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Foto: Felix Aaron

Neue deutsche Traurigkeit: Berq berauscht mit überragendem Debüt

Das ist dann wohl diese deutsche Leidkultur: Die blutjunge Berliner Pophoffnung Berq kehrt auf seinem selbstbetitelten Debüt sein Innerstes nach außen. Es gibt eben doch noch elektrisierende neue Impulse in der deutschen Poplandschaft.

Männer weinen nicht

Männer weinen nicht. Männer singen nicht über Schmerz. Männer sind stark. Können alles aushalten. Ja von wegen: Das toxisch-verquere Bild eines vermeintlich stärkeren Geschlechts bröckelt, bekommt endlich Risse, wird langsam abgeschafft. Daran haben auch junge Künstler wie Berq großen Anteil. Sie pfeifen auf das Männerbild, das immer noch von den Medien kolportiert wird, sind echt, sind ehrlich zu sich selbst und der Welt. Diese neue Verletzlichkeit im deutschen Pop ist eine große Wohltat und ein wichtiges Signal für mehr Sanftheit und Empathie auch in der Adoleszenz.

Denn: Berq ist jung. Blutjung. 2022 macht Felix Dautzenberg sein Abitur, spielt davor jahrelang in der Schulband. Schon seine allererste Single Echo, veröffentlicht kurz nach dem Abitur unter seinem Künstlernamen Berq, lässt aufhorchen. Wer ist dieser junge Mann mit der kratzigen, spröden Stimme und diesen traurigen Augen? Sein Name wird erst geflüstert, dann gesagt und bald geschrien, im Nu sieht er sich auf wichtigen Showcase-Festivals wie MS Dockville oder dem Reeperbahnfestival den gnadenlosen Augen der großen Industrie ausgesetzt. Mittlerweile steht er bei 2,5 Millionen monatlichen Spotify-Hörer:innen.

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Poetische Gewalt oder gewaltige Poesie?

Jetzt, kaum mehr als zwei Jahre nach seinem ersten Song, ist mit Berq sein erstes Album da. Und wird jeder Vorschusslorbeere gerecht. Das ist die neue deutsche Traurigkeit, ein Album, das die zerfressene Verzweiflung eines Tristan Brusch mit Schmyts schnoddriger Schwermut und Jungstötters barocker Trauerverarbeitung vereint. Von sanft gehaucht bis gequält geschrien, von gezupfter Akustikgitarre und dezent wallenden Streichern über wuchtigen Lärm und massierenden Bass: Berq macht Popmusik, aber anders. Weil er sich nicht verstellt. Weil er zeigt, wie es ihm geht. Und das kann eben auch mal scheiße sein. Das ist poetische Gewalt oder gewaltige Poesie – eine neue deutsche Leidkultur.

„Ich bin fern davon, ein großartiger Sänger zu sein“

Berq singt über den irrationalen Hass, wenn man eigentlich nur an sich selbst verzweifelt, über den prügelnden neuen Freund der Mutter, über versehrte Herzen und geplatzte Träume. Dass seine Musik ohne Kitsch und Befindlichkeit auskommt, ist eine Wohltat. Berq zeigt: Man kann eben auch auf deutsch über diese Dinge singen, ohne allzu rührig daherzukommen. Liegt natürlich auch an seiner Stimme, aus der man eine alte Seele herauszuhören meint. Aber: „Ich bin fern davon, ein großartiger Sänger zu sein“, so sagte Berq kürzlich in einem Interview mit dem rbb. „Die Leute verzeihen mir das vielleicht, weil sie mir glauben, wenn ich singe. Aber gerade live kann schon mal ein Ton in die Hose gehen. Ich leide am Impostor-Syndrom, denn ich habe ständig das Gefühl, ich bin viel zu schlecht für die ganze Aufmerksamkeit und denke, andere können das viel besser.“

Unsicherheit und Zweifel

In Nürnberg hat er kürzlich einen Festivalauftritt abgebrochen, hat auf der Bühne geweint und gesagt, sein Kopf sei „Matsch“. Das macht ihm Angst. „Als ich die erste Tour für November angekündigt habe, war sie schon vor dem Vorverkauf ausverkauft, fast alle Konzerte wurden in größere Hallen verlegt und die Zusatztour ab Februar war dann auch innerhalb von vier Minuten ausverkauft. Und das alles, ohne zu wissen, ob ich die Tour überstehe und ob die Leute überhaupt meine neuen Songs mögen.“

Unsicherheit und Zweifel sind nicht nur ein Zeichen seiner Generation. Die stellt sich diesen Phantomen aber endlich mal, anstatt sie zu verdrängen oder mit falscher Stärke zu überspielen. Das macht seine Musik so ergreifend, so packend. Alleine erzählt genau davon: die Angst vor dem Alleinsein, gerade nachts, und doch die Unfähigkeit, Nähe wirklich zuzulassen. Das macht Berq zu einer Zerreißprobe für ihn und seine Hörer:innen, ein bisweilen schwer auszuhaltendes Werk. Aber eben auch zu einem der spannendsten und besten deutschen Popdebüts der letzten Jahre.

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