War Goo ein Sellout-Album? Wie wurde der Grunge dadurch beeinflusst? Und was hat es mit dem ikonischen Albumcover auf sich? Diese und weitere Fragen klären wir zum 35. Geburtstag des Albums.
Autos, Sonnenbrillen, Kindermorde
„I stole my sister’s boyfriend. It was all whirlwind, heat, and flash. Within a week we killed my parents and hit the road.“ Wenige Albumcover sind so ikonisch wie Goo – dabei sind Sonic Youth zwar schon irgendwie eine bekannte Band, ihre Musik ist aber wohl kaum das, was man als mainstream-tauglich bezeichnen würde. Doch mit Goo hinterließen Sonic Youth einen Eindruck, der so prägnant war, dass die Band für immer Teil der Popkultur bleiben würde.
Das oft kopierte Albumcover überzeugt durch seine rebellischen drei Sätze, den Comic-Stil und die mystische Hintergrundgeschichte: Der Künstler Raymond Pettibon basierte seine Zeichnung auf einem Zeitungsfoto. Zwei Zeugen der Moormorde, einem Serienmordfall an Kindern im England der 60er-Jahre, sitzen in einem Auto. Es sind die Schwester und der Schwager der Mörderin Myra Hindley, auf dem Weg zum Gerichtsprozess. Unbestreitbare Coolness scheint vom Goo-Cover auszugehen, dabei sträubten Sonic Youth sich eigentlich dagegen, vor allem das zu sein: cool.
Was ist cool?
Oder zumindest hinterfragten sie, was Coolness wirklich bedeutete. Das offensichtlichste Beispiel: Kool Thing, einer von Sonic Youths größten „Hits“. Auch dieser Song trägt eine besondere Geschichte: Die Sängerin und Bassistin Kim Gordon durfte fürs Spin Magazine den Rapper LL Cool J interviewen. Sie erklärte vorab, sie schätze seine Musik, da sie sie für Hip-Hop begeistern konnte. Im Interview merkte Gordon aber schnell, dass sie und LL Cool J definitiv nicht auf einer Wellenlänge waren.
Der Rapper gab misogyne Aussagen über die Rolle der Frauen in Beziehungen von sich, sprach von seinen Statussymbolen und schien den Punk-Ethos, der Gordon inspirierte, nicht zu verstehen. Ihre Meinung dazu machte Gordon im Artikel deutlich und schrieb etwa: „Ich springe auf, laufe herüber, nehme seine Hand, stelle mich vor und frage: ‚Darf ich deine Hand schütteln?‘ Er ist distanziert. Ich finde es erstaunlich, wie Jungs, die tough und cool sind, um ihre Empfindlichkeit zu verstecken, immer wieder Mädels anziehen und sich selbst etwas vormachen.“
Aus dieser Erfahrung entstand schließlich Kool Thing, in dem Kim Gordon eine sarkastisch feministische Perspektive einnimmt und „coole“ Typen zurechtweist. Dabei nimmt sie aber auch ihre eigenen linken, antipatriarchalen Wunschvorstellungen ein wenig aufs Korn. Badass Gitarrenriffs, eine Prise Humor und sogar ein Feature von Chuck D von Public Enemy machen das Ding zum Klassiker.
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Verschrobener Durchbruch in den Mainstream
Dass ein Song wie Kool Thing so schnell ins Ohr geht, war bisher nicht selbstverständlich bei Sonic Youth, ist aber auf Goo häufiger der Fall. Mary-Christ zum Beispiel ist ein simpler, catchy Punk-Song, der einen jugendlichen Vibe versprüht, während Thurston Moore über sein bevorstehendes Date singt. Und obwohl es vielleicht eines ihrer zugänglicheren Werke ist, wäre es falsch, Goo ein Sellout-Album zu nennen. Dafür passiert noch zu viel experimenteller, düsterer und abgefahrener Kram.
Manche Songs sind fast rein instrumentale Noise-Jams, im Fall von Scooter & Jinx ist es sogar der Klang eines explodierenden Verstärkers. Songs wie Mote nehmen sich wiederum lange Zeit, um in einer düsteren Stimmung zu baden. Lee Ranaldo trägt abstrakte Lyrics vor, bis der Song in einen instrumentalen Trip abdriftet, der in Lärm endet.
Auf dem Album tritt Kim Gordon als Sängerin und Songschreiberin noch mehr in den Fokus. Auch abseits von Kool Thing liefert sie ständig Highlights, wobei hier insbesondere Tunic (Song For Karen) hervorzuheben ist. Die Karen, um die es sich handelt, ist Karen Carpenter von der Band The Carpenters. Aber eine gewöhnliche Lobeshymne ist es nicht, vielmehr ein Blick in ihr Leben mit Magersucht, an der sie schließlich starb. Die Instrumente schaffen eine bedrückende Atmosphäre, während Gordon darüber singt, wie Carpenter sich im Himmel den anderen Rocklegenden vorstellt oder ihren Krankheitsverlauf beobachtet: „I feel like I'm disappearing, getting smaller every day / But I look in the mirror and I'm bigger in every way“.
„Goo“ und Grunge
Diese Mischung aus hypnotischen, chaotischen, finsteren Moods, aber auch einer verspielten Coolness machten Goo zum bis dahin zugänglichsten und erfolgreichsten Album der Band, das gleichzeitig den Underground nachhaltig beeinflusste. Es war Sonic Youths erster Release auf David Geffens neu gegründetem Unterlabel DGC Records, bei dem kurz danach auch Nirvana unter Vertrag genommen wurden. Kurt Cobain verehrte Sonic Youth. Man hört den Spirit von Goo nicht nur in Nirvanas Musik, das gesamte Grunge-Genre verdankt der Band extrem viel.
Sowohl diese Grunge-Bands als auch das Goo-Album brachten eine ungestüme, lärmige Subkultur plötzlich in den Mainstream – obwohl sie eigentlich Außenseiter waren. Plötzlich waren sie selbst cool und machten sich über die coolen Leute lustig. Und wie Kim Gordon ironisch in einem Interview über den Namen Goo sagte: „Ich hoffe, dass es ein beliebter Kindername unter werdenden Eltern in den 90ern wird“.