„Back To Bedlam“: Wie James Blunts Debüt vom Rohrkrepierer zum Millionen-Seller wurde
popkultur11.10.24
Back To Bedlam ist schon fast ein Flop, als You’re Beautiful plötzlich alles ändert und James Blunt zu einem der erfolgreichsten englischen Musiker des 21. Jahrhunderts macht. Zum 20. Geburtstag des Debüts tauchen wir tief ein in die Entstehungsgeschichte – und decken gleich noch ein gewaltiges Missverständnis auf.
Humor hat er ja. 2022, als viele Bands und Künstler:innen aus Protest gegen Joe Rogans Podcast ihre Musik von Spotify abziehen, postet James Blunt nur: „Wenn Spotify Joe Rogan nicht sofort entfernt, werde ich neue Musik auf der Plattform veröffentlichen.“ Er weiß, dass er für viele der Balladenjüngling mit der hohen Stimme ist, der Softie, dem offenbar nur einfältige Menschen verfallen, Typ perfekter Schwiegersohn, der zum 60. Geburtstag der Schwiegermami mit geschlossenen Augen You’re Beautiful für sie kiekst.
Vergleiche mit Elton John
Er weiß aber eben auch, dass er einer er erfolgreichsten englischen Popstars des 21. Jahrhunderts ist. Und er zumindest am Anfang seiner Karriere, als es gefühlt weniger missgünstige Hater gab und man auch Coldplay noch in Ruhe ließ, gern und häufig mit Ikonen wie Elton John oder Indie-Heilsbringern wie Damien Rice verglichen wurde. Ein leidender, schlaksiger Jüngling mit Talent eben. Was ist seither nur passiert?
Vor allem eines: sehr, sehr viele verkaufte Platten. Über 20 Millionen, um etwas genauer zu sein. Er stand sogar mal im Guinness Buch für das am schnellsten verkaufte Debüt aller Zeiten. Und hat bis heute das erfolgreichste Debüt, das jemals aus Großbritannien kommt. Wirklich vorhersehbar ist dieser Erfolg allerdings nicht, als Back To Bedlam am 11. Oktober 2004 erscheint. Ganz im Gegenteil: Trotz mancher Vorschusslorbeeren und prominenter Unterstützung kommt James Blunt mit seinen gefühlvollen Alternative-Balladen anfangs nicht so recht vom Fleck.
Dabei liest sich seine Geschichte durchaus märchenhaft wie die eines Emporkömmlings: Erst die Armee, heldenhafte NATO-Einsätze im Kosovo, nach dem Ende der Militärkarriere, die Haare mittlerweile lang, der Aufstieg zum Popstar. Elton Johns Manager Todd Interland klingelt durch bei ihm, er wird von Linda Perry (4 Non Blondes) unter Vertrag genommen, fliegt nach Kalifornien, um mit Tom Rothrock aufzunehmen, der auch die erste Foo Fighters gemacht hat. In der Zeit wohnt Blunt bei Carrie „Prinzessin Leia“ Fisher. Goodbye My Lover, einer seiner größten Hits, entsteht in ihrem Badezimmer. Genügend Star Power und Geschichten für den Durchbruch eigentlich.
Aber: Er bleibt aus. Erstmal. Seine erste Single High kommt nicht mal in die britischen Top 100, das Album Back To Bedlam wird anfangs komplett von der Presse ignoriert. James Blunt bleibt trotzdem dran, erarbeitet sich über Support-Gigs für Katie Melua oder Elton John nach und nach so etwas wie einen Ruf. Erst am 18. Mai 2005 sollen sich die Dinge aber wirklich ändern – über sieben Monate nach Release des Debüts: Mit der dritten Single You’re Beautiful gelingt ihm endlich der Durchbruch.
Sad Britannia
Und der hat es in sich: Die Single zieht das Album in Großbritannien hoch auf die Eins, danach wird Europa infiziert, die USA sind als nächstes dran. Seit Elton Johns Candle In The Wind (1997) ist You’re Beautiful der erste britische Song, der sich mal wieder an der Spitze der Single-Charts behaupten kann. Sad Britannia is back!
Das ganze nächste Jahr ist James Blunt auf Tour und zu Gast in Talkshows. Am 8. März 2006 lüftet er bei Oprah dann endlich das Geheimnis, um wen es in You’re Beautiful eigentlich geht: „Es ist irgendwie erbärmlich“, sagt er da. „Der Song handelt davon, dass ich meine Ex-Freundin in der Londoner U-Bahn mit ihrem neuen Partner gesehen habe, von dessen Existenz ich nichts wusste. Sie und ich haben uns in die Augen gesehen und ein Leben lang in diesem Moment gelebt, aber nichts unternommen und uns seitdem nicht mehr gesehen.“
Noch so ein Stalker-Song
Blunt fährt nach Hause, setzt sich hin – und hat zwei Minuten später den Text fertig. Der weicht dann aber ein kleines bisschen von der tatsächlichen Begegnung ab: „Es wurde immer als romantisch dargestellt, aber eigentlich ist es ein bisschen gruselig: Es geht um einen Typen, also um mich, der high ist und die Freundin eines anderen in der U-Bahn stalkt. Und dann bringt sich der Stalker um.“ Da, bitteschön: You’re Beautiful kann sich gleich neben Every Breath You Take in Sachen verhängnisvoll missverstandene Songs einreihen.
Irgendwie quirky und auf merkwürdige Art liebenswert ist, dass Blunt zu Beginn von You’re Beautiful die erste Zeile (My life is brilliant) fälschlicherweise zweimal singt – und diesen Fehler einfach auf der finalen Aufnahme lässt. Schon klar, er kann damals nicht wissen, dass dieser Song sein Leben für immer verändern wird, aber es gibt einfach keinen Grund dafür. „Welches Gebräu auch immer ich zu der Zeit eingenommen haben mag: Das Leben schien wirklich brillant zu sein“, so erklärte er es mal typisch halbernst und doppelbödig.
Er hat das Twitter-Game duchgespielt
Dieser Humor hat James Blunt immer ausgezeichnet. Er konnte mit seinen folgenden Alben nicht mal ansatzweise an den triumphalen Erfolg von Back To Bedlam anknüpfen – und nutzt Twitter seither auf kongeniale Weise, um seinen Hatern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dafür bewahrt er sich seine selbstironische Natur und begeistert in den letzten Jahren eher durch knackige Tweets denn durch Welthits. „Während des Lockdowns, während viele andere Künstler:innen Mini-Konzerte von zu Hause aus geben, dachte ich, ich tue euch allen einen Gefallen und mache es nicht“, postet er etwa während der Pandemie.
Er weiß, dass er das alles einem Song verdankt, den die meisten missverstehen, viele als unerträglich schmalzig abtun und manche innig lieben. Und das ist okay für ihn: „Ich habe ihn bei der standesamtlichen Trauung von Elton John und David Furnish gesungen, und stehe kurz vor meiner sechsten Welttournee. Ohne You’re Beautiful wäre das eher eine Tour durch Nord-London“, so sagte er mal dem Guardian. Ab Februar 2025 bringt er Back To Bedlam zum 20. Geburtstag dann noch mal auf große Tournee. Eine Neuauflage ist ebenfalls erschienen. Back To Back To Bedlam müsste die in einer gerechten Welt eigentlich heißen. Tut sie nicht. Dafür wurde sie von Blunt wieder besonders herrlich angekündigt: „Ich habe sieben Studioalben veröffentlicht, aber Back To Bedlam war das einzige, das die Leute auch gekauft haben.“