Mal wirkt sie in manchen Songs unabhängig und wütend auf den (einst) Geliebten, im nächsten Moment kann sie nicht anders, als sich nach der gemeinsamen Zeit zurückzusehnen. Im Breakup-Song St. Jude muss sie schließlich zugeben: „Maybe I’ve always been more comfortable in chaos“.

Drama darf trotzdem sein

Trotz des nahbareren Schreibstils klingt die Musik noch ähnlich dramatisch und groß wie zuvor. Übertrieben und unpassend pompös wirkt das aber nicht. Tatsächlich klingen die Arrangements aus Streichern, Bläsern und Chören hier noch schöner und vielschichtiger. So wird auch ein eigentlich ruhiger und simpler Song wie Various Storms & Saints zu einem epischen und zugleich zarten emotionalen Höhepunkt.

Und die lauten Momente knallen wiederum umso wuchtiger. Die Single What Kind Of Man stampft mit Macht auf die Hörer:innen zu. Bei Delilah und Queen Of Peace passen die mitreißenden Orchestereinsätze nur zu gut zu den antiken lyrischen Metaphern. Im Laufe des Albums kommen zudem noch mehr Einflüsse heraus, die Florence + The Machine verarbeiten: Blues, Psychedelic Rock und auch mal elektronische Drums.

Ein gelungener Balanceakt

Auch wenn es vielleicht nicht die meisten bekannten Hits ihrer Karriere enthält, gilt How Big, How Blue, How Beautiful für viele Fans als das beste Album von Florence + The Machine. Denn es ist sehr ausbalanciert: Poetische Ruhe steht theatralischer Epik gegenüber, ohne dabei ins Melodrama abzudriften. Auch wenn vieles dramatisch inszeniert ist, schreibt Florence Welch nachvollziehbar und realistisch.

Nach zehn Songs, die sie mal zur Liebe ermutigen oder entmutigen, kommt sie in Mother nicht zum Fazit: „Hey, das wird schon alles gut!“ Es ist eher ein pessimistisches: „Liebe und Einsamkeit sind beide zu überfordernd, ich würde am liebsten gar keine Gefühle fühlen.“ Und dennoch nennen Florence + The Machine ihr Album How Big, How Blue, How Beautiful. Denn selbst das große Ungewisse im Leben, das einschüchternde Chaos, ins Blaue hineinzuleben, lässt sich immerhin für die Kunst schön romantisieren.

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