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Foto: Cover "Timothy"

Kannibalismus statt Piña Colada: Wie The Buoys mit „Timothy“ ein Geschmäckle hinterließen

Was haben drei Minenarbeiter, zwei Kannibalen und ein entspanntes Gitarrenriff gemeinsam? Sie alle kommen im Song Timothy von The Buoys vor, veröffentlicht im Februar 1970. Lest hier, wie es zu der eigenwilligen Nummer von Songschreiber Rupert Holmes kam und was ein Esel mit der ganzen Geschichte zu tun hat.

Zu Beginn der Siebziger stehen The Buoys aus Pennsylvania noch ganz am Anfang ihrer Karriere. Kaum jemand weiß, wer sie sind. Auch ihre Plattenfirma hat kein gesteigertes Interesse daran, viel Geld in die junge Pop-Rock-Band zu investieren. Eine Single-Veröffentlichung? Ja, gerne, aber die Promo sollen die Musiker bitte selbst in die Hand nehmen. Genau das tun sie dann auch und beschließen, gemeinsam mit Songwriter Rupert Holmes, ein Stück zu schreiben, das inhaltlich für Aufsehen sorgt. Doch was könnte das sein? Über den Vietnamkrieg reden damals sowieso alle. Die Hippie-Bewegung ist schon wieder vorbei. Dann kommt Holmes die zündende Idee: Er möchte seinen Song über Kannibalismus schreiben. Äh … Wie bitte?

Timothy von The Buoys: Kannibalismus unter Kumpeln

Als Szenario wählt Holmes die Verschüttung dreier Bergleute, inspiriert von Merle Travis’ Country-Song Sixteen Tons, in dem es um das harte Leben von Minenarbeitern geht. Das passt zur Herkunft der Buoys, denn Pennsylvania ist so etwas wie das Ruhrgebiet der USA. Doch wie kommt der Kannibalismus ins Spiel? Hier nennt Holmes die Verfilmung des Einakters Plötzlich letzten Sommer von Tennessee Williams als Quelle. In dem Stück muss die reiche Witwe Violet Venable erfahren, dass ihr Sohn Sebastian von Kannibalen ermordet wurde. Ein düsteres Thema, das damals wie heute alles andere als gesellschaftsfähig ist. Und wie verknüpft Songwriter Holmes die beiden Bausteine nun miteinander?

In Timothy von den Buoys geht es um drei Minenarbeiter, die bei der Arbeit verschüttet werden und anschließend lange durchhalten müssen, bis jemand sie rettet. Einer der drei Verlorengegangenen ist Timothy, der zweite heißt Joe und der dritte Bergmann ist der namenlose Sänger des Songs. Gleich in der ersten Strophe wird deutlich: Nur Joe und der Sänger überleben den Unfall in der Mine, doch zunächst ist unklar warum. Stück für Stück offenbart sich, dass die drei Arbeiter unter großem Hunger leiden und dass Joe für ein Stück Fleisch „seine Seele verkaufen“ würde. Die Auflösung folgt in der letzten Strophe, denn das nächste, woran sich der Sänger erinnert, ist das Tageslicht — und dass sein Magen zum Zeitpunkt der Rettung gut gefüllt war.

Vom Kannibalismus zum Yacht-Rock: Die meisten kennen Rupert Holmes für einen anderen Song

„If you like piña coladas“ — Na, klingelt sofort, oder? Genau, der Strand-Hit der Achtziger stammt von niemand geringerem als von Kannibalismus-Komponist Rupert Holmes. Wie also kommt es dazu, dass er zu Beginn der Siebziger eine Nummer schreibt, in der zwei Bergarbeiter vor Hunger ihren Kollegen verspeisen? „Die Herausforderung war es, etwas zu komponieren, das man im Radio spielen kann, das manche aber boykottieren würden“, erklärt der Musiker im Januar 2025 in einem Interview mit dem Rolling Stone. „Wenn ich einen Song mit einem obszönen Text oder sexuellem Inhalt, was damals nicht erlaubt war, geschrieben hätte oder wenn es einen eindeutigen Drogenbezug gehabt hätte, wäre der Song überhaupt nicht im Radio gelandet.“

Der Plan von Holmes und den Buoys geht auf. Tatsächlich boykottieren einige Radiostationen Timothy — aber eben nicht alle. Dadurch entsteht eine Graswurzelbewegung. Nach und nach erklimmt die Single die Billboard Hot 100 in den USA und erreicht schließlich Platz 17. Als nun auch das Label merkt, dass die Buoys einen potenziellen Hit vorgelegt haben, versuchen die Verantwortlichen schnell dafür zu sorgen, dass auch die übrigen Radiostationen den Song ins Airplay aufnehmen — indem sie behaupten, es handele sich bei Timothy gar nicht um einen Menschen, sondern um einen Esel. Es bleibt der letzte große Wurf für die Buoys, die nachher keine nennenswerten Erfolge mehr einfahren können. Aber die Geschichte zu ihrem einen Hit ist Gold wert.

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