Featured Image
Foto: Universal Music

Lucy Dacus im Interview: „Was andere Leute sagen, ändert nichts an meinen Gefühlen“

Bitte Zählermarke einfügen

Als Lucy Dacus 2021 ihr drittes Album Home Video veröffentlichte, war ihre Welt noch eine andere. Zwei Jahre darauf erschien das Debütalbum The Record ihrer Indie-Supergroup Boygenius mit Phoebe Bridgers und Julien Baker. Drei Grammys und zahllose ausverkaufte Shows später liegt die Band auf unbestimmte Zeit auf Eis – und Dacus veröffentlicht ihr viertes Solo-Album Forever Is A Feeling.

Auf Forever Is A Feeling macht sich die 29-Jährige frei vom Druck und Wahnsinn des unerwarteten Mainstream-Erfolgs und erkundet neue thematische Welten: Statt wie zuvor ihr Leben, ihre Freundschaften und den Prozess des Erwachsenwerdens im Rückspiel zu betrachten, fokussiert sich Lucy Dacus auf das Jetzt und die Liebe. Genauer genommen: Die Liebe zu Boygenius-Bandkollegin Julien Baker, wie sie kürzlich bestätigte. Wir sprachen mit der Musikerin über die Bedenken, das eigene Liebesleben öffentlich zu machen, queere Repräsentation und die wunderbare Vergänglichkeit aller Dinge.

Lucy, du hast gerade eine besondere kleine Tour hinter dir, bei der du unter anderem in Museen und Kirchen gespielt hast. Was war das für eine Erfahrung?

Es war so cool. Ich war in einigen dieser Locations wirklich den Tränen nahe. In Paris haben wir in der Kirche Saint-Eustache gespielt. Die Decke da ist so hoch wie der Himmel, du könntest nicht mal mit einer Pistole darauf schießen. Ich frage mich, wie die mich da reingelassen haben. Die Leute hatten sehr viel Lust, neue Songs zu hören, die sie noch nicht kannten und das ist etwas, was viel Geduld erfordert. Es war eine tolle Erfahrung.

Und das komplette Kontrast-Programm zu den riesigen Konzerten mit Boygenius. Wie hat dich deine Zeit in der Band als Musikerin beeinflusst?

Ich habe bei den Aufnahmen mit Boygenius oft recht schnell gesagt „Das ist okay so, lasst uns das abhaken.“ Julien oder Phoebe haben immer erwidert „Nein, das ist nicht okay so, wir müssen weiter daran arbeiten.“ Ich bin es gewohnt, schnell arbeiten zu müssen und will keine Last für andere Leute sein. Durch diese Einwände habe ich erst gemerkt, dass man die Musik viel mehr mag, wenn man sich Zeit damit lässt. Für dieses Album habe viel länger gebraucht als je zuvor: Mein erstes Album wurde an einem Tag aufgenommen, das zweite in einer Woche, das dritte in drei Wochen und an Forever Is A Feeling habe ich über anderthalb Jahre hinweg immer wieder gearbeitet.

Jetzt im Circle Store:

Empfindest du Druck, an die Erfolge von Boygenius anzuknüpfen?

Nein, das war einfach nur verrückt! (lacht) Es war so ein „Once in a lifetime“-Ding. Das einmal erleben zu dürfen, war großartig. Vielleicht erwarten andere Leute, dass es genauso groß wird, aber darum geht es mir nicht. Es wäre natürlich cool, wenn es bei vielen Leuten Anklang findet, aber wichtiger als die Menge der Leute ist mir, dass es manchen Leuten wirklich etwas bedeutet.

Forever Is A Feeling hat mit seinen inhaltlichen und ästhetischen Verneigungen vor der Malerei eine ganz bestimmte romantische, klassische Aura. Wie sollte sich das Album anfühlen?

Die Songs handeln von den großen, grundlegenden Erfahrungen des Sich-Verliebens, aber auch des Sich-Entliebens. Ich wollte also, dass das Album weit und groß und dramatisch klingt, denn so fühlen sich diese Dinge in unserem Körper an. Im Verlauf des Albums kommt es immer wieder zu Verwirrungen, am Ende stehen jedoch mehr Klarheit und Frieden. Es wird also etwas persönlicher und die Musik ändert sich mit den Inhalten der Texte.

