SOUNDS LIKE NASHVILLE - from Johnny to Jack
Als die Radiostation WSM 1925 die erste Ausgabe der legendären Grand Ole Opry landesweit sendete, verwandelte sich Nashville über Nacht zu „Music City USA“. Ein knappes Jahrhundert später ist die Metropole am Cumberland River das Synonym für großartiges Songwriting. Von Roots orientierten Americana Sounds bis zu Avantgarde Rock beheimatet das „Athen der Südstaaten“ die größte florierende Musikszene des Planeten, der inzwischen sogar eine TV-Drama-Serie gewidmet wurde...
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Aus heutiger Sicht mag es etwas befremdlich wirken, dass eine Versicherungsgesellschaft den Grundstein für den Musikboom in Nashville legte. Um ihre Policen besser zu bewerben gründete die National Life And Accident Insurance Company die Radiostation WSM (die drei Buchstaben stehen für We Shield Millions - Wir schützen Millionen). Die 50.000 Watt Sendeleistung ihrer Antenne deckte die kompletten Vereinigten Staaten von Amerika und eine Großteil Kanadas ab - ein Novum in den 1920er Jahren. Kurz nachdem die ersten Signale über den Äther geschickt wurden etablierte WSM die bis heute äußerst erfolgreiche Grand Ole Opry. Die Opry, in der angesagte Folk- und Countrykünstler live ihre Songs im Studio spielten brachte den Sound des Südens in die kontinentalen Wohnzimmer. Die Popularität dieser Show wuchs rasant und immer mehr Musikbegeisterte suchten den Weg nach Nashville um diese live zu erleben. Da das WSM Studio in kürzester Zeit aus allen Nähten platzte musste schnellstmöglich eine neue, größere Location gefunden werden. Grand Ole Opry © Gunther MatejkaNach einigen Umzügen fand die Opry 1943 ihr jetziges Zuhause. Das Ryman Auditorium (eine ehemalige Kirche) gilt seitdem als „Church Of Country Music“ und ist über die Genregrenzen hinaus bei Rock, R&B, Soul und Pop Künstlern wegen ihrer hervorragenden Klangeigenschaften äußerst beliebt. Im Gegensatz zu normalen Konzerthallen, die man für ein entsprechendes Endgeld bucht, geht den Auftritten im Ryman stets eine persönliche Einladung voraus.
The Man In Black
Bis ein gewisser Johnny Cash über die Stadtgrenzen schlenderte galt der Nashville Sound der 1950er Jahre als massenkompatibel und gefällig. Cash, dessen Songs textlich das komplette Gegenteil der damaligen easy listening Lyrik darstellten suchte vor seinem Einstand in der Grand Ole Opry nach einem passenden Bühnenoutfit um die Message seiner Stücke zu visualisieren. Fündig wurde Johnny in der legendären Schneiderei „Manuel“. Manuel sah in dem in Arkansas geborenen Countrysänger eine sinistere Erscheinung für die es nur eine passende Farbe gab: schwarz! Von dieser Wahl zeigte sich Cash im ersten Moment wenig begeistert und folgte nur widerwillig dem Rat des Schneiders. Fünf Monate später erhielt der Schöpfer unzähliger Bühnenoutfits einen Anruf von Cash, in dem er mitteilte, dass es neue Anzüge benötigte...in einem Nebensatz fügte er - so die Erzählungen von Manuel - hinzu, dass es dieses Mal keine Diskussionen über die Farbgebung der Kleidungstücke geben werde. Der „Man In Black“ war geboren! Johnny feierte in den kommenden Jahrzehnten unzählige Erfolge als Solokünstler, mit seiner Frau June Carter oder den Highwaymen, einer Allstar Band in welcher er neben Kris Kristofferson, Waylon Jennings und Willy Nelson spielte. Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre schien Cash‘s Karriere langsam aber sicher ein unfreiwilliges Ende zu nehmen. Die Platten dieser Zeit entpuppten sich als Ladenhüter und der von seinem exzessiven Lebensstil gezeichnete Sänger schien in der Belanglosigkeit zu versinken. Trotz Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame sah die musikalische Zukunft für Cash mehr als düster aus. Dies änderte sich schlagartig, als ein gewisser Rick Rubin, seines Zeichens gefeierter Produzent von Hip Hop Acts wie Run DMC oder den Thrash Metal Ikonen Slayer, dem Countrystar einen Plattenvertrag bei seinem von Def Jam in American Recordings umbenannten Label anbot. Diese Begebenheit verhalf Cash an alte Erfolge anzuknüpfen und diese sogar noch zu toppen. Die sechs veröffentlichten Teile der „American Recordings“, die der größte Gesetzlose der Musikgeschichte bis zu seinem Tod im Jahre 2010 aufnahm, sind eine Sammlung zeitloser Beispiele für großartiges Songwriting.
