Mit ihrem dritten Album Manic erobert Halsey 2020 endgültig den Pop-Mainstream. Eine erstaunliche Leistung: Das Album ist subversiv, provokant, vernichtend und verworren. Wie ihr Leben eben.
2017 stürmt Halsey mit ihrem zweiten Album Hopeless Fountain Kingdom in die Feeds und das Bewusstsein unzähliger Menschen. Ihr Pop ist subversiv und das Gegenteil von kleinlaut, ihre Texte sind zerfetzend persönlich und thematisieren Selbstakzeptanz auf einem Level, das vor ihr wenige weibliche Pop-Künstlerinnen präsentiert haben. Die Folge: sehr viele Konzerte, sehr viel Aufmerksamkeit, sehr viel Stress. Und leider auch sehr viel Selbstzweifel.
In dieser Stimmung reift langsam das dritte Album heran, das für sie endgültig alles verändern wird. Dafür lässt sie sich bewusst viel Zeit – in vollem Bewusstsein darüber, das ihr sprunghaft angestiegenes Fanlager nach neuem Futter dürstet. Doch so funktioniert Halsey nicht. Mit 25 Jahren ist Ashley „Halsey“ Frangipane selbst eine Marke, ein Tumblr-Girl, das plötzlich berühmt wird. Sie ist ein lautes Statement, die Antithese zum generisch produzierten Popstar-Material aus dem Rest der USA. Halsey macht in erster Linie Musik für sich. Und im Falle ihres dritten Albums Manic dient ihre Musik dazu, sich selbst zu verzeihen und ihre Fehler zu akzeptieren. „Ich hoffe, wenn ihr es endlich in den Händen haltet, bringt es euch denselben Frieden“, schrieb sie damals auf Social Media. „Es ist aber kein stiller Frieden. Es ist ein lauter.“
Erfinderin des Brat Summer
Und ob: Zwischen Sommer 2018 und Sommer 2019 entstehen unapologetische Songs, die bei Erscheinen den Brat Summer 2024 vorwegnehmen. Charli xcx mag es perfektioniert haben. Aber Halsey hat es erfunden. „I’m just a f**ked-up girl who’s looking for my own peace of mind. Don’t assign me yours“, singt sie im Opener Ashley, ein direktes Zitat aus dem wunderbaren Film Eternal Sunshine Of The Spotless Mind. Und im Grunde hat man Manic damit schon verstanden: Sie ist nicht hier, um es anderen recht zu machen. Sie kann es ja kaum sich selbst recht machen.
Stilistisch wirft sie sich nach dem vergleichsweise klassischen Pop-Sound des Vorgängers in alle Winde. Country, Emo, Beats, Pop, Neunziger-Alt-Rock, roh und ehrlich, manchmal ähnlich auf Berg- und Talfahrt wie die Schöpferin selbst: Viele Stücke thematisieren ihre bipolare Störung, daher auch der Name des Albums. Auf 16 Songs tobt sie sich aus, rechnet ab mit ihrem Ex-Lover, dem Rapper G-Eazy, pisst der Musikindustrie mit unverhohlenem Furor ans Bein. Das ist Chaos pur, wütendes und zugleich heilsames Chaos von einer Künstlerin, die ihre Stimme endgültig gefunden hat. Und sie nutzt, um zu schreien.
Das Manic Pixie Dream Girl
Erstaunlich ist die Fülle an Songwritern, mit denen Halsey ihre Seele offenlegt. Unter anderem steuern Billie Eilishs Bruder Finneas, Ed Sheeran und Justin Timberlake Material bei, für die Nummer Alanis’ Interlude holt sie sich direkt Alanis Morissette ans Mikro. Eine Menge Köche also, die den Brei allerdings nicht verderben. Sie machen Manic aber durchaus zu einer fordernden Angelegenheit, die Formatpop den grell lackierten Mittelfinger zeigt.
Ihre Fans sind sehr jung, und dieses Album steckt voller Weisheiten für eine Generation, die gerade erst in diese Entsetzlichkeiten der Liebe hineintaumeln. „In diesem Album geht es darum, dass ich mich entscheide, mehr von mir selbst zu verlangen“, sagte sie bei ihrer Album-Launch-Party auf dem Parkplatz ihres Labels Capitol Records in Los Angeles. „Ich habe viel Zeit damit verbracht, das Aufregendste im Leben aller anderen zu sein. Wenn sie mich nicht mehr brauchten, bedankten sie sich und gingen dann. Das ist der Topos des Manic Pixie Dream Girls. In diesem Album geht es um dieses Mädchen. Seine Traumata existieren nicht, um einer anderen Person zu nützen.“
Halsey hat nie einen Hehl um ihre Dämonen gemacht. Auf Manic lädt sie sie zu sich an die Tafel ein und füttert sie. Sie gehen ja eh nicht weg.