Mit seinen Hymnen auf Exzess und endlose Wiener Nächte hat sich Bibiza im vergangenen Jahr einen Namen gemacht. Nun dringen auf bis einer weint Zweifel durch die schimmernden Gitarrenriffs.
Im vergangenen Jahr war in der deutschsprachigen Musikwelt kein Vorbeikommen am Wiener Bibiza: Rotzig, charmant und mit einem unschlagbaren Mischmasch aus dreckig-süffisantem Sprechgesang und aufpoliertem Rock’n’Roll hat sich der Musiker aus den verschiedenen Genres zusammengeklaubt, was er brauchte und gab sich voll und ganz dem Rausch hin. Das Ergebnis kam gut an und nur Monate, nachdem er die Tour zum Debüt Wiener Schickeria abgeschlossen hat, geht es bereits weiter; allerdings nachdenklicher. Das neue Album bis einer weint lässt Zweifel am wilden Rock’n’Roll-Leben aufkommen. Und so ist dieses Album eine Gratwanderung zwischen dem altbekannten Bibiza-Exzess und den Fallen, in die er fällt und aus denen er sich zu befreien versucht.
bis einer weint fährt mit ganzen 21 Titeln auf und ist ein ganz schönes Brett. Glücklicherweise wird der hochenergetische Partystil des Vorgängers hier immer wieder durchbrochen. Das Album startet bereits mit dem nachdenklichen Titelsong. bis einer weint malt ein erstes Bild der Folgen des vermeintlich grenzenlosen Lebensstils auf und ist tonangebend. Damit startet eine echte Achterbahnfahrt, denn obwohl die Grundstimmung definitiv nur noch einem angekratzten Bild der einst glänzenden Wiener Schickeria entspricht, so besteht diese natürlich noch weiterhin fort und so taumelt Bibiza dem Glanzbild hinterher, wohl wissend, dass es nicht ewig so weiter gehen kann.
Dabei ist Bibizas Album thematisch wirklich aus einem Guss. Die verschiedenen Haltungswechsel werden in den Folgesongs aufgegriffen und fortgeführt. Wenn mal ein Titel mit einer offenen Frage endet, dann stellt Bibiza eben diese ins Zentrum eines anderen Titels. Dadurch entsteht ein viel feinmaschigeres und vielschichtigeres Bild von dem Musiker und seiner Welt.
Von einem Titel zum anderen
Da ist in der ersten Hälfte zum Beispiel aufnimmawiederschaun, eine klar von Cro inspirierte Single. Die Gitarren sind schrill und zappelig, der Flow hängt ihnen ein bisschen hinterher und lässig erzählt Bibiza davon, wie er sich (emotionale) Löcher sucht, hineinspringt und seinem Untergang mit offenen Armen entgegen tänzelt. Im Loch angekommen rennt er in einer treibenden Nummer Wunschkonzert dem Glück hinterher, versucht sich an verschiedensten Aberglauben, Ritualen und Glücksbringern – ohne Erfolg. Und so spinnt sich hier ein Titel an den anderen.
Bibizas lodernde Klangwelt
Diese nahtlose Weiterführung bildet den bockstarken Heißkleber des Albums. Mit sprachlichen Bildern, wie bis einer weint oder den zwei Kategorien Salamander & Chamäleons, in die Bibiza die Menschheit aufteilt, schafft er weitere Querverstrebungen und greift sie immer wieder auf. Auch musikalisch setzt Bibiza auf eine ausgewählte Hand voll Effekte: Da sind die funkelnden Synthies, die gelegentlich ein bisschen verklärte Zärtlichkeit einstreuen. Die Gitarren, die in fast jedem Titel im Zentrum stehen, heulen mal auf die eine und mal auf die andere Weise auf. Und auch die dichten, lodernden Beats zucken auf allen 21 Titeln einer zusammengehörigen, dunklen Klangstimmung. Dazu greift in quasi jedem Titel ein wunderbar übersteuertes Schreien einzelner Worte aus dem Hintergrund nach der Seele eines jeden Hörers, einer jeden Hörerin.
Das Glanzbild bröckelt auf bis einer weint und Bibiza zeigt das auf mehreren Ebenen. Bibiza erzählt in seinen Songs zum Beispiel, dass er Partnerinnen verliert, verletzt, regelmäßig die gleichen Fehler macht und sein Privatleben gelinde gesagt in Scherben liegt (hineinfallen, Böses Spiel, Gute Nacht). Auch der körperliche Verfall wird thematisiert. Und schließlich findet Bibiza auch deutliche Worte für sein gutbetuchtes Umfeld.
„Europa, du hast eh keine Probleme / Mach deine Grenzen dicht und streichel’ deine Seele / Ist leicht zu lachen mit dem Gold in der Kehle”
Zu einer schnellen Basslinie malt Bibiza in Luxusparese das Bild von einem raffgierigen Europa, in das sich die Wiener Schickeria nun mal einfügt, das panisch den Reichtum klammert, den es auf dem Nacken der Erde generiert hat und dem starren Unwillen sich damit auseinanderzusetzen, frei nach dem Motto: Uns geht’s hier ja gut. In Der Mann mit der Glatze lässt Bibiza den Weltschmerz (mit Verweisen auf Trump, Putin und Co.) heraus. Das ist weniger kathartisch als frustrierend. Reinigender wird es, als Bibiza seine Jungs in Tanzen zur Seite nimmt und ihnen das Einmaleins der Benimmregeln im Club beibringt: Hört auf Mädchen zu bedrängen und anzulabern.
Am Ende schnürt Bibiza alles mit dem Schlaflied Gute Nacht zusammen: Hier erklingen plötzlich Harfen, Bläser und in den Zeilen werden noch ein letztes Mal die vielen Facetten dieses Albums aufgenommen. Dazu geht der Refrain in leuchtenden Gitarren auf und bringt dieses umfangreiche Werk zu einem würdigen Ende. Trotz der pulsierenden Wehmütigkeit dieses Closers grätscht Bibiza mit dem Refrain hinein und zeigt: Müde? Ja, aber noch lange nicht zu müde. Bibizas Stimme klingt rau, tief und raspelig schön.
Ob auf dem nächsten Album schließlich die hier bereits vorhergesagten Konsequenzen eintreten, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass dieses bis einer weint es uns ziemlich versüßt, gemeinsam ins Verderben zu rennen.