New Age Outlaws
Ohne die diversen Tabubrüche der von Johnny Cash angeführten Outlaw Bewegung wäre es heute undenkbar, dass Künstlerinnen und Künstler wie Kacey Musgraves, Eric Church oder The Cadillac Three Millionen Platten verkaufen. Musgraves ist die Wölfin im Barbieoutfit. Die Texanerin, die auf den ersten Blick wie das brünette Gegenstück zu Taylor Swift wirkt, hat es faustdick hinter den Ohren: mit spitzfindigen Texten, in denen Kacey über Marihuana, fremdgehen und Diebstahl sinniert, fing sie sich sogar eine Textzensur bei den CMA Awards 2013 ein. Mit ihrer verschmitzten Art überzeugte sie am Abend der Preisverleihung die Zuschauer rund um den Globus. In Folge dessen schoss ihr Major Label Debüt „ Same Trailer Different Park“ auf Platz zwei der Billboard 200. Musgraves gewann kurze Zeit später zwei Grammys. Zur Zeit arbeitet die Sängerin, die schon Hits für u.A. Miranda Lambert komponierte, an ihrem neuen, mit Spannung erwarteten und höchstwahrscheinlich ebenso kontroversen Album. Eric Church tanzt ebenso gerne aus der Reihe wie Kacey - allerdings auf eine etwas dezentere Art. Church, der unangefochtene Bad Boy der aktuellen Nashville A-Liga zeigt neben seinem raubeinigen Auftreten auch gerne seine gefühlvolle Seite und fühlt sich überall zuhause. In den vergangen Jahren teilte der passionierte Ray-Ban Aviator Träger die Bühne mit Metallica, Toby Keith, Dwight Yoakam oder Halestorm.
Eric, dessen Sound irgendwo zwischen Americana, Led Zeppelin‘schen Hard Rock und dem Storyteller Rock der Marke Bruce Springsteen angesiedelt ist, ist das Paradebeispiel für einen musikalischen Grenzgänger im 21. Jahrhundert. Trotz herausragender Trademarks finden sich in seinen geradlinigen Songs enorm viele Versatzstücke aus unterschiedlichen Genres, die auf eine Reise durch die musikalischen Jahrzehnte Nashville‘s einladen.
Mit Ozzy Osbourne‘s liebsten Spruch „Let‘s go f‘n crazy!“ lassen sich The Cadillac Three wohl am besten beschreiben. Das aus „Music City USA“ stammende Trio vereint gekonnt die besten Elemente des Southern Rock und Blues in schlichtweg mitreißenden Tracks. Live ist die Band um den singenden Gitarristen Jaren Johnston so heiß wie brennender Moonshine und avancierte so zu einem absoluten Showstealer auf dem ACM Party For A Cause Festival 2014 in Las Vegas, Nevada.
It‘s Party Time
Mit einem Augenzwinkern laden Luke Bryan, Florida Georgia Line und Brantley Gilbert stellvertretend Fans des Modern Nashville Sounds zu einer riesigen Feier ein: Eiskaltes Bier, heiße Cowgirls, Jack Daniel‘s Shots und die unendlichen Weiten der Liebe gilt es auf nicht geteerten Seitenstraßen im Pickup Truck zu besingen. Dabei steht das Storytelling immer im Mittelpunkt, denn das Leben schreibt bekanntlich immer die besten Geschichten. Alleine wie Luke Bryan nach Nashville kam, könnten die Grundlage für das Drehbuch eines Abendfüllenden Films sein: Bryan wurde von seinem Vater - einem Erdnussfarmer in Georgia - gefeuert um in Music City Karriere zu machen. Der Weg von den ersten Aufträgen als Songwriter für Travis Tritt bis hin zu ausverkauften Footballstadien ist eine der Erfolgsgeschichten, die die Legende der Metropole in Tennessee ausmacht.
Es gibt wohl niemanden, der „Cruise“ von Florida Georgia Line nicht kennt. Die erste Single aus „Here‘s To The Good Times“ verkaufte sich sage uns schreibe über 7.000.000 mal und bescherte den beiden Schulfreunden Tyler Hubbard und Brian Kelley (beide Gitarre und Gesang) einen Einstand nach Maß. Unzählige Auszeichnungen später gelang ihnen mit ihrem Zweitwerk „Anything Goes“ der Sprung an die Spitze der Billboard 200 Album Charts. „Anything Goes“ wird im Frühjahr 2015 auch die erste offizielle physische Veröffentlichung der Senkrechtstarter in Deutschland.