„Auf diesem Album sind Perspektiven zu finden, die man noch nicht so in Songs gehört hat.“

Dieses Album handelt mehr als seine Vorgänger von romantischer Liebe. War das dein Vorsatz oder hat sich das erst im Schreibprozess herauskristallisiert?

Das war nicht wirklich meine Intention, sondern einfach, was in meinem Leben passiert ist. Als ich bemerkt habe, dass ich viele Liebeslieder schreibe, habe ich mir einige ältere Love Songs angehört und darüber nachgedacht, was schon existiert und meiner Meinung nach noch fehlt. Auf diesem Album sind ein paar Perspektiven zu finden, die man, glaube ich, noch nicht so in Songs gehört hat. Ich freue mich darauf, die mit in den Topf der Liebeslieder zu kippen.

Über das eigene Liebesleben zu schreiben, ist sehr intim. Was hat sich für dich geändert, dass du dich jetzt wohl damit fühlst, Menschen daran teilhaben zu lassen?

Ich fühle mich nicht wohl damit. (lacht)

Warum tust du es trotzdem?

Es ist es wert. Und ich bin mir nicht sicher, ob andere wirklich teil daran haben. Vielleicht bin ich okay damit, weil ich realisiert habe, dass das eben nicht der Fall ist. Dass Menschen meine Beziehung beobachten oder Meinungen darüber haben, ändert nichts daran, wie ich empfinde. Es fühlt sich vielleicht fragil an, aber was andere Leute sagen oder denken, ändert nichts an meinen alltäglichen Gefühlen. Mein Liebesleben ist so stark, dass ich Dinge daraus teilen kann, ohne dass es davon getrübt wird. Hoffentlich. Das Album ist noch nicht draußen, also müssen wir abwarten. Wenn es miserabel wird, habe ich einen schrecklichen Fehler gemacht. (lacht)

Wie der Titel suggeriert, hast du keinen naiven, verklärten Blick auf die Liebe, sondern bist dir ihrer Vergänglichkeit und der Ungewissheit der Zukunft sehr bewusst. Ist das eher erleichternd oder frustrierend?

Manchmal finde ich die Vergänglichkeit aller Dinge großartig, denn sie macht mich sehr dankbar und erinnert mich immer wieder an meine Prioritäten. Und dann gibt es Tage, an denen ich denke „Die finden besser ein Gegenmittel für den Tod, bevor ich sterbe, denn ich will für immer leben.“ (lacht) Diese Tage, an denen man sich so gut fühlt und denkt, dass man eine Ewigkeit mit einer bestimmten Person verbringen will. Oder wenn man reist und so viel sieht, aber realisiert, dass es noch so viel mehr gibt. Ich liebe es auch, die Jahreszeiten kommen und gehen zu sehen, davon kann ich nicht genug bekommen. Ich bilde mir also ein, dass ich mit dem Gedanken, alles zu verlieren ganz gut klarkomme, aber es macht mir auch sehr viel Angst. Ich glaube, Angst und Dankbarkeit sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

„Nur in großen Plattitüden und Konzepten zu schreiben, interessiert mich nicht.“

Du zoomst in deinen Texten gerne die kleinen alltäglichen Momente heran, die für viele andere Songwriter:innen vermutlich zu trivial sind. Was ist für dich der Reiz solcher Details wie ein Freund, der GTA spielt?

Die Details sind groß. Oft ist ein kleines Detail mein Zugang zu etwas Profundem. Wenn etwas Kleines deine Aufmerksamkeit erregt und du wirklich dran bleibst, öffnet es sich und offenbart, dass es eigentlich keine kleine Sache, sondern mit allem verbunden ist. Also starte ich oft Songs mit Details wie GTA oder einem Typen mit Megafon, den ich auf der Straße sehe. Im letzten Song des Albums zähle ich alle Dinge auf, die ich an einer Person bemerke, etwa ihr unbezahltes Parkknöllchen. Diese Kleinigkeiten tragen viel mehr Bedeutung als wir ihnen zugestehen. Nur in großen Plattitüden und Konzepten zu schreiben, interessiert mich nicht, denn alle haben das schon getan.

