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Foto: Gie Knaeps/Getty Images

30 Jahre „Hungry For Stink“: L7 erheben den Lärm zur Kunstform

Im Grunde müssten sie heute denselben Status haben wie Black Flag, die Melvins oder sogar Nirvana: Zum 30. Geburtstag der knochentrockenen, massiven, unapologetischen vierten L7-Platte Hungry For Stink blicken wir auf ein lärmendes DIY-Meisterwerk aus den Tiefen von Los Angeles zurück.

Man wollte sie im Zuge des Booms in die Grunge-Schublade pressen, man verband sie mit der Riot-Grrrl-Bewegung der frühen Neunziger. Beides ist nicht ganz falsch. Aber damit eben auch nicht ganz richtig. Denn Fakt ist: L7 waren immer schon anders als die anderen. Und viel früher dran. Natürlich zeigt das nur die Hilflosigkeit einer Musikpresse, die offensichtlich überfordert war mit einer All-Female-Punk-Attacke, die sagte, was sie dachte und härter war als so ziemlich alle Kerle damals.

Lehrstück in kalifornischer Rebellion

Schon klar, irgendwie musste man das Ganze ja vermarkten. Außerdem kam die zweite Platte Smell The Magic bei den Grunge-Sachverwaltern von Sub Pop raus, die Band verbrachte 1990 paar Wochen in Seattle und eröffnete Nirvanas Englandtournee im Zuge von deren  Debüt Bleach . Damit hat es sich aber im Grunde auch schon in Sachen Grunge. Der Rest ist ein Lehrstück in kalifornischer Rebellion, wilder Entschlossenheit und Hunger auf Lärm.

Nicht gut genug für Speed Metal

Schon 1985 finden Donita Sparks und Suzi Gardner zusammen und gründen L7. Beide lieben die All-Female-Punks von Frightwig, beide sind tief in der Art-Punk-Community von Echo Park im wilden Osten von Los Angeles aktiv. Besonders bezeichnend: Sie lernen sich während eines mehrtägigen Saufgelages kennen. Gardner zeigt Sparks dann irgendwann mal ein Tape mit ein paar ihrer Songskizzen, Sparks wird diesen Moment später als „einen der glücklichsten Tage meines Lebens“ bezeichnen. Weil sie exakt diese Musik spielen wollte. Seelenverwandtschaft, Schicksal, irgendwie so was. Räudig wie Punk, heavy wie Metal sind L7, aber eben DIY, fernab von Klischees und Schubladen. „Als wir Mitte der Achtziger anfingen“, erinnerte sich Bassistin Jennifer Finch mal, „war die Hardcore-Punk-Szene am Aussterben, und Speed- und Grindcore-Metal kamen auf, aber wir konnten das Zeug nicht spielen, weil wir nicht gut genug waren.“

Dann eben ein wilder Ritt zwischen den Genres. Das führt 1987 zum selbstbetitelten Debüt bei Epitaph (das Label signt L7 und verzichtet dafür auf Jane’s Addiction!) und 1990 zum Nachfolger bei Sub Pop. Damals sind sich alle Executives bei den großen Labels sicher, dass das hier das nächste ganz große Ding wird. Für eine kurze Zeit sieht es auch so aus: Mit Butch Vig nehmen sie das dritte Album Bricks Are Heavy auf, als die ganze Welt gerade  Smells Like Teen Spirit  grölt, die Platte wird ein künstlerischer und kommerzieller Erfolg, angeführt vom Hit Pretend We’re Dead. Ein Jahr auf Tour später – und L7 haben auf der ganzen Welt eine Underground-Fangemeinde hinter sich. Trotz des Erfolges ist das hier immer noch eine rohe Urgewalt, eine Band, die sich nicht verbiegen lässt und unapologetisch ihre Stellung in der männerdominierten Rockwelt verteidigt.

„Vier der lustigsten, fiesesten, stärksten, coolsten, angepisstesten Frauen, die ich kenne“

In einer Spin-Titelstory vom Juli 1993 bringt es Renée Crist ausgezeichnet auf den Punkt und bezeichnet L7 als „vier der lustigsten, fiesesten, stärksten, coolsten, angepisstesten Frauen, die ich kenne“. Ihre unbeugsame Underground-Einstellung und ihr unbedingter DIY-Ethos verhindern erfolgreich, dass L7 eine Marionette werden. Das erlaubt ihnen im ikonischen Line-Up aus Donita Sparks, Suzi Gardner, Jennifer Finch und Demetra Plakas, auch die vierte Platte Hungry For Stink voller Furor, Krach und fetter Gitarren aufzunehmen.

Wenn überhaupt, dann sind L7 auf Hungry For Stink sogar deutlich härter, ungezähmter als zuvor. Der Sludge kehrt in den Sound zurück, verzerrtes Sabbath-Riffing trifft auf Melvins-Kauzigkeit und die geteilten Lead-Vocals von Sparks und Gardner, die ihren Stimmbändern beide keine großen Gefallen tun. Mit anderen Worten: Die Platte ist ein reines Underground-Fest, viel zu heftig, schroff und unkommerziell eigentlich – extrem, angepisst, rotzig und ein einziger ausgestreckter Mittelfinger. Jetzt mal alle Baggage hören und dann beim Refrain ehrfürchtig auf die Knie fallen, bitte.


Furchtlos und feministisch

Die Kritik weiß nicht so recht, was sie damit anfangen soll. Die schiere Power dieser Band überfordert damals viele männliche Kritiker. Dürfen die so was überhaupt? Und noch dazu durch und durch feministische Lyrics abfeuern, Texte über die Angst vor einer Vergewaltigung in Can I Run oder über eine Rennfahrerin in Shirley etwa? Und ob! Greg Sandow von Entertainment Weekly bespricht das Album seinerzeit und fasst es so zusammen: „Nach einem so starken Album wäre es lächerlich, sie einfach als ‚Frauenband‘ abzustempeln.“ In den Neunzigern ist das noch ein Lob.

Vor 30 Jahren erscheint Hungry For Stink dann und erreicht tatsächlich Platz 117 in den Billboard 200 Charts – ihre bisher höchste Position. Das bringt L7 im Sommer 1994 sogar auf die Hauptbühne der Lollapalooza-Tour, an der auch The Smashing Pumpkins, die Beastie Boys, oder Nick Cave teilnehmen. So wirklich gehören sie da oben aber eben nicht hin, fühlen sich eher in den Kaschemmen wohl. Irgendwann lösen sie sich auf, 2014 finden sie wieder zusammen. Und sorgen bis heute für sehr laute Unruhe. Darüber können wir sehr froh sein.


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