Bevor Brantley Gilbert als Künstler auf dem großen Musikparkett in Erscheinung trat, feierte der gefragte Komponist große Erfolge mit u.A. „Dirt Road Anthem“ welches dem Stadion Country Star Jason Aldean einen Top 10 Hit in den Popcharts bescherte. Mit viel Finger- spitzengefühl für griffige Melodien und einem einzigartigen, zwischen Rock, Country und Pop angesiedelten Sound ist Gilbert einer der hoffnungsvollsten Künstler in Nashville. Programmatisch „Just As I Am“ betitelte das Multitalent seine aktuelle Scheibe, welche ihm einen hoch dotierten American Music Award bescherte.
At The Movies
Spätestens seit Blockbustern wie „O Brother, Where Art Thou“ mit George Clooney oder „Walk The Line“ in dem Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon als Johnny Cash und June Carter das Publikum verzauberten sind Soundtracks made in „Music City USA“ weltweit ein Garant für begeisterte Musikfans. T Bone Burnett, der sich als Produzent und Komponist für diese beiden herausragenden Soundtracks verantwortlich zeigte, öffnete mit viel Liebe zum Detail, fantastische Arrangements und warme Klänge die längst verschlossen geglaubte Tür zu Americana Sounds einem breiten Publikum. In den Folgejahren entstanden unter seiner Regie musikalische Juwelen wie die Songs aus „Crazy Heart“ mit Jeff Bridges oder die Tracks zu den ersten beiden Staffeln der TV-Serie „Nashville“ (ausgestrahlt in Deutschland auf FOX, die brandneue, dritte Staffel ab Frühjahr 2015). Die Serie, deren Hauptcharaktere Musiker aus allen erdenklichen Genres stammen erfreut sich seit ihrem Start im Oktober 2012 größter Beliebtheit. Das Besondere an „Nashville“ sind neben den aus dem Leben gegriffenen zwischenmenschlichen Geschichten die extra für die Sendung geschriebenen Stücke, die zudem von den Schauspielern (u.A. Hayden Panettiere, Sam Palladio, Connie Britton und Charles Esten) selbst gesungen und gespielt werden. Die Diskographie der außergewöhnlichen Serie umfasst inzwischen mehrere Staffelsoundtrackalben. Der Erfolg „Nashville“s ebnete zudem den Weg für herausragende Roots Acts. Ein Paradebeispiel hierfür sind die ebenfalls von T Bone Burnett produzierten The Secret Sisters. Auch das europäische Kino thematisierte in „The Broken Circle“ amerikanische Rootsklänge im preisgekrönten Drama um den Bluegrass-Sänger Didier und die Tätowiererin Elise.
The Americana Way Of Life
Auf‘s wesentliche reduzierte und arrangierte Songs, dargeboten mit viel Gefühl in einem zeitlosen Gewandt - willkommen im Americana Sound. Egal ob von Beginn ihrer Karriere oder als Quereinsteiger genießen Künstler des Genres die schubladenfreie, kreative Art Musik zu erschaffen.
Robert Plant - seines Zeichens ehemaliger Sänger der legendären Led Zeppelin - besaß schon seit jeher eine enorme Affinität für jegliche Art von amerikanischer Roots Musik. Egal ob Blues, Folk oder Country, Plant arbeitete diese Einflüsse während seiner Zeit bei Led Zeppelin und später auf seinen Soloalben in seine Kompositionen ein. Als er jedoch auf die Bluegrass-Ikone Alison Krauss und Produzent T Bone Burnett traf, entstand seine erfolgreichste Scheibe seit den Tagen mit Led Zeppelin. „Raising Sand“ erhielt im Jahr 2009 den wichtigsten Grammy überhaupt - Album Of The Year. Im Fall von Lucinda Williams brachte ihr 1998 ein Studioaufenthalt in Nashville für „Car Wheels On A Gravel Road“ den endgültigen Durchbruch. Die zu diesem Zeitpunkt 44 jährige Sängerin, deren Karriere Ende der 1970er begann, konnte sich ihren ersten Majorlabelvertrag sichern. Es sollten unzählige Charterfolge und Auszeichnungen folgen. Rosanne Cash bekam ihr außergewöhnliches Talent sprichwörtlich in die Wiege gelegt. Die Tochter von Johnny Cash, die mit ebenso viel Soul in ihrer Stimme und ihren Kompositionen wie ihr berühmten Vater aufwartet, fügte nach einer fünfjährigen Kreativpause mit „The River & The Thread“ ihre äußerst erfolgreichen Diskografie ein weiteres Juwel hinzu. Produziert von ihrem Ehemann John Leventhal spürt der Hörer in jeder Sekunde der Aufnahmen das förmliche Knistern im Studio zwischen den Akteuren. Ebenfalls bei den Sessions anwesend war auch Cash‘s Ex-Mann, die Americana Legende Rodney Crowell. Zusammen mit ihm entstand das fantastische „When The Master Calls The Roll“. „Pancho And Lefty“ von Townes Van Zandt gehört ohne Zweifel zu den meistgecoverten Americana/Country Songs der Musikgeschichte. Der am 01.01.1997 in Smyma, Tennessee verstorbene Van Zandt schrieb neben diesem Trademarktrack viele weitere Genrestandards, die bis in die heutige Zeit von Künstlern wie Bob Dylan, Emmylou Harris, Willie Nelson, Norah Jones, The Avett Brothers und Frank Turner den Geist Townes Van Zandt‘s auf die Bühnen dieser Welt transportieren.
On The Rocks
Die Metropole am Cumberland River diente im letzten Jahrzehnt auch für viele wegweisende Rocker als Inspirationsquelle oder wurde gar zu ihrer neuen Heimat. Dave Stewart (Eurythmics), Tom Keifer (Cinderella), Jack White, The Black Keys oder Kings Of Leon fanden in Music City neue Impulse um ihren Sound auf die nächste Ebene kreativen Schaffens zu stellen. Für Dave Stewart war der Umzug nach Nashville eine Art Wiedergeburt. Nach fast zehnjähriger Pause seiner Solokarriere startete er mit einer Reihe famoser Platten erneut durch und arbeitete seitdem mit Künstlern wie Martina McBride, Karen Elson (Ex-Frau von Jack White) oder Vanessa Amorosi zusammen. Vom Schicksal gebeutelt landete Tom Keifer in Tennessee. Neben einer gescheiterten Ehe verlor er auch seine Gesangstimme. Nashville brachte ihm nicht nur eine neue Liebe sondern auch seine Stimme wieder, mit der sein erstes Album seit Cinderella‘s „Still Climbing“ (1994) aufnahm. Nashville - Music City USA„The Way Life Goes“ atmet zu jeder Sekunde Music City und verdeutlicht welche Wirkung das „Athen der Südstaaten“ auf einen fast schon vergessenen Helden ausüben kann. Ohne das Bluebird Cafe, in dem schon Superstars wie Garth Brooks und Shania Twain entdeckt wurden gäbe es den einzigartigen Klang der Kings Of Leon wahrscheinlich nicht. An einem ihrer ersten Abende in der Stadt besuchten die Followill Brüder eher zufällig diese geschichtsträchtige Location. Sie waren dabei so von den dort auftretenden Singer/Songwritern angetan, dass sie den unverfälschten Vibe, den die Stücke der Musiker atmeten auch in ihren Werken spüren wollten. Knapp fünfzehn Jahre nach diesem geschichtsträchtigen Abend sind Kings Of Leon eine der größten Rockbands des Planeten.
2010 zog es The Black Keys nach Nashville. Das Duo bestehend aus Dan Auerbach (Gesang, Gitarre) und Patrick Carney (Drums) bietet Garage Rock im Stil der 60s in Reinkultur, welcher mit ihrem sechsten, in der neuen Heimatstadt entstandenen Studioalbum „Brothers“ zu neuen Höhen aufstieg. Bei den Grammy Awards #53 erhielten sie drei von fünf möglichen Auszeichnungen für die Scheibe beziehungsweise die enthaltenen Songs. Last but not least sei einer der wichtigsten Personen der Musikszene im einundzwanzigsten Jahrhunderts erwähnt: Mr. Jack White! White der neben erstklassiger Musik mit The White Stripes und The Dead Weather auch sein eigenes Plattenlabel Third Man Records in Nashville erschuf, verblüfft mit außergewöhnlichen Veröffentlichungen. Neil Young ließ er beispielsweise die Scheibe „A Letter Home“ in einem Voice-O-Graph aus den 1940ern in einem One-Take auf Vinyl aufnehmen. Des Weiteren produzierte er Legenden wie Jerry Lee Lewis und Wanda Jackson. Jack lebt und atmet Nashville! Der gebürtige Detroiter wird als einer der wichtigsten Kuratoren der Musik, des Lebenstils und letztendlich der Historie von Music City in die Geschichtsbücher eingehen.
Text: Chris Franzkowiak