Momente der Unbeholfenheit und vielleicht sogar Peinlichkeit sind in deinen Songs ebenfalls sehr präsent. Wie wirst du davon inspiriert?

Verlegenheit oder generell Anspannung sind so aussagekräftig – diese Momente, in denen die eigene Innenwelt und die Außenwelt einfach nicht harmonieren. Etwa bei diesen kleinen Stolperfallen und Fehlkommunikationen unseres Alltags, die ständig passieren. Natürlich können bestimmte Dinge in den Augen anderer Menschen peinlich sein, aber es passiert auch so viel in unseren Köpfen. Ich habe das Gefühl, dass alle sich davor in Acht nehmen, wie sie sich blamieren könnten und das diktiert ihr Verhalten jeden Tag. Verlegenheit ist also ein sehr grundlegendes alltägliches Gefühl und darüber zu sprechen, kann erleichternd sein, weil man damit anerkennt, dass es unser ganzes Leben mit untermauert.

Dein Song Buest Guess hat für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt – einmal, weil du ein sapphisches, queeres Video dazu gedreht hast und auch, weil du darin erstmals explizit über eine weibliche Partnerin singst. Vielen Leuten hat es viel bedeutet, das zu sehen und hören, aber wie fühlt es sich für dich an, wenn du nicht nur als Künstlerin, sondern immer als weibliche, queere Künstlerin wahrgenommen wirst?

Es ist eine interessante Erfahrung, denn manchmal denke ich nur: Was für eine Ehre, so wahrgenommen zu werden und Teil dieser Geschichte zu sein, die mein Leben erst möglich gemacht hat. Manchmal denke ich aber auch, dass ich nur mich repräsentieren kann. Diese Erwartungen sind am schwierigsten zu erfüllen, denn mir sind die Leute wichtig, die von mir erwarten, dass ich sie repräsentiere. Aber ich bin kein Spiegel. Es fühlt sich auch reduktiv an, dass eine einzelne queere Person die komplette queere Erfahrung repräsentieren soll, denn es herrscht so eine große Vielfalt. Ich kenne definitiv auch queere Menschen, die schrecklich sind – repräsentieren die Queerness? Es ist solch ein breites Spektrum der Erfahrungen und Persönlichkeiten. Ich glaube, wenn ich anfangen würde, dieses Verlangen nach Repräsentation zu internalisieren, wüsste ich nicht mal, wie ich das anstellen sollte. Ich muss einfach ich selbst sein. Wenn andere Leute sich in mir sehen, ist das deren Angelegenheit.

Kannst du dich von diesen Erwartungen freimachen, wenn du an einen Song arbeitest? Vermutlich war dir beim Schreiben schon klar, dass das eine gewisse Reaktion hervorrufen wird…

Ich habe bislang immer genderneutrale Pronomen in meinen Songs verwendet – vielleicht, weil ich wollte, dass alle eine Verbindung dazu aufbauen können. Und darauf hoffe ich immer noch: Dieser Song ist nicht nur für homosexuelle Personen, auch wenn meine Liebe homosexuell ist. Ich hoffe, dass alle, die so für ihre Partner:innen empfinden, mitsingen können. Ich habe darüber nachgedacht, die Pronomen zu ändern, aber ich fand es so großartig und es hätte sich falsch angefühlt, das zu tun.

Im New York Times Podcast hast du gesagt, dass du dir wünschst, dass Leute diesen Song bei ihrer Hochzeit spielen. Welcher Song würde bei deiner laufen?

Manchmal denke ich an Reservations von Wilco. Im Text heißt es ungefähr „Ich habe Vorbehalte gegenüber so viele Dinge, aber keine gegenüber dir.“ Ich denke, das ist eine großartige Geisteshaltung. So sollte es sich anfühlen, wenn man heiratet: Das Leben ist so ungewiss und ich werde weiterhin alles hinterfragen, aber nicht das hier.

Mehr von Lucy & Co. im Circle Mag: