Review: „Pink Floyd at Pompeii MCMLXXII“ ist ein glorreiches Fest für Augen und Ohren
popkultur02.05.25
Live at Pompeii gehört zu den besten und legendärsten Konzertfilmen aller Zeiten. Ein 4K-Update für den Film und ein Mastering von Progfather Steven Wilson holen Pink Floyds ikonischen Ruinenauftritt auf spektakuläre Weise in die Gegenwart.
Die Sonne steht tief in diesen frühen Herbsttagen im Oktober 1971. Das Amphitheater in der römischen Stadt Pompeji brutzelt in der Sonne, die jahrtausendealten Steine strahlen Hitze ab wie an einem Sommertag. Fast 2000 Jahre nach seiner Zerstörung durch den zornigen Vesuv kehrt eine ganz andere Art von Leben ein in diese antike Stätte: Inmitten der Ruinen stehen Pink Floyd, die oh so jungen und schönen Pink Floyd, und nehmen einen Konzertfilm auf. Aber eben nicht irgendeinen beliebigen Film in einer beliebigen Location. Sondern einen ohne Publikum. Gespielt nur für die stummen steinernen Zeug:innen eines der größten Vulkanausbrüche der Menschheitsgeschichte.
Sechs Tage in Pompeji
Sechs Tage drehen Pink Floyd damals in Pompeji. Das ist natürlich kein leichtes Unterfangen. Regisseur Adrian Maben erhielt nur die Erlaubnis für den Dreh, weil ein Professor Carputi von der Universität von Neapel ein großer Pink-Floyd-Fan ist und die örtlichen Behörden überzeugen kann. Nachdem die Band eine ziemlich steile Summe Geld dafür zahlt, versteht sich. Doch Pink Floyd sind damals natürlich keine Unbekannten mehr. Im Jahr zuvor ging Atom Heart Mother auf die Eins in die britischen Charts, wenige Wochen nach den Aufnahmen erscheint mit Meddle das Album, das unter anderem das Epos Echoes erhält. Und wenig später werden Pink Floyd mit The Dark Side Of The Moon dann eh zu einer der größten Bands des Planeten.
Zeitkapsel aus der entscheidenden Phase
Der Film erscheint erstmals 1972, ist damals nur eine Stunde lang und enthält nur das Konzert. Später wird Adrian Maben die Band überzeugen, dass das Material um Studioaufnahmen ergänzt wird. Und weil Pink Floyd zu dieser Zeit nun mal ganz zufällig The Dark Side Of The Moon aufnehmen, ist Live at Pompeii auch ein legendäres Dokument zur Entstehung eines der größten Alben der Geschichte. Genau dieses Dokument erstrahlt 2025 klanglich und visuell so sehr wie nie zuvor. Der 4K-Remaster bringt uns die Bilder aus der Ruinenstadt in satter Schärfe nach Hause, der neue Mix von Progfather Steven Wilson kitzelt akustische Feinheiten aus dem ikonischen Set, die auf Vinyl tatsächlich einen großen Unterschied machen. Denn ja: Erstmals überhaupt erscheint Live at Pompeii auch auf Platte.
Halluzination zwischen Ruinen
Die Musik und die Atmosphäre sind ebenso unwiderstehlich wie entrückt, ein schlichtweg perfektes Setting für eine Band, die so langsam weiß, wozu sie in der Lage ist. Die Verstärker-Wälle schmettern die Musik nur zu den antiken Steinen und Säulen und zu der Filmcrew, die der Band gegenübersteht. Ein paar Kinder schleichen sich später in das Amphitheater, aber irgendwie wirkt selbst das halluzinatorisch in der flirrenden Nachmittagshitze. Mabens Vision wurde erklärtermaßen von seiner Erfahrung als junger Reisender inspiriert, der in eben diesem Amphitheater verzweifelt nach einem verlorenen Reisepass suchte, sowie von Wilhelm Jensens Novelle Gradiva, in der ein deutscher Archäologe in Pompeji einen sonnengeplagten halluzinatorischen Blick auf eine Frau hat, die Tausende von Jahren zuvor gelebt hat. Das passt so, so gut.
Vulkane und Hunde
Echoes, A Saucerful of Secrets und One of These Days werden tatsächlich live in Pompeji aufgenommen, der Rest wird in Paris eingespielt. Immer wieder sehen wir Sequenzen, wie Pink Floyd durch die brodelnde, zischende und dampfende Schwefelhölle von Boscoreale streifen, unterbrochen von antiken römischen Statuen, die wie Fratzen aus unserem Unterbewusstsein auftauchen. Später spielt die Band in einem Studio in Paris einen dreckigen Blues, während ein Hund namens Nobbs ins Mikrofon jault. Es sind eben eindeutig die Siebziger.
Pink Floyd at Pompeii MCMLXXII ist ein grandioses Zeitdokument, das uns an eine Ära erinnert, in der Musik uns noch wundern, träumen, staunen ließ. Es zeigt eine Band, die durch nichts aufzuhalten ist und weiß, was in ihr steckt. Es zeigt aber auch vier Musiker, die auf dem Zenit ihres Schaffens sind und mit weltabgekehrter Hingabe und Reverenz diese heilige, diese unsterbliche Musik spielen. Allein Nick Mason bei seinem entfesselten Schlagzeugspiel zusehen zu können, ist ein Kaufgrund.
Insbesondere die Szenen aus den Abbey Road Studios zeigen Pink Floyd dann noch mal von einer ganz anderen Seite. Locker, humorvoll, selbstsicher. Sie deuten sogar an, wie viel Geld sie mit ihrer Musik mittlerweile verdienen. Oh Boys, ihr wisst doch noch gar nicht, was da noch alles auf euch zukommt! Über 50 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung ist Pink Floyd at Pompeii MCMLXXII als Zeitdokument deutlich wichtiger als jemals zuvor. Er fängt eine Band in einer der größten Transitionsphasen überhaupt ein. Und setzt ein nochmaliges Ausrufezeichen hinter den Status des Konzertfilms als einer der besten aller Zeiten.