Dass es jetzt überall wieder so schön warm ist, geht wahrscheinlich auf sein Konto: Mit lost americana legt mgk ein spätes, leicht lakonisches Sommeralbum vor. Nach einem Ausflug in den Rap kreuzt er hier den Highschool-Pop-Punk von Mainstream Sellout mit Amerikas Folklore.
Der Aufstieg von Machine Gun Kelly ging Hand in Hand mit einer zunehmend zynischen und kritischen Sezierung in der Presse. Wo er bei Tickets To My Downfall noch mit offenen Armen empfangen wurde, hagelte es bei Mainstream Sellout bereits ordentlich Kritik. Dabei machte er im Grunde nur das weiter, was er schon davor gemacht hatte: Pop-Punk wie aus einem Highschool-Film, mit starker Symbolik, irren Videos und sehr, sehr, sehr eingängigen Songs.
2025 erfindet sich mgk neu. Mal wieder. Nach einer temporären Rückkehr in den Rap mit der EP Genre:Sadboy wirft er auf lost americana die Mythosmaschine an. Er taucht tief ein in die Folklore und die Legenden der USA, legt sich eine neue Optik irgendwo zwischen Trailerpark und Marlboro Mann zu und kreuzt seinen Pop-Punk mit Roots Rock und Folk.
lost americana von mgk im Circle Store:
Bob Dylan ist mgk-Fan!
Um diese Transition gebührend zu feiern, sprach niemand Geringeres als Bob Dylan (!) den Album-Trailer ein. „Es ist eine akustische Landkarte vergessener Orte, eine Hommage an den Geist der Neuerfindung und eine Suche nach der Essenz der amerikanischen Freiheit“, beschrieb die Folk-Ikone das Album im Juni. „Vom Schein der Neon-Diners bis zum Dröhnen der Motorräder – diese Musik zelebriert die Schönheit, die in den Zwischenräumen zu finden ist. Wo die Vergangenheit neu erfunden wird und die Zukunft nach den eigenen Vorstellungen gestaltet wird.“ Ja, Bob Dylan, diese ungreifbare, abgekehrte Entität, ist Fan von mgk!
Allein das sollte die Kritiker:innen verstummen lassen. Und irgendwie ahnt man auch, was Dylan an diesen schlaksigen Typen mit der Lederjacke findet, der nach eigenen Angaben nur ein paar Mal die Woche isst und sich überwiegend von Kaffee und Zigaretten ernährt: Egal, was mgk auch tut – er tut es unapologetisch. Und mit ganzem Herzen. Während seine Heimat Cleveland ihn mit einem ganzen mgk-Wochenende ehrt, spielt er verstreute Secret-Shows und teilt über Instagram mit, dass man lost americana doch bitte am Stück hören soll. Und vorzugsweise in einem Auto.
Am besten im Auto hören
Dort haben archetypisch amerikanische Alben schon immer am besten funktioniert – egal, ob Fleetwood Mac oder Lana Del Rey. mgk gehört längst in diese Liste. Die 13 neuen Songs arbeiten sich nicht länger an Klischees oder Presets ab und brechen auf gen Westen, der Sonne entgegen. lost americana ist getränkt im Mythos eines zerrissenen Landes, greift Tropen und Symbole auf, die untrennbar mit Amerikas Weite verbunden sind. Das Herz hat er schon immer auf der Zunge getragen, seine Lyrics waren vulnerabel, offen, ungeschminkt. Jetzt lässt er auch in den Songs erstmals eine gewisse Melancholie und Lakonie aufblitzen, die ihm gut zu Gesicht steht. Er ist mittlerweile eben auch 35. Und keine 20 mehr. Eher Stiffler’s Mom als Stiffler selbst.
„Ich wurde so sehr gehasst, ohne dass mir der Grund dafür klar war“, sagt er in einem neuen Interview mit People Magazine. „Nur weil ich mich künstlerisch ausdrücke, durch Mode, Musik, was auch immer – weil ich mich dafür entschieden habe, mich nicht in eine gesellschaftliche Schublade stecken zu lassen.“ Dafür lieben ihn natürlich ungleich mehr Menschen. Neun Millionen Instagram-Follower etwa. Oder Prominente wie Yungblud und Megan Fox. Mit Fox hat er sogar einen Song geschrieben – die wunderschön wogende Ballade Orpheus, die das Album beschließt.
Musikalische Vermessung der USA
Wo sich mgk auf Mainstream Sellout noch mit Feature-Gäst:innen von Bring Me The Horizon über Willow bis hin zu Lil Wayne umgab, stellt er sich dem Leben diesmal ganz allein. Keine Features, keine Duette. Nur Lieder über den amerikanischen Albtraum und die Hoffnung, die auf den Highways dieses Landes immer noch aufblitzt. Weil die eine ganze Ecke besser arrangiert und facettenreicher komponiert sind, kann man lost americana durchaus attestieren, sein bisher abwechslungsreichstes Album zu sein. Eben weil er Pop-Punk mit Americana und Rap-Aromen kreuzt. Und endgültig furchtlos geworden ist.
lost americana ist seine musikalische Biografie, eine Vermessung der USA in 13 Songs, ein Album wie der Soundtrack zu einem Leben mitten Amerika. Damit werden sich natürlich vor allem seine US-amerikanischen Fans identifizieren können. Doch die Strahlkraft der Songs ist groß genug, um auch den Rest der Welt zu entzünden. Mit Amerikas Mythos kriegt man uns eben doch irgendwie immer noch. Und wer wären wir schon, würden wir Bob Dylan widersprechen?