Zum zehnjährigen Geburtstag beleuchten wir das Album, das Mitski zum Durchbruch verhalf: Bury Me At Makeout Creek. Und das vor allem durch kontrastreiche Songs, die ein Lebensgefühl auf den Punkt bringen.
Im Jahr 2024 gilt Mitski als eines der Aushängeschilder der zeitgenössischen Indie-Musik. Ihr konstant ansteigender Erfolg ist aber nicht daran festzumachen, dass sich ihre Melodien besonders gut für TikToks eignen. Mitski erfreut sich bei Gen Zs und Millenials gleichermaßen solch einer Beliebtheit, weil sie diese Menschen versteht. Sie weiß genau, wie sie Probleme und Erfahrungen junger Erwachsener treffend formuliert, seien es nur kurze Gedanken und exemplarische Eindrücke. Diese in Songs umzusetzen, die dies ebenso treffend und gleichzeitig catchy vertonen, ist eine weitere Stärke. Und das erste große Paradebeispiel dieser „literally me“-Momente erschien vor zehn Jahren mit Bury Me At Makeout Creek.
Nach dem Musik-College
Dabei ist es nicht Mitskis erstes Album. Zwei Jahre zuvor veröffentlichte sie Lush, das Zweitwerk Retired From Sad, New Career In Business ließ auch nicht lange auf sich warten. Mit Makeout Creek veränderte sich aber einiges für Mitski. Waren die ersten beiden Alben vor allem Klavier-lastige Chamber-Pop-Balladen, sind die Songs auf dem dritten Album vielseitiger: Indie-Rock und Punk-Einflüsse, verzerrte Gitarren und Drumcomputer bilden einen großen Teil des Soundbildes. Wie kam das?
Mitski hatte einige Jahre am Musikkonservatorium des SUNY Purchase studiert und dort Kurse übers Komponieren und Arrangieren genommen. Ihre ersten beiden Alben waren Abgabeprojekte fürs Studium, daher hatte sie jederzeit Zugriff auf Studios, Musiker:innen, sogar ein Orchester. Als sie ihren Abschluss machte, realisierte sie, dass sie das nun nicht weiter nutzen konnte, wie sie dem Interview Magazine verriet:
„Ich beschloss, dass ich mich an mein Umfeld anpassen musste, und mein Umfeld waren lauter Menschen aus Purchase, die in Bands spielten. […] Ich wollte Kellerkonzerte spielen und Musik machen, die in diesem Umfeld gut klänge. […] Als ich in Purchase war, merkte ich ‚Musik muss nicht so ein akademisches, kompliziertes Ding sein.‘ Ich konnte auch einfach mit all meinen Freunden spielen, catchy Songs schreiben und Spaß haben.“
Musikalische Kontraste
Um nicht mehr das „Klischee eines Solo-Piano-Mädchens“ (laut Interview mit Impose Magazine) zu sein, begann Mitski, Gitarre zu lernen – auch weil diese einfacher zu transportieren ist als ein Klavier. Nun besteht Makeout Creek natürlich nicht aus einfachen, Riff-basierten Punk-Songs. Mitskis Songwriting ist immer noch hochgradig melodisch und klassisch, so wie sie es gelernt hatte. Auf Genius kommentiert ein:e User:in, der Song Townie klänge, „wie wenn die Pixies und die Beatles ein Baby hätten“ – was es wirklich sehr gut trifft. Die Songs wirken erst simpel, auch aufgrund ihrer Kürze. Sie sind aber detailliert und reflektieren clever ihre Themen: Der bekannteste Track First Love / Late Spring ist eine nostalgische Ode an die erste Liebe und klingt auch ebenso verträumt. Aber je verzweifelter und einsamer Mitski in ihren Songs wird, desto chaotischer und verzerrter klingen die Instrumentals.
Unter all den ausgefransten Gitarren singt Mitski nicht rotzig-rockig, sondern genauso sanft und klassisch geschult wie zuvor. In dem bereits zuvor zitierten Gespräch mit dem Interview Magazine erklärte sie diese Entscheidung so: „Es würde sich unnatürlich anfühlen, einen anderen Gesangsstil auszuprobieren oder zu versuchen, meinen Sound komplett zu verändern. Es wäre Anti-Punk, wenn ich versuchen würde, etwas zu tun, anstatt etwas einfach passieren zu lassen. Wenn ich mich verstelle, wird es verstellt klingen.“ Dabei bricht ihr sanfter Gesang an Stellen, etwa in Drunk Walk Home, auch in ungehemmtes, verzerrtes Schreien aus. Mit Makeout Creek hören wir eine Musikerin, die zwar am Musikkonservatorium studierte, aber immer wieder gezielt mit diesen gelernten Regeln bricht.
Ehrlichkeit durch Humor
Besonders wichtig für Mitski sind die Texte. Eine der bekanntesten Zeilen des Albums kommt in Townie vor: „I want a love that falls as fast as a body from the balcony / And I want to kiss like my heart is hitting the ground“. Ganz schön morbide Bilder für so ein schönes Thema wie Liebe. Das zeigt aber nicht nur die verzweifelte Dringlichkeit des Songs, sondern auch Mitskis Humor. Der kam laut ihr wohl durch die Enttäuschung über die mangelnde Resonanz zu ihren ersten Alben. Diese waren noch ziemlich independent veröffentlicht, wenig beworben, daher hörten sie nicht viele Leute. Schade, wenn man so viel Herzblut reinsteckt, aber das führte Mitski vor Augen, dass sie sich sowieso nicht so ernst nehmen müsse und auch einfach Spaß haben könne. Ironischerweise führte das dann zu ihrem Durchbruch.
Auch der Albumtitel ist selbstironisch. Er stammt aus einer Folge der Simpsons, in der Milhouse ein romantisches Rendezvous versprochen wird – in der „Makeout Creek“. Allerdings wird er auf dem Weg dahin angefahren und will an der Makeout Creek begraben werden. Mitski beschreibt in einigen der Songs ebenfalls die verzweifelte Suche nach der Liebe: Egal ob sie einsam nach Hause geht oder eine Beziehung am Leben zu halten versucht, von der sie weiß, dass sie keine Zukunft hat.
Darin triumphiert Bury Me At Makeout Creek schließlich: Authentizität. Simple Formulierungen wie „I’ve grown into a tall child“ drücken doch ein Lebensgefühl so passend aus: der Wunsch, erwachsen zu sein, aber es nicht zu können. Zerrissenheit zwischen großen Wünschen, wie etwa der Liebe, zum anderen Orientierungslosigkeit und persönlichen Unsicherheiten. Die Songs reflektieren das perfekt: sanfte, verträumte Melodien in einem ungekämmten, verzerrten Sound-Kleid. Deswegen klingt das nach zehn Jahren immer noch genauso relatable.