Allein wegen Zombie ein Klassiker: Mit No Need To Argue gelingt den Cranberries 1994 der ganz große Durchbruch. Auch 30 Jahre später haben die sehnsüchtigen Klagelieder nichts von ihrem melancholischen Trotz eingebüßt. Eine Liebeserklärung.
Ein Antikriegslied für die Ewigkeit
Am 20. März 1993 detoniert eine Bombe der IRA in der nordenglischen Stadt Warrington. Die Explosion reißt zwei Kinder aus dem Leben und verletzt Dutzende weitere. Eine Schockwelle rast durch England und Irland, lässt den alten Konflikt um Irlands Unabhängigkeit ein weiteres Mal tragisch auflodern. Dolores O’Riordan ist so getroffen von diesem Anschlag und der jahrzehntelangen Gewalt in ihrer Heimat, dass sie ihre Gefühle in einem Song verarbeitet. Er wird als Zombie Musikgeschichte schreiben und gilt bis heute als einer der kraftvollsten, furiosesten Antikriegssongs überhaupt.
Als erste Single ihres zweiten Albums No Need To Argue überrascht Zombie aber zunächst. Mit Songs wie Linger von ihrem Debüt Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We? hat man die Cranberries als sanfte, elegische Alternative-Band kennengelernt, ganz der einzigartigen Stimme ihrer Frontsängerin verschrieben. Doch Zombie klingt roh, gepeinigt, verletzt, mit verzerrten Gitarren und massiven Drums. Kein Wunder: Ein Lied über den sinnlosen Tod zweier Kinder kann nun mal nicht leise sein.
„Es musste heavy sein, weil es ein so wütendes Stück ist“
„Wir saßen in einem Reisebus und ich befand mich in der Nähe des Ortes, an dem es geschah, was mich wirklich sehr getroffen hat“, so erinnerte sich Dolores O’Riordan mal. „Ich war noch ziemlich jung, aber ich erinnere mich, dass ich am Boden zerstört war, weil unschuldige Kinder in so etwas hineingezogen wurden. Ich glaube, deshalb habe ich gesagt: ‘Das bin nicht ich’ – dass ich nicht verantwortlich dafür bin, obwohl ich Irin bin. Denn als Irin hatte ich es ziemlich schwer, vor allem im Vereinigten Königreich, wo es so viele Spannungen gab.“
Der Song schleicht sich auf einer England-Tournee 1993 in ihr Unterbewusstsein und lässt sie nicht mehr los. Nach der Tour sitzt sie in ihrer Wohnung in Limerick, erschafft ihn zunächst auf der Akustikgitarre. Im Proberaum merkt sie, dass das nicht reicht, dass das kein leises Thema ist. „Es musste heavy sein, weil es ein so wütendes Stück ist“, so die Sängerin. Selbstbewusst verlangt sie, dass die Drums viel härter als sonst gespielt werden, legt so viel Verzerrung wie nie auf ihre Gitarren.
The Cranberries im Circle Store:
Eine Million Pfund gegen Zombie
Das ist eine merklich andere Dolores O’Riordan als die, die 1990 mit einem kaputten Keyboard unterm Arm auf ihrem Fahrrad zu einem Vorsingen bei ihrer späteren Band fuhr. Bekommt auch ihr damaliges Label zu spüren – die fürchten, ein Lied wie Zombie könne die Stimmung weiter aufheizen. Es bietet O’Riordan sogar einen Scheck über eine Million Pfund, wenn sie einen anderen Song als erste Single wählen. Die Sängerin zerreißt den Scheck kommentarlos. „Dolores war eine sehr kleine, zerbrechliche Person, aber sehr eigensinnig“, erinnerte sich ihr Manager Allen Kovac. „Sie war davon überzeugt, eine internationale Künstlerin zu sein, und wollte den Rest der Welt erobern. Zombie war ein Teil dieser Entwicklung.“
Auf No Need To Argue ist der Song dennoch die Ausnahme: Nach dem großen Erfolg ihres Debüts (allein in den USA gehen über fünf Millionen Einheiten davon weg) und den langen Tourneen schreiben die Cranberries weiterhin überwiegend elegische, sehnsüchtige Indie-Rock-Songs von evokativer Kraft und tiefer Sehnsucht. Ab November nehmen sie in The Manor, einem ehemaligen Landsitz nördlich von Oxford auf. Wo zuvor INXS, The Mission, New Model Army oder The Cure aufgenommen haben, bannen die Cranberries die Songs auf Band, die ihnen den endgültigen Durchbruch bescheren werden.
Irisches Sehnsuchtswerk
No Need To Argue ist ein großes irisches Sehnsuchtswerk, das von Zombie übertrumpft und in den Schatten gestellt wird. Dabei beherrschte die Band wie wenige andere das Spiel mit den leisen Tönen: Im zauberhaften Daffodil’s Lament erklingen Uilleann Pipes, der Opener Ode To My Family erzählt bittersüß und nostalgisch von einer Kindheit auf dem Lande, während die Band in Yeat’s Grave noch mal ähnlich düstere Töne anschlägt wie im alles überstrahlenden Zombie.
Was mit den Cranberries ohne eine Sängerin wie Dolores O’Riordan geworden wäre, kann man natürlich nur mutmaßen. Ihre Stimme ist maßgebend, definiert die Band, füllt sie, erhebt sie. Angelehnt an den traditionellen irischen sean-nós-Gesangsstil, erinnert ihre Darbietung manchmal tatsächlich ans Jodeln, eine archaische Stimme, die uralten Schmerz heraufbeschwören kann wie keine andere Sängerin ihrer Zeit.
Der Erfolg ist nach Zombie natürlich reine Makulatur: No Need To Argue verkauft sich über 17 Millionen Mal und macht die Cranberries zu einer der größten Rock-Bands der Post-Grunge-Zeit. Besiegelt wird dieser Status von einem furiosen Auftritt am 11. November 1994 bei David Letterman, wo die Welt der Verwandlung der Dolores O’Riordan von dem schüchternen Indie-Mädchen zu einer unapologetischen, geladenen Alternative-Madonnafigur mit raspelkurzen blonden Haaren und düsterem Make-Up. Die Neunziger hatten eine neue Ikone.