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Foto: Cole Silberman

Lord Huron im Interview: „Eine wichtige Quelle der Schönheit ist Traurigkeit“

Die Netflix-Serie Tote Mädchen lügen nicht machte die nächtlichen Indie Folker Lord Huron auf der ganzen Welt berühmt. Die Band aus Kalifornien steht für mystische, waldige, melancholische Musik, die unter die Haut geht und erzählt von den Geheimnissen und Legenden der endlosen amerikanischen Weite. Wir haben mit ihnen gesprochen.

Im Sommer haben Lord Huron ihr fünftes Album The Cosmic Selector Vol. 1 veröffentlicht. Es schreibt die mythische Mär dieser Ausnahmeband fort – mit Balladen direkt aus dem Herz des Waldes, mit Liedern über Flüsse, Gebirge und die endlose Weite der amerikanischen Wildnis. Niemand verbindet emotionale Poesie und Zwischenmenschliches auf derart berührende Weise mit Naturmystik und tragisch-schönen Mondscheinballaden. Da war ein Gespräch mit Sänger und Bandkopf Ben Schneider überfällig.

Lord Huron klingen immer tief durchzogen von Mystik, Tradition und Nostalgie. Woher kommt diese Liebe zum Geheimnisvollen eigentlich?

Das stimmt, der Großteil unserer Musik handelt von Geheimnissen und von der Schönheit des Geheimnisvollen. Und es gibt keinen Ort, der dafür repräsentativer ist als die Natur. Sie ist die Verkörperung von Schönheit und all ihren unendlichen Geheimnissen. Das wollen wir mit unserer Musik ergründen.

Was sind deine frühesten musikalischen Erinnerungen?

Oh, ich erinnere mich gut an meine Onkel, die zusammen gesungen haben. Es klingt vielleicht etwas klischeehaft, aber am Lagerfeuer dachte ich zum ersten Mal: „Leute, die ich kenne, können das, und das ist sehr inspirierend. Denn wenn sie es können, kann ich es vielleicht auch.“

Lord Huron im Circle Store:

Und wann hast du deine Liebe zur Musik mit deiner Liebe zur Natur mit all ihren Geheimnissen verbunden?

Diese beiden Welten waren immer schon miteinander verflochten. Musik trägt dasselbe Geheimnis in sich wie die Natur, nur in einer anderen Manifestation. Ein Großteil meiner musikalischen Erkundungen bestand daher darin, herauszufinden, warum sich Musik und Natur so nah sind.

Und?

Ich habe noch keine Antwort. Ich glaube, wir versuchen seit Anbeginn der Zeit, das herauszufinden. Und ich hoffe, dass es dabei nicht um das Ziel geht. Es geht um die Reise.

Was empfindest du draußen in der Natur? Und was empfindest du in deiner Musik?

Etwas sehr ähnliches. Die Natur ist meine größte Inspirationsquelle. Sie gehören zusammen. Die Eindrücke, die ich bei einem Waldspaziergang habe, werden unweigerlich zu Musik. Ich empfinde das als spannende und ehrenvolle Aufgabe.

Gibt es denn einen Ort, der sich wie die Heimat deiner Musik anfühlt?

Ich denke, meine Musik ist eine Kombination aus Orten, an denen ich gelebt habe. Die Landschaft von Michigan, meinem Heimatstaat, ist geprägt von dichten Wäldern und Seen, großen, riesigen Seen. Dann bin ich in den Westen gezogen, wo es eher offene Landschaften gibt, offene Wüsten, aber auch Stadtlandschaften, die oft ihren Weg in unsere Musik finden. Es ist also wahrscheinlich eine Art Überlagerung all dieser Orte und der Versuch, mit Musik auszudrücken, wie ich mich an diesen Orten fühle.

Melancholie ist ein zentraler Bestandteil eurer Musik. Aber nie bedrückend und viel eher tröstend. Es ist eher eine Umarmung als eine schwere, bedrückende Last. Glaubst du, dass Traurigkeit schön sein kann?

Ja. Für mich ist sie das ohne jeden Zweifel. Oder für die menschliche Erfahrung überhaupt. Ein wichtiger Bestandteil und eine wichtige Quelle der Schönheit ist Traurigkeit. Und sie hat viele Formen.

Du hast mal gesagt, dass du deine Alben wie Romane betrachtest. Entwirfst du eine Platte dann auch wie einen Roman, mit verschiedenen Kapiteln und einem Spannungsbogen?

Ja, wenn auch deutlich flexibler, weil wir ja nicht unbedingt chronologisch erzählen. Ich überlege also, wie wir diese Geschichte am besten erzählen können. In Prosa würde das nicht unbedingt Sinn ergeben, aber als musikalischer Roman ist es dennoch immer mehr als die Summe seiner Teile.

Was sind denn deine Lieblingsautoren?

Ich interessiere mich in letzter Zeit sehr für Thomas Hardy, also eher für das 19. Jahrhundert. Ich finde diese Werke sehr inspirierend, weil sie sehr pastoral sind, idyllische Geschichten, die in wunderschönen Landschaften spielen, aber nur auf den ersten Blick simpel gestrickt. Er schmuggelt all diese Philosophie hinein, was ich wirklich sehr schön finde und als ein großartiges Ziel ansehe, nach dem man streben sollte. Ich bin aber auch sehr begeistert von alten russischen Romanen wie Anna Karenina oder Krieg und Frieden, also Werken, die viel Philosophie enthalten. Werke wie diese suggerieren etwas viel Größeres, als sie eigentlich sind. Und danach strebe ich.

Lord Huron klingen im besten Sinne zeitlos und dennoch gegenwärtig. Wie schafft man diesen Spagat eigentlich?

Das ist eine Herausforderung, aber ich denke, es liegt an unserem musikalischen Vokabular. Wir deuten vieles nur an, lassen es vage. Und berufen uns auf ein relativ klassisches Fundament, das einfach nie aus der Mode kommt. Das kann ein Beat sein, der an die Fünfziger erinnert. Oder ein Gitarrenton, der etwas von den Beatles hat. Dadurch bekommt man all diese zusätzlichen, kostenlosen Emotionen, ohne explizit mehr Texte oder ähnliches hinzufügen zu müssen.

Gibt es eine Geistergestalt aus der Musikgeschichte, mit der du gerne zusammenarbeiten würdest? 

Oh, da gibt es so viele. Ich würde es lieben, etwas mit Lee Hazlewood zu machen. Er war einfach furchtlos. Er hat die menschliche Natur wirklich verstanden und mit seiner Musik durchdrungen. Außerdem war er ein wenig verrückt, das würde mir guttun. Ich habe nämlich manchmal das Gefühl, dass ich ein bisschen zu ernst bin. Ich meine, ich lache gerne, aber vielleicht wäre jemand, der diesen Teil meiner Persönlichkeit ausgleichen könnte, gut.

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