Featured Image
Foto: Jim Dyson/Getty Images

Tanzbare Midlife-Crisis: Das Debütalbum von LCD Soundsystem wird 20

Bitte Zählermarke einfügen

Vor 20 Jahren befreite sich James Murphy mit dem selbstbetitelten Debüt von LCD Soundsystem aus einer Sinnkrise. Der Schlüssel: einfach machen. Das Ergebnis: ironisch, groovy, ausufernd.

James Murphys Erfolgsrezept ist, dass er ein Nerd ist. Wer sonst würde seine Karriere mit einem Song über den Struggle eines alternden, elitären Musikhipsters (Losing My Edge) beginnen? Oder zulassen, dass die ersten Worte auf seinem Debütalbum die Namen anderer Musiker:innen sind (Daft Punk Is Playing At My House)? Aber so exzentrisch, artsy und wild Murphy oft wirken mag, verpackt er in LCD Soundsystem doch vor allem seine eigenen Unsicherheiten. Und die hätten fast dazu geführt, dass die Welt nie etwas von ihm gehört hätte.

Kampf gegen die Ansprüche

Musik war schon lange Murphys Steckenpferd gewesen. Er hatte in verschiedenen Punkbands gespielt und irgendwann das Studium abgebrochen, um der Musik nachzugehen. Die Angst vorm Scheitern lähmte ihn aber jahrelang bis in seine späten Zwanziger. Sein damaliges Selbst bezeichnet Murphy in einem Interview mit dem Journalisten Per Sinding-Larsen als traurigen Versager: „Mein ganzes Leben lang war ich frühreif und die Ansprüche an mich waren: Sei schlau, sei kreativ. Diese Dinge zu hören, macht einem Angst, etwas Dummes oder Uninteressantes zu tun. […] Ich hatte nie Lob dafür bekommen, dass ich fleißig und sorgfältig arbeitete. All mein Lob kam aus Attributen, über die ich keine Kontrolle hatte.“

Murphy beschloss, etwas ändern zu müssen: Er startete das Label DFA, machte sich einen Namen als DJ in New Yorker Clubs und baute ein Studio. Und auf einmal – nach eigener Aussage – war er cool. Daraus entstanden die ersten Songs für LCD Soundsystem, darunter Losing My Edge. Der Song beschreibt einen Musiknerd, der Angst hat, von der jungen Generation überholt zu werden – James Murphys Realität. Fast acht Minuten lang redet er sich in Rage darüber, wieviel er doch über Musik wisse, und listet überheblich die Schätze seiner Plattensammlung auf; darunter groovet ein repetitiver Beat. Das ist so schräg, dass Murphys Freund:innen ihm davon abrieten, den Song zu veröffentlichen. Bis zur letzten Minute war Losing My Edge noch eine B-Seite, bis der Musiker sich doch umentschied und ihn als erste Single auskoppelte. Und von da an waren die Augen auf LCD Soundsystem gerichtet.

Die Discokugel scheint in allen Farben

Ein paar Singles später stand im Januar 2005 endlich das erste Full-Length-Album an. “Full length”, indeed: Das selbstbetitelte Debüt ist ein Doppelalbum von ca. 100 Minuten. Dabei besteht die erste Hälfte aus damals neuen Songs und Disc 2 aus bereits veröffentlichten Singles und ihren B-Seiten. Zusammengewürfelt wirkt das aber nicht, da LCD Soundsystem ohnehin ein ziemlich wilder Mix aus Genres ist. Dance-Punk beschreibt es ganz gut, denn es treffen kantige Gitarrenriffs auf House-ige Synthesizer, unpolierter Sprechgesang auf Kuhglocken-Soli auf hypnotische Disco-Basslines. Wenn man genau hinhört, entdeckt man aber viele bewusste Verweise auf verschiedenste Artists, von Talking Heads über Brian Eno bis zu den erwähnten Daft Punk.

James Murphy versucht gar nicht, diese Inspirationen zu verstecken. Wer etwa denkt, dass die Akkordfolge der Klavierballade Never as Tired As When I’m Waking Up an Dear Prudence von den Beatles erinnert, wird kurz danach merken, dass Murphy später im Song noch ziemlich eindeutig das Gitarrensolo aus demselben Song nachahmt. Pitchfork gegenüber sprach Murphy so über die Verwertung von Einflüssen: „Falls mein Gitarrensolo wie George Harrison klingt, ist mir das egal. Ich tue solche Dinge absichtlich, um mit meinen eigenen Ideen zu spielen, um mich mit mir selbst zu konfrontieren. […] Ich laufe nicht unter einem Banner von Originalität, Mythos oder ‚Ich habe keine Einflüsse‘. Was ich mache, ist nicht pur.“

Die Vermischung von musikalischen Querverweisen ist ein Reiz bei LCD Soundsystem. Dazu trifft Murphy stets eine richtige Dosis aus Simplizität und Wiederholung von Elementen. Man müsste meinen, dass es bei teilweise zehn Minuten des gleichen Riffs eigentlich langweilig werden sollte. Aber das wird es nicht, wenn man im Groove gefangen ist. Auf Sound Of Silver und This Is Happening würden LCD Soundsystem das Songwriting ausfeilen und die Albumform perfektionieren, aber das Debüt ist bereits eine wuchtige, charismatische Wundertüte.

Ironische Selbstreflexion

Neben der musikalischen Bandbreite liegt der Charme des Projekts auch in Murphys Charakter. Der zum Zeitpunkt des Releases fast 35-Jährige schreibt über das, was ihn in seiner verfrühten Midlife-Crisis bewegt: die Musikindustrie, der künstlerische Prozess, das Altwerden, Komplikationen in der Liebe und das Hinterfragen des Party-Lifestyles. Typisch ist sein selbstironischer Humor.

In Yr City’s A Sucker etwa versucht Murphy wiederholt, die Stadt des Gegenübers runterzumachen, um dann zuzugeben, dass sein New York eigentlich auch nicht viel besser ist: „Your city’s a sucker / My city’s a creep“. Er stellt es aber als etwas Gutes dar, und das bringt die großstädtische Überheblichkeit wunderbar auf den Punkt. „What we want / Sex with TV stars / What you want / A career in the ha ha ha ha!“, singt er später. Während das Gegenüber wenigstens noch Träume hat, in der Unterhaltungsbranche Karriere zur machen, will man in New York nur die oberflächlichen Merkmale dieser Branche ausnutzen, ohne etwas zu leisten – und dennoch lacht Murphy das Gegenüber aus.

Ein Song wie Yeah wiederum sagt mit wenig Worten – hauptsächlich dem Wort „yeah“ – viel. Das sei eine bewusste Entscheidung gewesen, um zu zeigen, dass man nach Losing My Edge nicht noch eine „clevere lyrische Tirade“ erwarten solle, so Murphy in einem Interview mit Resident Advisor. In der Vinylpressung von Yeah sind die Worte „Nicht so gut wie Losing My Edge“ eingeritzt. Das erklärte Murphy so: „Ich versuche immer, den Leuten zu helfen, die Rezensionen zu schreiben.“ Man muss ihn lieben.

Weiter stöbern im Circle Mag: